Die EU streut Fördergelder in Milliardenhöhe in nahezu alle Regionen ihrer Mitgliedsländer. So wurden in den vergangenen Jahren Förderungen in den Bau von fragwürdigen griechischen Autobahnen gesteckt. Die Autobahnen bleiben weitgehend ungenutzt. Doch auch in anderen EU-Staaten verfehlen die Strukturförderungen ihre Wirkung - in den osteuropäischen Staaten haben die Milliarden keinen nachhaltigen Aufschwung geliefert. Nora Hesse vom Think Tank Open Europe erklärt, warum das Konzept der zentralen Umverteilung von Steuergeldern eine Fehlkonstruktion ist.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wieviele Strukturfonds gibt es in der EU, aus denen die Mitglieder Fördergelder erhalten?
Nora Hesse: Von 2014 bis 2020 will die EU bis zu 351 Milliarden Euro in ihre Regionen mittels dreier Fonds investieren: durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Finanzierung regionalpolitischer Strukturbeihilfen, den Europäischen Sozialfonds (ESF) zum Ausbau des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und den Kohäsionsfonds für die Bereiche Umwelt und transeuropäische Verkehrsnetze. Diese Töpfe finanzieren sich direkt aus dem EU-Budget. In Deutschland kommen beispielsweise der EFRE und der EFS zum Einsatz.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie verläuft der Prozess der Vergabe von EU-Fördergeldern?
Nora Hesse: Die Strukturfonds werden direkt vom EU-Budget finanziert. Der Mehrjährige Finanzrahmen und die dazugehörigen Ausgabenkategorien sind auf sieben Jahre festgelegt. Sie werden vom Europäischen Rat bestimmt und vom EU-Parlament abgesegnet. Die Höhe und die Verteilung der Fonds werden für die gesamten sieben Jahre von vornherein zwischen den Mitgliedländern und dem Europäischen Parlament vereinbart. Die Länder haben danach in dieser Periode nur sehr begrenzte Möglichkeiten, die EU-Fördergelder jährlich anzupassen oder umzuschichten.
Das Geld für förderfähige Projekte wird von den zuständigen Behörden in den EU-Mitgliedstaaten ausgegeben und danach von der EU erstattet. Die EU agiert dabei als Ko-Finanzierer. Einen bestimmten prozentualen Anteil (üblicherweise zwischen 15 und 50 Prozent) müssen die Projektträger selbst aufbringen: von nationalen oder lokalen Behörden oder vom Privatsektor.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Defizite innerhalb dieses Prozesses sind besonders auffälligt?
Nora Hesse: Regierungen und lokale Verwaltungen in Empfängerländern wollen nicht auf die Strukturfondsmittel verzichten, auch wenn dies mit erheblichen Krediten verbunden wäre. So verschulden sie sich manchmal übermäßig – wie zum Beispiel Madeira. Das Endergebnis sind oft überdimensionierte und/oder unvollendete Bauprojekte, die im schlimmsten Fall zu einer dauerhaften Belastung für Haushalte und für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes werden.
In Portugal zum Beispiel wurde ein Viertel der EU-Strukturfonds in Straßenbau investiert. In 74 Prozent der Fälle wurden mit EU-Geldern mehrspurige Autobahnen gebaut, wo einfache Bundesstraßen ausgereicht hätten. Heute hat Portugal 60 Prozent mehr Autobahnkilometer pro Einwohner als Deutschland. Die neuen Autobahnen stehen fast leer – die wenigsten können sich die hohen Maut-Gebühren leisten.
Die Möglichkeiten eines Landes oder einer Region, Fördermittel aufzunehmen, werden bei der Verteilung der Mittel aus dem Strukturfonds kaum in Betracht gezogen. Dabei ist die Absorptionsfähigkeit der lokalen Wirtschaft von größter Bedeutung für Wachstum und Konvergenz. Dazu ist die aktuelle Verwaltung der Fördergelder mit einem enormen Bürokratieaufwand verbunden.
