Die globale Beschleunigung und Vernetzung macht das Finanzsystem unberechenbar. Dies sieht man bereits an den Rohstoffmärkten, meint Finanzanalystin Gail Tverberg in einer interessanten Analyse auf ihrem Blog „Our Finite World“. Eine besondere Bedeutung haben ihrer Ansicht nach steigende Kosten bei der Rohstoffgewinnung, insbesondere für Öl: Im Zusammenspiel mit weltweit hohen Lagerbeständen und einer tendenziell abnehmenden oder weniger schnell wachsenden Nachfrage berge dies hohe Risiken. Insbesondere die starke Zunahme der Weltbevölkerung verteuert die Förderung von Öl, weil zunehmend auf schwer zu erschließende Vorkommen zurückgegriffen werden muss. Gleichzeitig lohnt sich die Suche aufgrund der seit Mitte 2014 abstürzenden Notierungen an den Weltmärkten und randvoller Tanks immer weniger. Das für die Weltwirtschaft existentielle Wachstum, das auf moderat steigende Rohstoffpreise angewiesen ist, wird so gefährdet.
Ein Hauptgrund für die schwache Nachfrage nach Rohstoffen sind laut Tverberg fallende Realeinkommen auf den Arbeitsmärkten. Dies führt dazu, dass sich Berufstätige bei nicht unbedingt notwendigen Investitionen wie Autos, Fernreisen oder elektronischen Geräten zurückhalten. Meldungen, wonach Apple die Produktionskapazitäten für iPhones um 30 Prozent senken will oder das jüngst veröffentlichte, überraschend schwache, Gewinnplus bei Samsung weisen auf diesen Umstand hin. Die Entscheidung der Fed zu höheren Zinsen dürfte sich überdies dämpfend auf die Kaufkraft der Arbeitnehmer auswirken. Sinkende Preise für Rohstoffe wie Rohöl, Stahl und Kupfer sind die Folge und die Industrieproduktion geht zurück. Mittelfristig führt dieser Trend zu fallenden Aktienkursen, Firmeninsolvenzen und Kreditausfällen.
Denn solange die Produktionskosten wichtiger Rohstoffe stärker steigen als die Einkommen der Verbraucher, besteht laut Tverberg folgender Teufelskreis: Die zurückgehende Nachfrage nach Waren führt zu tiefen Rohstoffpreisen, die zu steigenden Produktionskosten führen und dadurch Investitionen verhindern. Die niedrigen Notierungen bei Rohöl haben überdies weltweit zu vollen Lagern geführt, die den Bedarf nach frischem Erdöl dämpfen. Wie das Wall Street Journal kürzlich berichtete, sind die Lagertanks in Westeuropa zu 97 Prozent gefüllt. Seit einiger Zeit herrscht ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Förderung und Verbrauch. Die Aussicht auf eine weiterhin schwächelnde Konjunktur in China und das Eintreten Irans in den Kreis der Erdöl-Exportnationen werde das derzeitige Missverhältnis wohl weiter zementieren, so Tverberg.
Die globale Vernetzung führt dazu, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure von dem Phänomen betroffen ist: Aktienkurse von Rohstoffunternehmen und deren Zulieferern geraten als erste unter Druck. Ein Paradebeispiel dafür ist der Niedergang der Aktien von Transocean, eines Ausrüsters von Ölplattformen, der parallel zum Absturz des Ölpreises Mitte des Jahres 2014 begann. Unternehmenspleiten und damit verbundene Kreditausfälle wiederum können im Ölgeschäft aktive Banken in Schieflage bringen. Institute aus der Eurozone sind seit Jahresbeginn durch die Einführung verbindlicher „Bail-in-Regeln“ dazu berechtigt, einen Teil der Abschreibungen auf ihre Gläubiger und Anleger abzuwälzen. Auch Regierungen von Ländern, die auf gesicherte Rohstoffeinnahmen angewiesen sind, gehören zu den großen Verlierern, wie an den Beispielen Russland, Australien oder Brasilien ersichtlich wird.
Die Aussichten für 2016 schätzt Tverberg deshalb als düster ein: „Faule Kredite werden 2016 wahrscheinlich zu größeren Problemen führen. (…) Wir können davon ausgehen, dass ein Unternehmen nach dem nächsten an den tiefen Rohstoffpreisen scheitert. Es ist zu erwarten, dass sich die Probleme dieser Unternehmen auf die gesamte Wirtschaft auswirken werden. Die strauchelnden Firmen werden Angestellte entlassen, was die Quantität der verfügbaren Einkommen reduziert, um rohstoffbasierte Produkte zu kaufen. Schulden werden nicht vollständig zurückgezahlt werden, was Banken, Versicherungen und Pensionsfonds in Schwierigkeiten bringen wird.“
Das gegenwärtige Wirtschaftssystem, so das Fazit Tverbergs, stoße zunehmend an die Grenzen einer endlichen Welt. Aus der Geschichte ist bekannt, dass sich frühere Zusammenbrüche oft über mehrere Jahre hinzogen. Das Ende des gegenwärtigen Superzyklus hingegen könnte viel schneller eintreten. Die heutige Weltwirtschaft ist im Gegensatz zu früheren Systemen von internationalen Lieferketten, einer permanenten Versorgung mit elektrischer Energie und von fossilen Energieträgern abhängig. Die globale Vernetzung macht Probleme zu groß, als dass sie wirklich gelöst werden könnten.