Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Anfang November wurde im katalanischen Parlament eine Resolution verabschiedet, die die Unabhängigkeit der Region von Spanien nach sich ziehen soll. Die spanische Zentralregierung hat dagegen eine Verfassungsklage eingereicht. Glauben Sie, dass es Katalonien tatsächlich gelingen kann, unabhängig zu werden?
Adam Casals: Die Resolution von Anfang November bedeutet keinesfalls eine Unabhängigkeitserklärung Kataloniens. Sie stellt eher die Realität dar, dass es in Katalonien bei der letzten Wahl knapp zwei Millionen Menschen gab, die sich bei einer demokratischen und freien Wahl eindeutig für die Unabhängigkeit ausgesprochen haben. Die von Ihnen gewählten und durch sie legitimierten Vertreter verfügen über die absolute Mehrheit im Parlament. Diesen Wählerwillen darf man nicht ignorieren. Die Zeit für Verhandlungen wird kommen, mit Madrid und mit den Europäischen Partner und Institutionen. Ob das Ergebnis eine Unabhängigkeit wird, kann man nicht im Vorhinein wissen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welchen Preis ist Katalonien bereit, für seine Unabhängigkeit zu zahlen?
Adam Casals: Eine Scheidung bringt immer gewisse Kosten und Risiken mit sich, die manchmal schwierig zu kalkulieren sind. Allerdings sollte man sich auch fragen, was es für Kosten verursachen würde, in der jetzigen Situation nichts zu unternehmen. Denn Katalonien zahlt bereits jährlich einen hohen Preis, um mit Spanien im Stillstand zu verharren. In Zahlen sind es mindestens 16 Milliarden Euro, also ein 8 Prozent unseres BIP, eine einzigartige Situation innerhalb der OECD-Regionen. Zusätzlich wird von Madrid gerade eine Rezentralisierung des spanischen Staates in Angriff genommen, dies führt zu einem Mangel an Respekt und Mitgefühl gegenüber unserer Kultur und Sprache, zu Benachteiligungen von Firmen, die sich für den Standort Katalonien entschieden haben und damit zu einem enormen Wettbewerbsnachteil für unsere regionale Wirtschaft. Wir leben zur Zeit in einem Land, das nur daran interessiert ist in defizitäre Prestigeprojekten zu investieren, anstatt ein Konjunkturprogramm zu verabschieden, ein Land, das sich nicht ernsthaft im Bildungsbereich engagiert und das nicht wirklich vor hat, die horrenden Arbeitslosenzahlen zu bekämpfen. Welchen Preis wären Sie bereit zu zahlen, um Ihren Kinder ermöglichen zu können, nach dem Studium einen guten Job im eigenen Land zu finden? Das ist eben auch Teil unserer Kostenabwägung.
Deutsche Mittelstand Nachrichten: Welche Prestigeobjekte meinen Sie?
Adam Casals: Allein 2015 wurden 4,7 Mrd. EUR in AVE-Strecken (Hochgeschwindigkeitsbahntrassen) investiert. Parallel dazu bekam Spanien eine Ermahnung der Europäischen Kommission, da das Defizit im Jahr 2015 die Verschuldungsgrenze um 5 Mrd. EUR überschritten hat.
Keine der AVE-Strecken schreibt positive Zahlen. Denn Spanien hat mit nur 50 Mio. Einwohnern eine größere Oberfläche als Deutschland und das Netz kann ob der dünnen Besiedelung einfach nicht die notwendige Anzahl an zahlenden Fahrgästen erreichen. Trotzdem ist Spanien das Land Europas mit dem ausgedehntesten Hochgeschwindigkeitsbahnnetz.
Ein sehr anschauliches Beispiel ist der neue AVE-Bahnhof im Dorf Otero de Sanabria, in der Provinz Zamora, der eine Ortschaft mit lediglich 26 Einwohnern bedient, die das Privileg bekommen, mit 350 km/h nach Madrid fahren zu dürfen. Diese Art von sinnlosen Investitionen fallen dem Steuerzahler doppelt zur Last, denn nicht nur der Bau und das Befahren solcher Strecken, sondern auch die technisch komplizierte Wartung und Instandhaltung sind mit immensen Kosten verbunden.
