Deutschland

Goldman Sachs: Hartes Vorgehen gegen Mieter in Sozialwohnungen

Die Stadtverwaltung von Madrid verkaufte rund 5.000 Sozialwohnungen an Investmentfirmen wie Goldman Sachs und Blackstone. Diese vertreiben die sozial-schwachen Bewohner mit drastischen Mieterhöhungen. Wer nicht zahlen kann, dem droht die Zwangsräumung.
01.11.2014 23:53
Lesezeit: 3 min

Spanien erholt sich nach dem historischen Kollaps des Immobilienmarktes von den Folgen der Finanzkrise. Zwischen 2007 und 2013 sind die Immobilienpreise um rund 40 Prozent gefallen. Seitdem die Blase im Jahr 2008 platzte, fiel das Budget für Wohnungsbau von 1,4 Milliarden Euro auf nur mehr 800 Millionen Euro im Jahr 2014. Mehr als 3 Millionen Häuser und Wohnungen stehen leer. Der Leerstand und die tiefen Preise locken nun wieder Spekulanten an.

Zwar hat Spanien einen der niedrigsten Bestände an Sozialwohnungen in Europa, doch die Sparpolitik der Regierung zwingt die Kommunen vermehrt dazu, auch die letzten öffentlichen Immobilien zu Spottpreisen zu verkaufen. Um Investoren aus dem Ausland anzulocken, wurde sogar die Gesetzgebung erheblich gelockert. So können die neuen Besitzer nicht-zahlende Mieter nun deutlich schneller räumen als zuvor. Und für die spanischen Kommunen hat sich dieses Vorgehen gelohnt: Die ausländischen Direktinvestitionen haben sich auf mit 5,2 Milliarden Euro verzwölffacht.

Im Mai 2013 gab die Stadtverwaltung von Madrid eine Studie bei PriceWaterhouseCoopers (PWC) in Auftrag, um die Wirtschaftlichkeit der städtischen Wohnungsgesellschaft EMVS zu bewerten. PWC kam zu dem Schluss, dass die Wohnungsgesellschaft nicht rentabel sei, weil die Schuldenlasten größer als die Mieteinnahmen waren. Deshalb empfahlen die Wirtschaftsprüfer der Stadtverwaltung einige der Wohnungen an Investoren zu veräußern.

Madrid verkaufte daraufhin 1.860 Wohnungen für durchschnittlich 67.000 Euro an die US-Investmentfonds Blackstone und den spanischen Fonds Magic Real Estate. Wenig später verkaufte die Stadtverwaltung weitere 2.935 Wohnungen an die US-Investmentbank Goldman Sachs und die spanischen Investmentfirma Azora für rund 68.500 Euro Durschnittspreis. Die Firmen schlugen der Regierung dabei ein Schnäppchen, denn während sie etwa 950 Euro pro Quadratmeter bezahlten, können sie bis zu 2.000 Euro pro Quadratmeter beim Wiederverkauf erzielen.

Etwa 400 der Wohnungen, die Goldman Sachs erworben hat, sind Sozialwohnungen. Die Mieter erhalten Vergünstigungen auf ein bis zwei Jahre und zahlen teilweise nur 20 Prozent der üblichen Mietpreise. Als die neuen Investoren die Wohnungen von den Kommunen übernahmen, wurde den Bewohnern noch versprochen, dass die günstigen Mieten bestehen bleiben würden. Doch fast ein Jahr später, nachdem viele Mietverträge ausliefen, erhielten die Bewohner teilweise drastische Erhöhungen. Wer nicht zahlen konnte, dem wurde mit Zwangsräumung gedroht.

Davon betroffen ist auch Jamila Bouzelmat. Die 44-jährige Spanierin lebt mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern in einer Sozialwohnung in einem Randgebiet von Madrid. Bevor Goldman Sachs den Wohnblock aufgekauft hat, bezahlte die Familie 58 Euro Miete aus den 500 Euro Sozialhilfe ihres Mannes. Im April wurden dann mit einem Mal 436 Euro Miete von ihrem Konto eingezogen. Jamila entdeckte die Abbuchung als sie gerade die Stromrechnugn begleichen wollte.

„Wir wollten gerade Geld abheben und es war nicht ein Cent auf dem Konto“, zitiert Reuters die sechsfache Mutter. Sie lebt derzeit von Spenden und fürchtet die nächste Mietzahlung. Der Fall von Jamila und ihrer Familie ist kein Einzelfall. Reuters-Reporter sprachen mit 40 weiteren Haushalten in der Umgebung von Madrid, die ähnliche Probleme mit den neuen Hausbesitzern haben. Unter ihnen sind viele Sozialhilfeempfänger, Behinderte und Schwerkranke, deren Zwangsräumung oftmals nur in letzter Minute ausgesetzt wird.

Auch Yasmin Rubiano lebt nun in einer Wohnung, die Goldman Sachs gehört. Nachdem ihre vergünstigte Miete von 50 Euro monatlich auslief, hörte sie zunächst nichts mehr von den Vermietern. Anschließend wurde sie aufgefordert, knapp 500 Euro Miete zu zahlen. Sie zahlte 100 Euro als Zeichen des guten Willens, konnte sich jedoch die volle Miete nicht leisten. Nun droht ihr der Vermieter mit rechtlichen Schritten.

Goldman Sachs wollte den Vorgang gegenüber Reuters nicht kommentieren. Stattdessen verweist man dort auf die Hausverwaltungsgesellschaft. Dort sichert man zu, jeden Fall nach Auslaufen der Vergünstigungen individuell zu bewerten.

„Räumungen kommen nur in einer extrem geringen Anzahl vor“, sagte ein Sprecher der Hausverwaltung zu Reuters. „Unsere Priorität ist es, denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Wir arbeiten mit einem Team von Sozialarbeitern zusammen, das sich um die Ärmsten unter ihnen kümmert.“ Außerdem würde keine Mieter geräumt werden, der sich „zahlungswillig“ zeigt.

Das Vorgehen von Goldman und Blackstone verstößt auch nicht gegen spanische Gesetze. Die Kommunen haben den Mieterschutz massiv gelockert, um ausländische Investoren anzuziehen. Nachdem Goldman und Blackstone etwa 15 Prozent aller öffentlichen Wohnungen in Madrid aufgekauft haben, üben sie nun ihr Recht aus, eine kommerzielle Miete zu verlangen, nachdem die Mietvergünstigungen auslaufen.

Dennoch haben einige Stadträte Klage gegen die staatlichen Institutionen eingereicht, die die Sozialwohnungen an die Investmentfirmen veräußert haben. Und auch die Bewohner organisieren sich in wöchentlichen Protestaktionen und machen auf drohende Zwangsräumungen aufmerksam. Die spanischen Medien berichten fast täglich von angeordneten Räumungen, die kurzfristig wieder abgesagt werden. Die Behörden gehen mit dem Thema vorsichtiger um, seit es im Zusammenhang mit Zwangsräumungen vermehrt zu Selbstmorden kam.

Miguel Hernandez, Professor für Ökonomie an der IE Business School, sieht im Vorgehen der Investmentfirmen ein notwendiges Übel, denn Spanien braucht ausländische Investitionen, um die Konjunktur anzukurbeln.

„Es scheint zwar so, dass diese Fonds wie die Geier agieren, aber sie helfen dem System, denn die Stadtverwaltungen hatten nur sehr wenige Optionen, um an Liquidität zu gelangen.“

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