Unternehmen

Studie: TTIP kann zur wirtschaftlichen Spaltung Europas führen

Die meisten Prognosen zu TTIP basieren auf einem umstrittenen Berechnungsmodell und arbeiten mit Zahlen, die aufgrund der Geheimhaltung der Verhandlungen nur Schätzungen sein können. Tatsächlich würde das TTIP die Desintegration in Europa vor allem auf dem Arbeitsmarkt beschleunigen, zeigt eine neue Studie der DWN.
25.09.2016 02:04
Lesezeit: 2 min

Die EU-Kommission verweist bei ihrer Kommunikation für TTIP auf Prognosen, die zahlreiche positive Effekte für die EU-Mitgliedsstaaten im Zuge von TTIP prognostizieren. Doch diese Untersuchungen und Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, wie eine neue Studie der Deutschen Wirtschafts Nachrichten zeigt. Die ähnlich positiven Ergebnisse der meisten bisher vorliegenden Untersuchungen lassen sich nämlich unter anderem auf deren umstrittene Methodik zurückführen.

So verwenden beispielsweise drei der vier offiziellen Studien das gleiche „ökonomische Berechnungsmodell, das Computable General Equilibrium (CGE) Modell sowie gänzlich oder teilweise dieselben Datensätze für die Quantifizierung der nicht-tarifären Maßnahmen und sehr ähnliche Datensätze für die Wirtschaftsdaten der einzelnen Länder“, heißt es in der DWN-Studie. Das CGE-Modell sei aber aufgrund seiner Eigenheiten (Prinzip des Gleichgewichtszustands) nicht in der Lage, zulässige Aussagen über die Auswirkungen von TTIP auf die Arbeitsmärkte zu treffen.

Wie entscheidend die Berechnungsmodelle für den Trend der Prognosen sind, zeigt die neue DWN-Studie. Unter Anwendung des „United Nations Global Policy Models“ etwa, winkt mit TTIP in Europa ein Rückgang des BIPs, der persönlichen Einkommen und der Beschäftigung. „Zu erwarten sind zunehmende Instabilität im Finanzsektor und ein kontinuierlichen Abwärtstrend beim Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit (Lohnquote)“, so die Studienautorin Stefanie Schneider. „Die Evaluierung mit dem UN Modell lässt für Europa eine wirtschaftliche Desintegration weitaus wahrscheinlicher erscheinen als eine weitere Integration.“ Tatsächlich würden die Vorteile von TTIP nur auf Kosten des bilateralen Handels zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu erreichen sein.

Darüber hinaus basieren die Ergebnisse der positiven Prognosen auf Zahlen, die selbst nicht als sichere Annahmen gelten können. Die Geheimhaltung der TTIP-Verhandlungen bedingt, dass es keine konkreten Datensätze gibt. Selbst die TTIP-Leaks von Greenpeace ermöglichten es letztlich nur, zu sehen, mit welchen unterschiedlichen Standpunkten die EU und die USA in die Verhandlungen gehen. Wie sich mit welchen Deals geeinigt werden wird, ist weiterhin unklar. Aber genau das wird entscheidend dafür sein, wie sich das Freihandelsabkommen auf den Wohlstand, das Leben und die Arbeit der EU-Bürger auswirken wird.

In den offiziellen Gutachten so gut wie gar nicht berücksichtigt sind die Untersuchungen der unabhängigen Tufts-University, die zu einem sehr deutlichen Ergebnis kommt: Das TTIP werde im Norden Europas - also in Deutschland, dern Niederlanden und in Skandinavien - zu einem Boom im Niedriglohnsegment führen. Insgesamt geht diese Untersuchung davon aus, dass knapp 600.000 klassische Arbeitsplätze durch das TTIP wegfallen könnten. Damit würde der in den USA herrschende Trend nach Europa importiert: Die scheinbar guten Job-Zahlen sind seit einigen Jahren auf das Wachstum im Niedriglohnbereich zurückzuführen, während die Zahl der klassischen Industriearbeitsplätze schrumpft. Diesen Zustand hatte zuletzt US-Präsident Barack Obama bei seiner Rede vor den UN ausdrücklich beklagt und festgestellt, dass diese Entwicklung auch auf den Bedeutungsverlust der Gewerkschaften zurückzuführen sei. Diese Entwicklung ist einer der maßgeblichen Faktoren für den Erfolg von Donald Trump. 

„Um eine informierte Entscheidung zu treffen, sollte man sowohl die Chancen als auch die Risiken abwägen“, so Schneider. Daher erscheine es etwas besorgniserregend, wenn von Seiten der Europäischen Union nur über die Vorteile und Wohlfahrtseffekte gesprochen werde und negative Auswirkungen per se ausgeschlossen würden. Und daher „besteht eine realistische Gefahr, dass eine Fehleinschätzung der Wirkungen des TTIP zu erheblichen sozialen Problemen in der EU führen wird“, warnt die Studie.

Verschaffen Sie sich einen Informationsvorsprung: Bestellen Sie jetzt die neue DWN-Studie „TTIP - Die unsichtbaren Risiken“ (74 Seiten) im PDF-Format per Email an studien@deutsche-wirtschafts-nachrichten.de um 30 Euro (inklusive Umsatzsteuer).  Mit dem Kauf unterstützen Sie außerdem die Redaktion in ihrer Unabhängigkeit und ihrer ermöglichen ihre Arbeit.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

DWN
Unternehmen
Unternehmen Starbucks dreht den Spieß um: Mehr Baristas statt mehr Maschinen
10.05.2025

Starbucks gibt auf die Maschinen auf: Statt weiter in teure Technik zu investieren, stellt das Unternehmen 3.000 Baristas ein. Nach...

DWN
Panorama
Panorama EU-Prüfer sehen Schwächen im Corona-Aufbaufonds
10.05.2025

Milliarden flossen aus dem Corona-Topf, um die Staaten der Europäischen Union beim Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie zu unterstützen....

DWN
Finanzen
Finanzen Estateguru-Desaster: Deutsche Anleger warten auf 77 Millionen Euro – Rückflüsse stocken, Vertrauen schwindet
10.05.2025

Immobilien-Crowdfunding in der Vertrauenskrise: Estateguru kann 77 Millionen Euro deutscher Anleger bislang nicht zurückführen – das...

DWN
Politik
Politik Landtagswahlen Baden-Württemberg 2026: AfD liegt vor den Grünen – eine Partei gewinnt noch mehr
09.05.2025

Die AfD überholt erstmals laut Insa-Umfrage die grüne Partei in Baden-Württemberg, die seit 13 Jahren regiert und die größte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Kunstmarkt: Familienangelegenheiten im Auktionshaus Lempertz - und was Unternehmer davon lernen können
09.05.2025

Lempertz in Köln ist das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Isabel Apiarius-Hanstein leitet es in sechster Generation. Erst...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Ghettobildung nimmt zu
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...