Der Protest gegen die EZB hat den verschiedenen Lagern die Möglichkeit geboten, sich politisch zu positionieren. Originellerweise prallen zwei Ideologien aufeinander, die dasselbe wollen, nämlich eine Umverteilung des Wohlstands - nur jeweils für unterschiedliche Gruppen.
Die zentralistische EZB-Politik will eine Umverteilung des Wohlstandes in Europa von Nord nach Süd, wodurch die jeweiligen Eliten in Politik und Finanzwirtschaft auf Dauer etabliert werden sollen.
Die europäische Linke will dagegen eine Umverteilung von Reich zu Arm in ganz Europa, wovon am Ende eine neue linke Elite in ganz Europa profitieren soll. Beide Gruppen glauben, dass man mit Schulden erfolgreich Politik machen kann. Und beide Gruppen stimmen darin überein, dass jene Gruppen der Gesellschaft, die heute über Ersparnisse oder Vermögen verfügen, die Umverteilung zu finanzieren haben. Bei der Troika heißt das "Vermögensabgabe", wie erst kürzlich wieder von der Unternehmensberatung McKinsey gefordert. Bei der Linken heißt es "Millionärssteuer", was jedoch faktisch zu einer Besteuerung der Mittelschicht führen muss, weil die wirklichen Super-Reichen ihre Vermögen längst in Steueroasen verbracht haben.
Daher ist es logisch, dass beide Ideologien die Blockupy-Proteste vereinnahmten - und dass die Proteste ironischer Weise mit den Anliegen der politischen Kontrahenten synchron gehen.
Als Meister der Dialektik nutzte Draghi die Proteste geschickt, um seine Botschaft zu platzieren: Dass nämlich eine politische Union notwendig sei, um eine Umverteilung unter den Euro-Staaten möglich zu machen. Draghi setzte sich mit seinen Ausführungen gewissermaßen an die Spitze der Bewegung, in dem er sich die Anliegen der Blockupy-Demonstranten zu eigen machte: Die EZB müsse auf alle Bürger in allen Euroländern genau hören, nicht nur auf einige wenige. «Es gibt einige, die wie die Demonstranten heute vor unserer Tür glauben, Europa tue zu wenig.» Diese Menschen wollten mehr finanzielle Solidarität unter den Nationen. «Aber die Eurozone ist noch keine politische Union, in der einige Länder permanent für andere bezahlen», sagte Draghi.
Die Betonung liegt hier eindeutig auf dem «Noch nicht», weil die Troika aus EZB, IWF und EU seit Anbeginn der Krise fordert, dass die Lösung der Krise nur in einer stärkeren Integration bestehen könne. Das machte Draghi auch am Mittwoch klar: Es gäbe einige Parteien, die zurück zu mehr nationalstaatlicher Kompetenz wollen, sagte Draghi unter Anspielung auf den Front National in Frankreich. Das das werde es nicht geben, erklärte Draghi durchaus apodiktisch.
Draghi sagte, dass Solidarität ein zentraler Punkt der europäischen Integration sei und dass einige Länder andere in der Krise unterstützt hätten. Aus Rücksicht auf das Gastland der EZB schränkte Draghi allerdings ein, dass dieser Zustand noch nicht in der gewünschten Vollkommenheit erreicht sei: «Aber es war immer klar, dass jedes Euroland auf den eigenen Füßen stehen können muss - dass jeder für seine Politik verantwortlich ist.» Dass einige Länder schwierige Reformen durchführen müssten, sei ihnen nicht von außen vorgeschrieben worden: «Es ist eine Konsequenz ihrer früheren Entscheidungen.»
Draghi richtete sich an jene Euro-Bürger, die in den vergangenen Krisenjahren Einkommen und Wohlstand verloren hätten. Als eine Institution der Europäischen Union, die eine zentrale Rolle in der Krise gespielt hat, sei die EZB in den Fokus der Frustrierten geraten, sagte Draghi. «Möglicherweise ist dieser Vorwurf nicht fair. Denn unser Handeln zielte genau darauf ab, die wirtschaftlichen Schocks abzufedern.»
