Politik

Lagebericht Ukraine: Selenskyj besucht zurückeroberte Stadt Cherson

Lesezeit: 3 min
14.11.2022 16:56  Aktualisiert: 14.11.2022 16:56
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Montag in die zurückeroberte Großstadt Cherson gereist - nur wenige Tage nach dem Abzug russischer Truppen.
Lagebericht Ukraine: Selenskyj besucht zurückeroberte Stadt Cherson
Präsident Selenskyj besuchte am Montag die Großstadt Cherson im Süden der Ukraine. (Foto: dpa)
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist in die zurückeroberte Großstadt Cherson im Süden des Landes gereist - nur wenige Tage nach dem Abzug russischer Truppen. Er wolle den Menschen in Cherson mit seiner Anwesenheit seine persönliche Unterstützung ausdrücken, sagte Selenskyj am Montag vor Journalisten. "Damit sie spüren, dass wir nicht nur davon reden, nicht nur versprechen, sondern real zurückkehren, unsere Flagge hissen." Außerdem wolle er selbst die Emotionen und die Energie seiner Landsleute spüren, sagte der 44-Jährige. "Das motiviert auch sehr."

Auch ein erster UN-Konvoi mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Hygieneartikeln erreichte die Stadt nach monatelanger Besatzung durch die Russen. Mit dem UN-Konvoi seien mehr als 6000 Menschen versorgt worden, teilte das UN-Nothilfebüro in Genf mit. Eine Klinik erhalte Medikamente und Material zur Behandlung von mehr als 1000 Patientinnen und Patienten.

Unter dem Druck erfolgreicher ukrainischer Gegenoffensiven zog die russische Armee am vergangenen Freitag komplett vom rechten Ufer des Flusses Dnipro ab. Dabei gab sie auch die einzige seit Kriegsbeginn Ende Februar eroberte Gebietshauptstadt Cherson auf. Ukrainischen Angaben nach sind noch etwa 80 000 von ehemals rund 280 000 Menschen in der Stadt geblieben.

Die Kämpfe werden sich nach Einschätzungen von Experten nun vom Süden der Ukraine auf andere Regionen verlagern. Der Fluss Dnipro gilt als schwer zu überwindende Barriere. Die Querung des Flusses wäre für die ukrainische Armee in jedem Fall mit hohen Verlusten und enormem Aufwand verbunden, zumal die russischen Truppen in den letzten Wochen starke Verteidigungsstellungen am anderen Ufer errichtet haben.

Experten: Wiederaufnahme der Offensive im Nordosten möglich

Daher gelten andere Angriffsrichtungen als aussichtsreicher. Die Experten des Institute for the Study of War (ISW) vermuten, dass das Kiewer Militär seine in Cherson frei gewordenen Ressourcen für die Wiederaufnahme der Offensive im Nordosten der Ukraine, im Gebiet Luhansk, verwenden könnte. "Ukrainische Kräfte haben weiter begrenzte Fortschritte im Gebiet Luhansk erzielt und sind wohl in der Lage, diese zu vergrößern, wenn sie durch Truppen aus West-Cherson verstärkt werden", hieß es in der Analyse des ISW.

Russland wiederum wird weiter südlich im Donbass versuchen, seine Angriffe zu verstärken. Die Eroberung des Gebietes Donezk gilt seit Kriegsbeginn als eines der Kernziele des russischen Angriffs. Die Kämpfe in der Region haben in den letzten Tagen massiv an Intensität gewonnen. Als potenzielles Angriffsziel gilt zudem die Region Saporischschja.

Kiew entzieht mehreren westlichen Journalisten Akkreditierung

Mehreren Journalisten, die aus Cherson berichteten, wurde unterdessen die Akkreditierung entzogen. Die Medienvertreter hätten "bestehende Verbote und Warnungen ignoriert", teilte der Generalstab unter anderem zur Begründung auf Facebook mit. Aus dem Eintrag ging nicht hervor, welche Journalisten betroffen sind. Medienberichten zufolge sollen mindestens sechs Korrespondenten der Fernsehsender CNN und Sky News ihre Akkreditierung verloren haben.

EU beschließt Start von Ausbildungsmission für Ukraine

Die Außenminister der EU-Staaten haben den Start einer Ausbildungsmission für ukrainische Streitkräfte beschlossen. Die Pläne für den Einsatz sehen vor, dass zunächst etwa 15 000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in Deutschland, Polen und anderen EU-Ländern ausgebildet werden. Als Startdatum wurde nach Diplomatenangaben dieser Dienstag festgelegt.

Die Bundeswehr plant im Rahmen der EU-Mission eine Gefechtsausbildung für Kompanien und Taktikübungen für einen Brigadestab und die untergeordneten Bataillonsstäbe. Zudem soll es ein Training für Trainer, Sanitätsausbildungen und Waffensystemschulungen in enger Kooperation mit der Industrie geben. Insgesamt könnte in Deutschland in den kommenden Monaten eine Brigade mit bis zu 5000 ukrainischen Soldatinnen und Soldaten trainiert werden.

Lawrow: Krankenhaus-Aufenthalt dementiert

Moskau hat Berichte über einen angeblichen Krankenhaus-Aufenthalt des Chefdiplomaten Sergej Lawrow zurückgewiesen. Seine Sprecherin Maria Sacharowa veröffentlichte in Nusa Dua ein Video, das den Minister in kurzer Hose und beim Lesen auf einer Terrasse mit Palmen und Meer im Hintergrund zeigt. Die Berichte über den Krankenhausaufenthalt seien Fake News. Zuvor hatten Medien unter Berufung auf indonesische Angaben berichtet, dass der 72-jährige Lawrow ins Krankenhaus gebracht worden sei.

London: Winter wird russische Moral in der Ukraine weiter senken

Der bevorstehende Winter wird die Kämpfe in der Ukraine nach britischer Einschätzung deutlich beeinflussen. "Veränderungen bei Tageslichtstunden, Temperatur und Wetter bedeuten einzigartige Herausforderungen für die kämpfenden Soldaten", teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag mit. Weil die Tageslichtstunden deutlich abnehmen, werde es weniger Offensiven und dafür mehr statische Verteidigungslinien geben. Die Winterbedingungen führten zu Kälteverletzungen und würden die ohnehin schon niedrige Moral der russischen Armee vor zusätzliche Herausforderungen stellen. Sie bedeuteten aber auch Probleme für die Wartung der Ausrüstung. Auch ukrainische Soldaten seien von den Konditionen betroffen.

Polen bereitet sich auf Aufnahme neuer Ukraine-Flüchtlinge vor

Angesichts des herannahenden Winters bereitet sich Polen auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus der Ukraine vor. Für den sofortigen Einsatz habe man "deutlich mehr als 100 000 Plätze" in Sammelunterkünften vorbereitet, sagte Integrationsministerin Agnieskza Scigaj dem Sender Radio Plus. Derzeit gebe es aber an der polnisch-ukrainischen Grenze noch keine Anzeichen dafür, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder zunehme. (dpa)


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