Politik

Asylrecht: Einschränkung in Österreich kann Kettenreaktion in EU auslösen

Lesezeit: 2 min
14.04.2016 02:23
Christoph Pinter, der Leiter von UNHCR in Österreich, kritisiert die geplante Verschärfung des Asylgesetzes. Ab Juni sollen Polizisten an der österreichischen Grenze im Schnellverfahren über einen möglichen Asylantrag entscheiden. UNHCR befürchtet eine Kettenreaktion in Europa.
Asylrecht: Einschränkung in Österreich kann Kettenreaktion in EU auslösen
Christoph Pinter. (Foto: Wolfgang Voglhuber)

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird mit dem geplanten Gesetz das Asylrecht in Österreich ausgehebelt?

Christoph Pinter: Es wird zumindest an einem Grundpfeiler des Asylrechts gerüttelt. Wir haben die Sorge, dass es – mit dem Gesetz im jetzigen Entwurf – bei einem ausgerufenen Notstand nicht mehr möglich ist, Asyl in Österreich zu beantragen. Nach den bestehenden Regelungen muss einem aber der Zugang ins Hoheitsgebiet, in dem der Asylantrag gestellt wird, ermöglicht werden. Das wäre dann hier nicht mehr der Fall.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie werden die Nachbarländer darauf reagieren, dass Österreich möglicherweise Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückweist?

Christoph Pinter: Es gibt noch keinen endgültigen Gesetzestext, aktuell finden ständig Verhandlungen darüber statt. In der jetzigen Version steht: Wenn der betreffende Nachbarstaat sich weigert, Flüchtlinge aus Österreich zurückzunehmen, muss das Asylverfahren doch in Österreich stattfinden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Regierung argumentiert, dass die Flüchtlinge die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit gefährden könnten – daher müsse in einem solchen Fall der Notstand ausgerufen werden. Gibt es nicht doch andere Möglichkeiten als es das neue Gesetz vorsieht?

Christoph Pinter: Wenn die Auffassung besteht, dass ein besonderer Druck auf dem österreichischen System herrscht, wäre es meiner Meinung nach etwa zu überlegen, ob die Verteilung von Asylsuchenden nicht auch aus Österreich in andere EU-Staaten möglich ist. In Griechenland oder Italien wird auch so verfahren. Fraglich ist schon, ob so eine Maßnahme, wie jetzt geplant, wirklich notwendig ist, da sie die Grundpfeiler des Asylrechts berühren. Zudem sind gemeinsame Lösungen immer einem nationalen Alleingang vorzuziehen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Könnten die anderen Staaten bei einem Alleingang von Österreich nicht ähnlich vorgehen?

Christoph Pinter: Die geplante Aussetzung von Teilen des EU-Asylrechts würde zu einer weiteren Entsolidarisierung innerhalb der EU beitragen. Außerdem steht sie völlig konträr sowohl zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem als auch zur Genfer Flüchtlingskonvention, die beide auf einer Teilung der Verantwortung im Flüchtlingsschutz beruhen. Die UNHCR fürchtet durch die geplante Novelle zudem eine Kettenreaktion in weiteren Staaten, wodurch es für Flüchtlinge in Europa immer schwieriger werden könnte, Schutz vor Verfolgung und Krieg zu finden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sieht das Gesetz Ausnahmen für besonders schutzbedürftige Personen wie Schwangere, Minderjährige oder Kranke vor?

Christoph Pinter: In dem aktuellen Entwurf nicht. Das ist natürlich im Fall von unbegleiteten Minderjährigen besonders problematisch, weil das Kinderwohl aus der UN-Kinderrechtskonvention vorrangig ist und unabhängig vom Asylrecht besteht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie bewerten Sie das Vorhaben, dass nach dem jetzigen Gesetzesentwurf an der Grenze keine Asylrechts-Experten, sondern die Polizei die Schnellverfahren durchführen soll?

Christoph Pinter: Asylverfahren sollten auf jeden Fall von Experten durchgeführt werden. Das ist Standard in der EU und steht auch so in den Richtlinien. Das ganze Thema ist juristisch so hochkomplex, dass da wirklich nur ausgewiesene Fachleute entscheiden sollten. Im jetzigen Entwurf soll die Polizei diese Aufgabe übernehmen. Ich habe gehört, dass es Pläne geben soll, dass die Polizei von Juristen unterstützt werden soll. Ob dies allerdings telefonisch oder vor Ort an der Grenze passieren soll, ist völlig unklar. Ebenso, ob es überhaupt diese Pläne gibt. Daher ist es wichtig, dass dieser Punkt im Gesetzesentwurf noch einmal verbessert wird.

***

Christoph Pinter ist Leiter des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR in Österreich.

*** Bestellen Sie den täglichen Newsletter der Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Die wichtigsten aktuellen News und die exklusiven Stories bereits am frühen Morgen. Verschaffen Sie sich einen Informations-Vorsprung. Anmeldung zum Gratis-Newsletter hier. ***


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die Ampel auf Rot: Warum die deutsche Wirtschaft abwandert
08.05.2024

Der Frust des deutschen Mittelstands ist gewaltig. Immer mehr Unternehmer denken über Verlagerung ihrer Produktionsbetriebe nach. Nach...

DWN
Finanzen
Finanzen KfW: Deutlich weniger Förder-Kredite, aber mehr Gewinn zum Jahresauftakt
08.05.2024

Nach mehreren Krisenjahren hat sich das Kreditgeschäft der staatlichen Förderbank wieder normalisiert. Gleichwohl verdient die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen BMW mit Gewinnrückgang - Konzernchef Zipse bleibt extrem optimistisch
08.05.2024

Der Autobauer BMW musste im ersten Quartal trotz des florierenden Luxussegments Gewinneinbußen verbuchen. Konzernchef Oliver Zipse bleibt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Insolvenzen in Deutschland steigen weiter dramatisch an - Zukunftsaussichten bleiben düster
08.05.2024

Im April verzeichnete Deutschland erneut einen starken Anstieg der Firmeninsolvenzen - ein bedenklicher Trend, der bereits seit 10 Monaten...

DWN
Technologie
Technologie Abzocke an der Ladesäule? E-Auto laden unterwegs teurer als Benzin E10
08.05.2024

Die Begeisterung für Stromer hat in Deutschland schon arg gelitten. Die Ampel gewährt keine Zuschüsse mehr bei der Anschaffung - und nun...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Siemens Energy beendet Misere und startet Sanierungsplan für Windkraftsparte Gamesa
08.05.2024

Beim kriselnden Energietechnikkonzern Siemens Energy scheint sich der Wind zu drehen. Nach einem guten zweiten Quartal mit schwarzen Zahlen...

DWN
Finanzen
Finanzen Anlagevermögen in Deutschland 2023 um 10 Prozent gewachsen
08.05.2024

Deutsche Kapitalanleger sind trotz schwacher Weltkonjunktur reicher geworden. Eine erfreuliche Nachricht für die Vermögensverwalter, die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft LNG: EU-Sanktionen bedrohen Russlands Energiegeschäfte
08.05.2024

Russland steht vor möglichen schmerzhaften EU-Sanktionen im Zusammenhang mit seinen Geschäften im Bereich Flüssigerdgas (LNG). Die...