Draghi ist unbeirrt vom Erfolg des Euro überzeugt: «Dieses Gebäude wird als Haus des Euro berühmt werden. Es ist ein Symbol des Besten, was Europa gemeinsam schaffen kann.» Es sei auch ein Symbol dafür, dass Europa niemals ein Auseinanderfallen riskieren dürfe.
Mit seiner an Demagogie grenzenden Dialektik zeigte Draghi, dass er es versteht, die aktuelle Krise zu nützen: Er will auch offiziell den Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa zu beschreiten. Mit der Entscheidung, Staatsanlieihen zu kaufen, ist Draghi faktisch bereits zum Super-Finanzminister der Euro-Zone geworden. Weil die EZB völlige Immunität genießt, kann Draghi alle Entscheidungen ohne demokratische Umwege und lästige Parlamentsabstimmungen treffen.
Er hat in diesem Punkt natürlich die Unterstützung der Regierungen, weil diese dank der Staatsfinanzierung durch die EZB auf absehbare Zeit weiter Schulden machen können. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zeigte daher für die EZB-Kritiker Null Toleranz: Das erschreckende Bild von Gewaltbereitschaft sei durch nichts zu rechtfertigen, sagte der SPD-Chef am Mittwoch in Berlin. Sigmar Gabriel wirft den Demonstranten ein erhebliches Unverständnis und spricht von einer «intellektuellen Fehlleistung», da die EZB viel für den Zusammenhalt in Europa tue. Dieser Fehler sei noch zu verzeihen. «Nicht verzeihlich ist Gewalttätigkeit.» Es müsse klar gemacht werden, wo die Grenzen im Staat gezogen werden müssen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte in Berlin: «Niemand hat das Recht, Polizei- und Feuerwehrbeamte an Leib und Leben zu gefährden.»
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel hat die Ausschreitungen dagegen mit den Protesten für mehr Demokratie in der Ukraine verglichen. «Auf dem Maidan in Kiew waren Rauchschwaden für die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung», schrieb Hänsel am Mittwoch bei Twitter. Gegen das kapitalismuskritische Blockupy-Bündnis, das in Frankfurt gegen die Europäische Zentralbank demonstrierte, betreibe die Presse hingegen Stimmungsmache.
Die Blockupy-Proteste waren unter anderem von den Linken aus Hessen organisiert worden.
EZB-Präsident Mario Draghi hatte den Neubau der Europäischen Zentralbank eröffnet. Während Demonstranten am Mittwoch in Frankfurt vor den weiträumig abgesperrten Glastürmen Mülltonnen und Autos in Brand setzten und mit Steinen warfen, feierte die Notenbank in kleinem Rahmen mit gut 100 geladenen Gästen. Ursprünglich hatte die EZB eine große Eröffnungsfeier mit Staatschefs geplant. Doch wegen der Proteste war die Feier drastisch verkleinert worden.
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Warum der Kampf ums Geld revolutionäre Züge trägt:
DWN-Herausgeber Michel Maier hat in seinem Buch genau die Spaltung der Gesellschaft beschrieben, wie wir sie heute erleben: Er analysiert, dass die mangelnde demokratische Legitimation von Institutionen wie der EZB zu neo-feudalen Strukturen führt. Solche Strukturen führen zwangsläufig zu Revolutionen, weil den Bürgern die Mitwirkung versagt wird. Die Beschimpfung der Kritiker als Idioten (der Philosoph Sigmar Gabriel nennt die Proteste eine «intellektuellen Fehlleistung») ist in der Regel ein untrügliches Zeichen für eine unumkehrbare Abkoppelung eines Politikers vom Souverän als seinem Auftraggeber. Es ist zu erwarten, dass diese Politik mit verstärkter Repression noch eine ganze Weile aufrechterhalten werden kann. Auf Dauer kann sie sich jedoch nicht durchsetzen.
Michael Maier, „Die Plünderung der Welt. Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen“.
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