Politik

Vorgeschmack auf TTIP: Politiker zittern vor der Saatgut-Lobby

Angela Merkel und die EU-Kommission haben in letzter Sekunde das Ende von Glyphosat abgewendet. Der Grund bietet einen Vorgeschmack auf die neue Lage, die der EU mit TTIP blüht. Die Bundesregierung sagt, man habe Angst vor Klagen der Konzerne. Der Fall zeigt die weitgehende Entmachtung der Europäer, wenn es um die Gesundheit der Bürger oder den Schutz der Natur geht.
19.05.2016 17:20
Lesezeit: 2 min

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Das TTIP wird von den EU-Bürgern zu großen Teilen abgelehnt. Vor allem die Schiedsgerichte werden ins Treffen geführt: Damit würde die nationale Gerichtsbarkeit ausgehebelt – ein Ziel der US-Regierung, die mit ihrer Geringschätzung für europäische Gerichte auch nicht hinterm Berg hält.

Bisher war dieses Problem eher abstrakt: Denn welcher Politiker hat wirklich Ahnung vom Völkerrecht? Tatsächlich können die Schiedsgerichte auch nicht generell verteufelt werden, weil sie als Instrument gegen die Willkür-Entscheidungen von Staaten sinnvoll sind und auch seit Jahrzehnten in vielen Fällen zu rascher und fairer Streitbeilegung dienen.

Allerdings ist nicht immer alles, was der Staat macht, Willkür. In bestimmten Fällen hat der Staat sogar die Pflicht, der Industrie Grenzen zu setzen – etwa, wenn es um die Gesundheit geht. Dann muss sich der Staat allerdings auch auf dem normalen Rechtsweg wappnen. Hierfür sind Rechtsgrundsätze wichtig, auf denen ein Rechtssystem aufbaut: In den USA muss nach angelsächsischem Recht ein Geschädigter einen Schaden nachweisen, dann erst gibt es Strafen für Konzerne und Verbote.

Zu beobachten ist dies aktuell an den Fällen Volkswagen und BMW: Die Unternehmen werden mit Sammelklagen eingedeckt und muss jetzt alle Kräfte aufbieten, um den US-Markt nicht zu verlieren.

Im kontinentaleuropäischen Recht kann der Staat Produkte schon verbieten, wenn der Verdacht etwa auf Gesundheitsgefährdung besteht.

Genau dieser Dissens wird den Europäern nun bei der Neuzulassung von Glyphosat zum Verhängnis: Denn die internationalen Konzerne drohen der EU und in der Folge den Mitgliedsstaaten mit Klagen, wenn die EU das höchst umstrittene Glyphosat verbieten sollte. In Deutschland wird Glyphosat unter dem Markenamen Roundup vom US-Agrarkonzern Monsanto vertrieben. Das Unternehmen erzielte damit im vergangenen Jahr einen Umsatz von 4,8 Milliarden Dollar. Da das Patent auf Glyphosat ausgelaufen ist, wird es mittlerweile aber auch von anderen Herstellern produziert. Bauernverbände dringen auf eine weitere Freigabe der Chemikalie, die als vergleichbar preiswert gilt und in der Landwirtschaft seit den 70er Jahren eingesetzt wird. Umweltschutzverbände warnen seit Jahren vor dem Pestizid und hatten vor einigen Monaten unerwartet Unterstützung von der Weltgesundheitsorganisation WHO erhalten: Eine Studie der WHO hatte ergeben, dass das Mittel potentiell Krebs beim Menschen auslösen könne. Zwar sei dies nicht bewiesen, aber die WHO konnte in ihrem Statement eben auch nicht ausschließen, dass das Mittel krebserregend ist.

Damit wäre die EU eigentlich verpflichtet, das Pestizid für Europa zu verbieten. Tatsächlich hat sich eine breite Front gegen Glyphosat gebildet, die auch noch andere Gefahren sieht, etwa die Reduzierung der Artenvielfalt.

Doch am Donnerstag stoppte die EU die Abstimmung über die Neuzulassung – weil Frankreich dagegen war und die SPD bis zur Stunde standhaft blieb und damit ein Patt gegeben war, das auf eine Ablehnung hinausgelaufen wäre.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ließ am Donnerstag die Katze aus dem Sack: Reuters meldet, Schmidt habe angedeutet, „dass Glyphosat-Hersteller möglicherweise klagen könnten, wenn ihnen der weitere Einsatz des zugelassenen Herbizids aus politischen Gründen untersagt werde“.

Damit ist genau der im TTIP vorgesehene Fall eingetreten: Ein Konzern kann die Regierungen zwingen, Entscheidungen zu treffen, die weder von der Bevölkerung noch von weiten Teilen der Parteien akzeptiert werden. Monsanto & Co. können bestimmen, was in der EU geschieht – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Europäer. Die klammen Regierungen stehen vor der Alternative, gegen die Heerscharen von US-Anwaltsfirmen zu kämpfen – oder Milliardenzahlungen bei Vergleichen zu entrichten.

Das Problem der Regierung in der EU: Ob TTIP kommt oder nicht, tut fast nichts mehr zur Sache. Denn solche Investmentschutzabkommen existieren längst zwischen vielen Staaten und Konzernen. TTIP macht nur klar, dass sich die Politik weitgehend in die Hände der globalen Player begeben hat. Der Wunsch des Grünen Anton Hofreiter, Deutschland möge sich gegen Glyphosat stellen, bleibt in diesem Kontext belletristisch. Die EU, zerstritten wie nie zuvor, erscheint eine leichte Beute in diesem neuen Kapitel der Plünderung der Welt.

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