Die Beziehung zwischen Förderung und Ergebnissen ist auch mangelhaft. Letzte Woche veröffentliche der Europäische Rechnungshof seinen Jahresbericht für 2013 und warnte, das EU-Haushaltssystem sei zu sehr auf die Verwendung der Mittel ausgerichtet – nach dem Prinzip „use it or lose it“ (Verfall bei Nichtnutzung). Die positiven Auswirkungen und die Erreichung von Ergebnissen kamen bei der Auswahl der Projekte für eine EU-Förderung erst an dritter Stelle – „und nur bis zu einem gewissen Grad“. Am fehlerträchtigste war der Ausgabenbereich Regionalpolitik, Verkehr und Energie.
Es gibt auch eine Diskrepanz zwischen den zugewiesenen und den tatsächlich abgerufenen Fördermitteln. So wurden für die gesamte Förderperiode 2007 bis 2013 51,5 Prozent der Struktur- und Kohäsionsfonds (SKF) an die neuen EU-Mitglieder verteilt. Der Rest fiel an die wohlhabenden EU-Mitgliedsstaaten. Von allen tatsächlichen Beiträgen bis 2010 gingen 65 Prozent an die wohlhabenden EU-Mitglieder. Von den Fördergeldern profitieren somit alle EU-Staaten, auch die wohlhabenden. Beispielsweise kommen ein Drittel der Gelder, die aus einer Region in Deutschland nach Brüssel fließen, erneut zurück in dieselbe Region. Die örtlichen Steuerzahlen finanzieren also ihre eigene Region auf dem kostspieligen Weg über Brüssel.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was kann man an dieser Stelle machen?
Nora Hesse: Die reichen EU-Staaten müssten ihre eigenen Regionen selbst fördern. Es wäre sinnvoller, wenn es zu einer Umverteilung von Reich nach Arm käme. Das ist möglich und würde Steuergelder einsparen. Die Gelder müssten dann auch effizient eingesetzt und nicht nach dem Gießkannenprinzip gestreut werden.
Es macht beispielsweise keinen Sinn, dass der Autobauer Porsche 44 Millionen Euro von der EU beansprucht, um sein Werk in Leipzig auszubauen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es einen Missbrauch von EU-Fördergeldern?
Nora Hesse: Es gab in der Vergangenheit zahlreiche Fälle, wo die Gelder nicht nach EU-Vorgaben verwendet wurden. Oft fehlte es auch an strengen Konditionalitäts- und Leistungskriterien bei der Mittelvergabe. Regionen konnten die gesetzten Förderziele ständig verfehlen und trotzdem weiter Fördermittel erhalten. Doch der Ex- EU-Kommissar für Regionalpolitik, Johannes Hahn, hat die Konditionalität innerhalb der EU gestärkt. EU-Fördergelder fließen nur dann, wenn sich der jeweilige EU-Staat an die Vorgaben aus Brüssel hält. Allerdings gibt es eine Reihe von EU-Staaten, in denen die Korruption grassiert. Dort kommt es auch zu einem massiven Missbrauch von Fördergeldern.
In Einzelfälle können die EU-Fördergelder positive Auswirkungen haben – allerdings nur dann, wenn sie mit wachstumsfördernden Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der EU-Staaten kombiniert werden. Es gibt jedoch keine eindeutigen Belege, dass die Strukturfonds insgesamt eine positive Gesamtwirkung auf die EU Wirtschaftsentwicklung gehabt hätten.
In den vergangenen 20 Jahren ist Griechenland – pro Kopf gemessen – der Hauptnutznießer von EU-Fördergeldern gewesen. Doch bewirkt haben die Gelder nur wenig. Der ehemalige griechische Wirtschaftsminister, Michalis Chrysochoidis, sagte vor zwei Jahren, dass die EU-Fördergelder nicht in wettbewerbsfähige Technologien oder in die Innovation gegangen sind. Nahezu alle Fördergelder sollen in die Gründung von Importfirmen geflossen sein. Diese kurbelten dann ein konsumorientiertes Wirtschaftswachstum an. Die Firmen, die etwas produzierten, machten dicht. Das sei die eigentliche Katastrophe Griechenlands gewesen.
Nora Hesse ist die stellvertretende Leiterin von Open Europe Berlin. Zuvor arbeitete sie für einen Bundestagsabgeordneten und als freie Dozentin und Übersetzerin. Sie ist Absolventin der Universität Sofia und der Universität Freiburg.