Auch die AVE Strecke Madrid-Lissabon ist ein gutes Beispiel für die Verschwendung von in der Krise knappen Steuergeldern. Sie wird auf der spanischen Seite weiter gebaut, während die Arbeiten auf portugiesischer schon vor Jahren eingestellt wurden, mit der Begründung, dass diese Strecke niemals profitabel sein werde.
Ein weiteres Projekt ist das sogenannte Castor-Projekt zur Errichtung von Gas-Speichern am Grund des Mittelmeers, ein PPP der Regierung Spaniens mit der Baufirma des Präsidenten von Real Madrid. Dieses hat den Steuerzahler schon über 1,4 Mrd. EUR gekostet und noch dazu Erdbeben in bewohnten Gebieten an der Küste bei Castelló verursacht.
Der Flughafen von Ciudad Real, der 1 Mrd. EUR an Steuergeldern kostete und dann für 10.000 EUR an einen privaten Investor verkauft wurde, nachdem dort jahrelang keine Flugzeuge gelandet waren.
Die Liste wäre noch unendlich lang...
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Präsident des Unternehmerkreises, Javier Vega Seoane, sagte Mitte November, dass zahlreiche Unternehmen Katalonien verlassen haben, weil die politische Unsicherheit zu groß sei. Hat er damit Recht?
Adam Casals: Tatsache ist, dass Katalonien nicht unter einer Abwanderung von Unternehmen leidet. Einige Unternehmen verlegen ihren Firmensitz in eine andere Autonome Gemeinschaft, aber sie wechseln nicht den Produktionsstandort. Im Jahr 2014 haben sich 987 Firmen in Katalonien abgemeldet, allerdings waren es in Madrid im gleichen Zeitraum 1388 Unternehmen. In Katalonien sind das lediglich 0,38 Prozent aller Unternehmen mit Angestellten. In Madrid liegt dieser Prozentsatz bei 0,66 Prozent und damit bedeutend höher. Das heißt, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis, verlegen mehr Unternehmen aus Madrid ihren Firmensitz in eine andere Autonome Gemeinschaft als aus Katalonien.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie hat sich Katalonien angesichts der Eurokrise in diesem Jahr wirtschaftlich entwickelt?
Adam Casals: Die Wirtschaft Kataloniens verzeichnet wieder ein dynamisches Wachstum. Im Jahr 2014 stieg das BIP Kataloniens um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch in der ersten Jahreshälfte 2015 hält die positive Dynamik an und verzeichnet eine jährliche Wachstumsrate von jeweils 2,6 Prozent und 3,0 Prozent. Mit ca. 209 Milliarden Euro liegt das katalanische BIP zwischen jenem Finnlands und Dänemarks. Katalonien ist die Autonome Gemeinschaft Spaniens mit dem größten BIP und das macht wiederum 20 Prozent des spanischen BIP aus. Das ist um einiges höher als der katalanische Anteil an der spanischen Gesamtbevölkerungszahl. Das Wachstum des katalanischen Exports verzeichnet auch Rekordwerte und beweist damit die Wettbewerbsfähigkeit der katalanischen Unternehmen. So stieg das Gesamtvolumen der katalanischen Exporte im ersten Semester dieses Jahres um 6,3 Prozent im Verhältnis zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gelänge tatsächlich eine Abspaltung von Spanien, wäre Katalonien nicht automatisch in der EU. Plant die Region, in der EU aufgenommen zu werden? Oder soll auch die EU außen vor bleiben?
