Die deutsche Sicherheits-Innenpolitik befindet sich unübersehbar auf Konfrontationskurs mit den tatsächlichen Sicherheitsverhältnissen im Land. Die Ereignisse in Köln waren hierfür der Katalysator. Wie prekär die Sicherheitslage in deutschen Städten tatsächlich ist, kann nach Köln auch politisch nicht mehr negiert werden. Das Bild, das die Bundesregierung in der Vergangenheit von der innerdeutschen Gefährdungslage der eigenen Bevölkerung suggerierte, war von Humanität, Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber den Neuankömmlingen in Deutschland geprägt, und hat die Schattenseiten der Migration der Bevölkerung verheimlicht.
Die Ereignisse in Köln und das Bekanntwerden immer neuer Fakten und Hintergründe einer außer Kontrolle geratenen Migrations-Szene hat die Bevölkerung wachgerüttelt. (Dazu aktuell: Die verstörenden Polizeiberichte vom 10. und 11. Januar).
Bisher konnte sich die Bundesregierung weitestgehend auf die Medien stützten, das Flüchtlingsthema in seinen negativen Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland schlicht und einfach zu ignorieren oder kleinzureden. Das ist nun vorbei. Auch die Leitmedien beginnen nach und nach, sich mit diesem vormals Tabuthema zu befassen. Es war kein Zufall, sondern gängige Praxis der Mainstream-Medien, solche und andere wenig präsentable Kriminalitätsphänomene rund um die aktuelle deutsche Flüchtlingspolitik weitgehend zu ignorieren.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass erst Tage nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln darüber in den Medien berichtet wurde. Dieser Umstand ist nur zum Teil darauf zurückzuführen, dass die verantwortliche Sicherheitsbehörde in Köln die dokumentierten Vorfälle am liebsten intern abgehandelt hätte, um eigene Fehlbeurteilungen und Defizite der Einsatzleitung nicht öffentlich werden zu lassen. Das ungeheure Echo der deutschen Bevölkerung auf diesen und ähnlich gelagerte Vorfälle, auch in anderen deutschen Städten, hat selbst die Bundesregierung überrascht und zum Handeln gezwungen.
Bei einer genaueren Betrachtung dieser neuen Gewalt-Phänomene müssen Politik und auch die Sicherheitsbehörden zur Kenntnis nehmen, dass sie es hier mit einer neuen Qualität von Kriminalität zu tun haben. Der Fokus der Sicherheitsbehörden war bisher klar und auch berechtigt auf die Abwehr und Verhinderung von terroristischen Angriffen ausgerichtet.
Phänomene, wie jene in Köln zur massenhaften Verabredung von Gewalttaten durch Personen mit Migrationshintergrund, sind in dieser Qualität neu und kommen politisch zur Unzeit. Bisher war es unausgesprochene Praxis, die Themen Terrorismus und Flüchtlingskriminalität tunlichst nicht in einen Topf zu werfen. Es war plausibel und auch gängige Praxis, immer wieder zu betonen, dass es sich bei den Themen Terror und Anschlagsgefahr und den Themen der aktuellen deutschen Flüchtlingspolitik um zwei völlig unterschiedliche und nur marginal zusammenhängende Themenkomplexe handelt.
Die Botschaft war klar: Flüchtlinge haben mit der terroristischen Bedrohung nichts oder kaum etwas damit zu tun. Dieser Ansatz ist richtig, um Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht zu stellen. Vor allem aber galt es, das Argument zu entkräften, dass unkontrollierte, massenhafte Migrationsbewegungen auch für terroristische Zwecke missbraucht werden könnten. Wie kurzsichtig und falsch das war, haben nicht nur die Anschläge in Paris gezeigt.
Köln geht in seinen Konsequenzen weit darüber hinaus. Köln legt die Defizite einer gesellschaftspolitischen, langfristigen Dimension der Integrationspolitik offen. Genau darin liegt der Unterschied. Köln zeigt, dass die gesellschaftspolitischen Probleme, ausgelöst durch eine offene und weitgehend unkontrollierte Einwanderungswelle, so nicht weiter ignoriert werden können.
