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Ende der Massentierhaltung: Gutachter fordern radikalen Neuanfang

Von der Bundesregierung beauftragte Gutachter fordern das Ende der traditionellen Massentierhaltung. Die Mehrkosten in der Landwirtschaft werden zu höheren Preisen führen. Die Gutachter glauben jedoch, dass die Konsumenten bereit sind, mehr für Lebensmittel auszugeben.
04.04.2015 01:47
Lesezeit: 2 min

In den vergangenen Jahren war die Tierzucht regelmäßig in die Schlagzeilen gekommen. Massentierhaltung und ihre Folgen wurden diskutiert. Verändert hat sich aber noch nicht viel, wie ein ernüchterndes Gutachten für die Bundesregierung zeigt. Darin fordert der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik WBA zahlreiche Änderungen in der Tierhaltung.

„(1) Zugang aller Nutztiere zu verschiedenen Klimazonen, vorzugsweise Außenklima, (2) Angebot unterschiedlicher Funktionsbereiche mit verschiedenen Bodenbelägen, (3) Angebot von Einrichtungen, Stoffen und Reizen zur artgemäßen Beschäftigung, Nahrungsaufnahme und Körperpflege, (4) Angebot von ausreichend Platz, (5) Verzicht auf Amputationen, (6) routinemäßige betriebliche Eigenkontrollen anhand tierbezogener Tierwohlindikatoren, (7) deutlich reduzierter Arzneimitteleinsatz, (8) verbesserter Bildungs-, Kenntnis- und Motivationsstand der im Tierbereich arbeitenden Personen und (9) eine stärkere Berücksichtigung funktionaler Merkmale in der Zucht.“

Um den Tierschutz in der Tierhaltung tatsächlich grundlegend verbessern zu können, rechnen die Gutachter bei der Umsetzung dieser Leitlinien mit Mehrkosten von etwa 13 bis 23 Prozent, also insgesamt etwa 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich. Aus diesem Grund wird auch die Politik zu entsprechenden Maßnahmen aufgefordert. Nur so könne ein verbesserter Tierschutz überhaupt umgesetzt werden. So sollen in den Bundesländern die Kontrollen verbessert und öfter durchgeführt werden. Und bei Nichteinhaltung der entsprechenden Regelungen zum Tierschutz müsse es stärkere Sanktionen geben, so die Gutachter. Vom Bund verlangt  der Wissenschaftliche Beirat:

„(1) den Aufbau eines nationalen Tierwohl-Monitorings, (2) die Förderung innovativer Formen der Bürger-/Bürgerinnenbeteiligung, (3) Qualifikationsnachweise und Fortbildungsverpflichtung für Tierhalter/-innen und Tierbetreuer/-innen, (4) ein Informationsprogramm für Verbraucher/-innen inkl. eines staatliches Tierschutzlabels und (5) ein Forschungs- und Innovationsprogramm Tierwohl. (…)  Weitere vorgeschlagene Maßnahmen sind (6) Ergänzungen im Tierschutzrecht, (7) Prüf- und Zulassungsverfahren für Stall- und Schlacht-/Betäubungseinrichtungen, (8) Umschichtung von Mitteln der 1. in die 2. Säule der GAP, um die finanziellen Spielräume für Tierwohlmaßnahmen zu erhöhen, (9) (gemeinsam mit den Bundesländern) die Erweiterung des Maßnahmenspektrums der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) um weitere Tierwohlmaßnahmen und (10) die Ergänzung der öffentlichen Beschaffungsordnungen um Tierschutz.“

Ein großes Problem in der Tierhaltung in Deutschland ist dem Gutachten zufolge noch immer der eingeschränkte Raum für die Tiere. Von 4,2 Millionen Milchkühen beispielsweise hatten 2010 nur rund 1,8 Millionen regelmäßigen Weidegang. Von 8,45 Millionen Rindern (ohne die Milchkühe) fast nur ein Drittel Weidegang. Die anderen Rinder wurden zu 43 Prozent in Laufställen mit Gülle, zu 32 Prozent in Laufställen mit Festmist oder zu 18 Prozent in Anbindehaltung gehalten. Bei den Schweinen und den Hühnern ist die Lage noch Katastrophaler, wie die Grafik zeigt.

Und gerade der Umstand, dass eine große Zahl an Tieren auf kleinen Flächen gehalten wird, ist Auslöser für erhebliche Erkrankungen und weitere Tierquälerei.

„Bei vielen Tierschutzproblemen handelt es sich um multifaktoriell bedingte Schäden, Erkrankungen oder Verhaltensstörungen, für die darüber hinaus die Risiken auf mehreren Stufen der Haltung (z. B. Aufzucht- und Produktionsphase) angesiedelt sind. Meist sind Verbesserungsansätze daher notwendigerweise komplex. (…) Nicht-kurative Eingriffe wie Schwanz- und Schnabelkürzen oder Enthornen dienen dazu, Kannibalismus oder Tierverletzungen zu vermeiden, die aufgrund nicht tiergerechter Haltungssysteme und unzureichenden Managements entstehen.“

Beim Transport und der Schlachtung gibt es hinsichtlich des Tierschutzes ebenfalls erhebliches Verbesserungspotential.  So fehlen in kleineren Schlachtbetrieben oft Amtstierärzte zur Überwachung der Betäubung. Schlechtes Management führt zu langen Wartezeiten für die Tiere auf dem Transportfahrzeug. Billigarbeiter in Schlachtbetrieben verfügen zudem oft über zu geringe Sprachkenntnisse und zu wenig Wissen.

„Hohe Fluktuation, Sprachbarrieren, unangemessene Bezahlung und fehlende direkte Weisungsbefugnis der Tierschutz- und Qualitätsbeauftragten stellen ein adäquates Tierschutzniveau im Zusammenhang mit der Schlachtung auch in Zukunft infrage.“

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