Adam Casals: Vielfach wird behauptet, Katalonien würde im Falle einer Unabhängigkeit aus der EU ausgeschlossen. Die EU-Verträge sehen zwar den Austritt, nicht aber den Ausschluss eines Landes vor. Die Katalanen sind seit 1986 EU-Bürger, Katalonien erfüllt und erweitert seitdem den gemeinschaftlichen Besitzstand und lässt sich also nicht mit einem Beitrittskandidaten vergleichen, der sich erst hinten anstellen müsste. Die katalanische Bevölkerung steht der europäischen Idee um vieles positiver gegenüber als die meisten Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten. Deswegen ist es kaum vorstellenbar, dass den Katalanen den europäischen Pass entzogen und den in Katalonien lebenden Personen, die in der EU erworbenen Rechte weggenommen werden. Katalonien wäre im Übrigen, und im Gegensatz zum Rest Spaniens, ein Nettozahler der EU. Auch die mannigfachen und hohen mitteleuropäischen und deutschen Investitionen in Katalonien sprechen für einen pragmatischen Verbleib Kataloniens in der EU, im Schengenraum und in der Eurozone.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach ein Verbleib Kataloniens in der EU für die heimische Wirtschaft?
Adam Casals: Wohl nur wenige Länder und Regierungen hätten angesichts der geographischen und internationalen Lage ein Interesse, Katalonien gegen seinen Willen aus dem Euro auszuschließen, falls dies überhaupt rechtlich möglich wäre. Auch die internationalen Unternehmen in Katalonien haben großes Interesse am Weiterbestehen offener Grenzen und der gemeinsamen Währung. Sollte darum Katalonien nicht unmittelbar Teil der EU bleiben, würde eine ähnliche Situation und Beziehung mit der EU wie bei Norwegen oder der Schweiz entstehen.
Die Beziehungen Kataloniens zu seinen nahesten Wirtschaftspartnern würde weiter bestehen bleiben, vor allem mit Spanien. Denn vergessen wir nicht die enorme Bedeutung Kataloniens für die spanische Wirtschaft. Auch Spanien wird die Zusammenarbeit weiter brauchen und suchen, alles andere wäre ein wirtschaftlicher Schnitt ins eigene Fleisch.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Spielt dies für ausländische Investoren eine große Rolle?
Adam Casals: Wichtige multinationale Unternehmen sind bisher, trotz einer möglichen Unabhängigkeit nicht davor zurückgeschreckt weiter in Katalonien zu investieren, zumal wichtige geplante Infrastrukturmaßnahmen, wie der Verkehrskorridor entlang des Mittelmeers, von der Unabhängigkeit profitieren würden. An der langfristigen ökonomischen Lebensfähigkeit eines unabhängigen Kataloniens, gibt es, selbst in einem Worst-Case-Szenario bezüglich der EU-Mitgliedschaft, keine Zweifel.
Nur in den letzten Tagen wurde bekannt, dass das deutsche Pharmaunternehmen Fresenius Kabi 20 Millionen Euro in Katalonien investieren wird. Amazon ist bereit, eine Investition von bis zu 100 Millionen Euro in einem neuen Logistikzentrum bei Barcelona durchzuführen. Auch die VW-Tochter SEAT hat bekanntgegeben, an dem Standort Martorell bei Barcelona weiterhin investieren zu wollen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie haben sich die Direktinvestitionen in die Region in den vergangenen sechs Monaten entwickelt?
Adam Casals: Die produktiven Bruttoauslandsinvestitionen betrugen in Katalonien im ersten Semester 2015 1,9592 Milliarden Euro. Dies stellt im Verhältnis zum gleichen Vorjahreszeitraum (515,2 Mio. Euro) ein Wachstum von 281,2 Prozent (3,8 Mal höher) dar. Das ist das höchste Ergebnis in einem ersten Semester seit dem Beginn der statistischen Erfassung dieser Daten.
Deutsche Mittelstands Nachrichten: Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?
Adam Casals: Den Anstieg der Bruttoauslandsinvestitionen lässt sich am besten durch die Dynamik Kataloniens als Wirtschaftsraum, die Stärke der Marke Barcelona, die Lebensqualität am Mittelmeer, die Gastfreundschaft und den Willen der Bürgerinnen und Bürger Kataloniens zu einem Ende der Wirtschaftskrise beizutragen, erklären. Und selbstverständlich auch durch die Präsenz der Regierung Kataloniens im Ausland, die sich mit einem Netzwerk an Auslandsvertretungen und Wirtschaftsdelegationen stetig dafür engagiert, Investitionen für den Standort Katalonien anzulocken und die bilateralen Beziehungen mit unseren Partnerländern zu vertiefen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Aus welchen Ländern kommen die meisten Investoren?