Köln ist auch ein prominentes Beispiel dafür, wie politische Vorgaben auf die tägliche Arbeit der Sicherheitsbehörden und der Nachrichtendienste durchschlagen. Noch Tage nach den Ereignissen war nur vereinzelt und verhalten davon die Rede, dass die meisten Identitätsfeststellungen in der Silvesternacht in Köln einen Migrationshintergrund bzw. einen Asylbewerber-Status belegten.
Dieses zögerliche Verhalten der Exekutive, genau dieses Faktum zu verschweigen, hatte bisher Methode. Der Rücktritt des Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers neun Tage nach den Ereignissen mag aufgrund von einsatztaktischen Fehlern, vor allem aber aufgrund der viel kritisierten Informationspolitik seiner Behörde, seine Berechtigung haben. Es zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch alle sicherheitsrelevanten deutschen Behörden, dass der Migrationshintergund von Straftätern tunlichst gegenüber der Öffentlichkeit nicht erwähnt werden soll.
Dies hat auch dazu geführt, dass die Sicherheitsbehörden von diesem Kriminalitätsmuster in Köln, sowohl im Hinblick auf die Quantität als auch auf Qualität, überrascht wurden: Nämlich die Verabredung zu Massentreffen, überwiegend von Personen mit Migrationshintergrund, zur Begehung von Straftaten, wie dies in Köln und auch in anderen Städten registriert werden konnte. Ob die bisherige Praxis des Verschweigens des Migrationshintergundes von Straftätern aufgrund politischer Opportunität erfolgte oder um eine frühzeitige politische Polarisierung der Bevölkerung damit verhindert werden sollte, darüber kann nur spekuliert werden. Diese Praxis war polizeiintern nicht unumstritten und war auch der Grund dafür, dass interne Einsatzberichte die Öffentlichkeit erreichten.
Wie restriktiv die Informationspolitik der Sicherheitsbehörden tatsächlich ist, wird durch die Aussage des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, deutlich: „Die Lageberichte der Polizei erfolgen intern und die Öffentlichkeit bekommt davon nur einen Bruchteil mit, um sie nicht unnötig in Schrecken zu versetzen.“
Heute, nach Köln, scheint die Bundesregierung in ihrer Informationspolitik die Flucht nach vorne angetreten zu haben. Dies war wohl auch deshalb notwendig, da offensichtlich ist, dass es sich um breitenwirksame gesellschaftspolitische Phänomene handelt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik stehen und die nicht mehr schöngeredet werden können.
Noch im November 2015 hatte der Bundesinnenminister bei der Absage des Länderspiels Deutschland – Niederlande Informationen zurückgehalten, weil er, wie er sagte, die Bevölkerung nicht beunruhigen wollte. Nach Köln hört sich das ganz anders an. Thomas de Maizière spricht sich in einem FAZ-Interview am 08.01.2013 für das Ende der Tabuisierung der Herkunft von Kriminellen aus und gegen eine Schweigespirale, die schon gar nicht von der Polizei auszugehen hat.
Ein später Paradigmenwechsel einer bisherigen Bundespolitik, welche die Information über die Begleiterscheinung der Kriminalität durch die Migration bisher gegenüber der eigenen Bevölkerung unterdrückte. Die Ereignisse in Köln haben diesen Paradigmenwechsel in der Informationspolitik der Bundesregierung erzwungen. Dies erfolgte nicht von heute auf morgen, sondern gewissermaßen in kleinen Portionen.
Es war offensichtlich, dass die Migrationspolitik der Kanzlerin auch in der eigenen Partei zunehmend auf Kritik stieß – und das nicht nur aufgrund sinkender Umfragewerte der Kanzlerpartei und der Regierung. Strategisch geschickt wurde der Bundesinnenminister in den vergangenen Monaten als medialer Gegenpol zu einer kaum mehr haltbaren, aber weiter praktizierten Politik der Kanzlerin etabliert, die zunehmend von der eigenen Bevölkerung als Gefährdung der innerdeutschen Sicherheit (und darüber hinaus) wahrgenommen wurde. Beobachter halten es durchaus für wahrscheinlich, dass nur eine nachhaltige Revision der praktizieren Migrationspolitik die Kanzlerin politisch in ruhigeres Fahrwasser bringen kann. Köln hat diese Entwicklungen nachhaltig beschleunigt.
Dr. Gert R. Polli ist der ehemalige Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung.