Weltweit herrscht ein massives Überangebot an Erdöl. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) geht davon aus, dass die daraus resultierenden Lagervorräte im laufenden Jahr um täglich rund 1,1 Millionen Barrel (159 Liter) zunehmen werden. Die permanente Ausweitung der Lagermenge drückt aber nicht nur den Preis für Öl. Sie verzögert auch die Normalisierung der Preise, wenn sich Angebot und Nachfrage eines Tages wieder einpendeln werden.
Derzeit spricht einiges dafür, dass die Überproduktion noch längere Zeit anhalten wird. Einerseits wird die Rückkehr des Iran auf den Weltmarkt das Angebot deutlich ausweiten. Der iranische Gesandte bei der OPEC hatte bereits angekündigt, dass der Iran nicht daran denke, seine Förderung einzuschränken.
Russland, Saudi-Arabien, Katar und Venezuela hatten zwar ihre Bereitschaft signalisiert, die Fördermengen auf dem Niveau von Januar einzufrieren, sind dazu aber nur bereit, wenn sich alle großen Produzenten beteiligen – was sehr unwahrscheinlich ist. Im Übrigen würde auch eine Deckelung der Förderung auf dem aktuellen Stand immer noch zu einem deutlichen Überangebot beitragen, weil die weltweite Nachfrage schwach ist.
Die ersten Opfer der tiefen Preise scheinen amerikanische Fracking-Firmen zu sein, deren finanzielle Belastbarkeit begrenzt ist. Die ersten von ihnen mussten den Betrieb bereits einstellen, wie der Finanzblog Zerohedge meldet. Demzufolge hat der größte Produzent im Bundesstaat North Dakota, Whiting Petroleum, kürzlich angekündigt, die Suche nach Öl mithilfe der Fracking-Methode einzustellen und rund 80 Prozent seiner Ausgaben einzusparen. Die Firma Continental Resources hat ebenfalls starke Einsparungen bekanntgegeben. Ein weiterer führender Förderer in North Dakota, Hess Corp, hat die Anzahl seiner Bohrlöcher unterdessen von 17 auf 2 reduziert.
Saudi-Arabiens Ölminister hatte sich kürzlich indirekt über die Konkurrenten aus der amerikanischen Fracking-Industrie geäußert und gesagt, dass es kostenintensive Produzenten seien, die „entweder ihre Kosten verringern, Geld leihen oder den Betrieb aufgeben müssten.“ Den Fracking-Firmen scheint aber noch eine Option offenzustehen: die Expansion auf neue Märkte.
Mitte Februar gab die EU bekannt, dass sie amerikanischen Produzenten erlauben werde, Schiefergas nach Europa zu liefern. Die Europäer sollen dadurch ihre Abhängigkeit von Russland verringern, während sich für amerikanische Firmen neue Absatzmöglichkeiten ergeben.
Die Entscheidung der EU hat außerdem eine geopolitische Komponente, weil dadurch der Einfluss Moskaus in Europa geschwächt werden soll. Die Amerikaner orchestrieren ihre Handelspolitik mit Säbelrasseln in Richtung Russlands. Diesem Zweck dient auch das Konstrukt einer Energie-Union, das kürzlich von der EU vorgestellt worden ist. Aus Sicht der EU taugt diese als Grundlage für eine vollständige Entmachtung der Nationalstaaten im Energie-Sektor. Energieprojekte einzelner Staaten, die der EU oder ihren Verbündeten aus politischen Gesichtspunkten nicht passen, könnten dadurch gestoppt oder gar nicht erst realisiert werden.