Adam Casals: Insgesamt stammten die produktiven Bruttoinvestitionen des ersten Semesters 2015 aus mehr als 80 Ländern (87). Die größten Investitionen kamen aus Luxemburg (18,7 Prozent) in der Höhe von 365.437,7 Millionen Euro, Deutschland (14,8 Prozent) mit 290.209,2 Millionen, Mexiko (9,9 Prozent) mit 193.591,7 Millionen, Irland (9,1 Prozent) mit 178.617,8 Millionen und Großbritannien (9,1 Prozent) mit 177.491,6 Millionen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es eine favorisierte Branche in Katalonien?
Adam Casals: Der Minister für Wirtschaft und Arbeit der Landesregierung Kataloniens, Felip Puig, gab gerade am vergangenen Freitag bekannt, dass seit 2010, 56 Prozent der ausländischen Investitionsprojekte im Bereich Forschung und Entwicklung innerhalb Spaniens auf Katalonien entfallen sind. In diesem Bereich steht Katalonien in Kontinentaleuropa seit 2010 an erster Stelle: Seitdem wurden 66 Projekte verzeichnet, die eine Investition von mehr als 1,07 Milliarden Euro, sowie die Schaffung von 6000 Arbeitsplätzen mit sich brachten. Die Länder, die im Bereich Forschung und Entwicklung in Katalonien am stärksten investiert haben, sind Deutschland, die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Japan. Hervorzuheben sind die Investitionen in der Pharmabranche, in den Informations- und Kommunikationstechnologien, sowie der Kunststoffindustrie.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Auch eine eigene Währung ist für das kommende Jahr geplant, wenn auch zunächst nur digital. Schadet das nicht der Wirtschaft?
Adam Casals: Die Regierung Kataloniens sieht nur eine Währung für Katalonien vor, den Euro. Die Gemeinde Barcelona, nicht die Landesregierung Kataloniens, überlegt sich für gewisse Produkte eine alternative Zahlungsmethode zu entwickeln, wie sie auch in Mitteleuropa schon öfters angewandt wird. Dies hat nichts mit einer eigenen Währung zu tun. Seit je her sind wir Katalanen Europa-Befürworter und unsere Währung bleibt der Euro.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Soll es einen Referenzkurs zum Euro geben, wie soll dieser aussehen?
Adam Casals: Noch einmal, Katalonien bleibt beim Euro.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Edward Hugh von der Catalunya sagte 2012, dass „katalanische Finanzsystem sei abhängig von der EZB“. Dabei spielte er auf die Verschuldung der Caixa Bank, der Banco Sabadell SA und der Catalunya Bank selbst an. Wie ist es mittlerweile um deren Finanzen bestellt.
Adam Casals: Mittlerweile sind sowohl Caixa Bank wie Banc Sabadell aus der schwierigen Finanzsituation von 2012 herausgekommen. In den veröffentlichen Bilanzen der Caixa Bank, sieht man, dass die Resultate der Gruppe bis September 2015 im Vergleich zu dem vorherigen Jahr um 57,3 Prozent gestiegen sind, also von einem Wert von 663 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 996 Millionen Euro 2015. Bezüglich der Banc Sabadell lagen die Resultate im September 2014 bei 265,3 Millionen Euro, dies bedeutet ein Wachstum von 42,5 Prozent im Vergleich zum dem vorherigen Jahr. Hinsichtlich 2015, gab es dann nochmals eine Steigerung von 59,4 Prozent, womit die Banc Sabadell ein aktuelles Ergebnis von 579,9 Millionen Euro aufweist. Catalunya Bank konnte leider bei diesen hohen Wachstumsraten nicht mithalten.