Politik

Steuergeld ohne Ende: „Unsere Parteien werden von Bürger-Parteien zu Staatsparteien“

Lesezeit: 4 min
15.04.2015 00:18
Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim will mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht die ausufernde und unkontrollierte heimliche Staatsfinanzierung der etablierten Parteien in Deutschland stoppen. Wenn die Klage erfolgt hat, könnten die Parteien gezwungen werden, sich vom Staat als Selbstbedienungsladen zu verabschieden und müssten wieder verstärkt um die Unterstützung durch die Bürger wetteifern.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es gibt in Deutschland die Praxis, dass die Parteien die Regeln der Parteienfinanzierung routinemäßig umgehen. Sie versorgen ihre Stiftungen, Fraktionen und Stäbe mit Steuergeldern. Seit nunmehr drei Jahren kämpfen Sie gegen diese „wohldotierten Pfründen“, die die Parteien an ihre Gefolgsleute verteilen. Der Bundestag scheint darauf zu setzen, das Ganze zu verschleppen…

Hans Herbert von Arnim: Seit nunmehr fast drei Jahren ist beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren anhängig, in welchem die Ökologisch-Demokratische Partei gegen die verdeckte Parteienfinanzierung durch Fraktionen, parteinahe Stiftungen und Abgeordnetenmitarbeiter klagt. Sie sieht sich in verfassungswidriger Weise in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. In dem Verfahren sind inzwischen rund 200 Seiten Schriftsätze gewechselt. Auf die Klageschrift der ÖDP von 2012 haben der Bundestag und die CDU/CSU-Fraktion schriftsätzlich geantwortet, worauf die ÖDP wiederum replizierte, was den Bundestag zu einem weiteren Schriftsatz veranlasste, worauf die ÖDP wiederum antwortete. Die Klageschrift und die Schriftsätze der ÖDP sind im Internet allgemein zugänglich. Nach der jüngsten Äußerung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts soll eine Entscheidung noch im ersten Halbjahr 2015 getroffen werden. Ich vertrete die ÖDP vor dem BVerfG.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sind die Parteien an diese Pfründen gekommen?

Hans Herbert von Arnim: Um die ganze Dimension der verdeckten Parteienfinanzierung zu erfassen, muss man zurück in die Geschichte gehen: Als die Parteien im Parlament in den sechziger Jahren ihre Staatsfinanzierung in gewaltigen Sprüngen aufstockten, musste das Bundesverfassungsgericht die Notbremse ziehen, um zu verhindern, dass die „Selbstbedienung“ in den Himmel wuchs: Um die Bürgernähe der Parteien nicht zu gefährden, errichtete das Gericht Obergrenzen. Um die öffentliche Kontrolle zu aktivieren, schrieb es eine gesetzliche Regelung der bewilligten Beträge im Parteiengesetz vor. Im Interesse der Chancengleichheit setzte es eine Beteiligung außerparlamentarischer Parteien an der Staatsfinanzierung durch, wenn diese mindestens ein halbes Prozent bei Bundestagswahlen erlangen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Parteien haben diese Grenzziehungen allerdings nicht sonderlich beeindruckt, sie holen sich das Geld eben auf andere Weise…

Hans Herbert von Arnim: Die Parteien im Parlament, die über alle einschlägigen Regelungen selbst bestimmen, setzten zu einem großen, lang anhaltenden Umgehungsmanöver an: Sie stockten die Mittel für die damals neu eingeführten Abgeordnetenmitarbeiter, für die Fraktionen und die neu eingeführten Globalzuschüsse der Parteistiftungen so gewaltig auf, dass diese die staatliche Parteienfinanzierung inzwischen weit hinter sich lassen. Das wurde dadurch ermöglicht, dass die für die Parteienfinanzierung bestehenden Grenzen und Kontrollen für die Finanzierung von Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen immer noch fehlen: Für sie bestehen weder Obergrenzen, noch bedürfen Erhöhungen einer gesetzlichen Regelung, so dass diese in den tausenden von Haushaltstiteln des Budgets leicht untergehen und so die öffentliche Kontrolle unterlaufen. Von allen diesen Bewilligungen, die den Parteien im Parlament vielfach zugutekommen, bleiben ihre außerparlamentarischen Konkurrenten ausgeschlossen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Von welchen Größenordnungen sprechen wir?

Hans Herbert von Arnim: Die Bundestagsfraktionen, die ihren Mutterparteien auf verschiedenen Wegen unter die Arme greifen, zum Beispiel durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, haben sich für 2015 83,843 Millionen Euro bewilligt; ihren Stiftungen, die ihren Parteien vielfältig Gutes tun, bewilligen sie in 2015 allein an Globalzuschüssen 116 Millionen Euro (wobei die weiteren rund 340 Millionen Euro, welche die Stiftungen für bestimmte Projekte, teilweise auch im Ausland, erhalten, noch nicht mitgerechnet sind). Für Ihre Mitarbeiter haben sich Bundestagsabgeordnete im Jahre 2015 172,45 Millionen Euro bewilligt. So verfügt jeder Bundestagsabgeordnete inzwischen über rund 21.000 Euro monatlich (einschließlich der Arbeitgeber-Sozialleistungen) für persönliche Mitarbeiter, womit insgesamt rund 4400 Personen, teils in Berlin, teils im Wahlkreis, beschäftigt werden. Die Mitarbeiter werden ebenfalls auf vielfache Weise für Parteizwecke eingesetzt, zum Beispiel im Wahlkampf und durch die Beschäftigung von Parteiangestellten als Abgeordnetenmitarbeiter. Dabei darf der Abgeordnete seine Mitarbeiter nur „zur Unterstützung bei der Erledigung seiner parlamentarischen Arbeit“ einsetzen (Paragraph 12 Abs. 3 Abgeordnetengesetz).

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das Phänomen auf die Bundesparteien beschränkt?

Hans Herbert von Arnim: In den Bundesländern kommen weitere rund 120 Millionen Euro für die Parlamentsfraktionen und rund 90 Millionen Euro für etwa 3000 persönliche Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten hinzu (Zahlen von 2014), zusammen also fast 600 Millionen Euro. Demgegenüber beträgt die durch Obergrenzen gedeckelte direkte staatliche Parteienfinanzierung „nur“ 157 Millionen Euro, also kaum mehr als ein Viertel. Was das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Staatsfinanzierung der Parteien verhindern wollte, dass sie nämlich unbegrenzt und unkontrolliert „in den Himmel wächst“, ist hinsichtlich der selbst bewilligten Mittel für Fraktionen, Parteistiftungen und Abgeordnetenmitarbeiter inzwischen geschehen. Und von allem sind die außerparlamentarischen Konkurrenten der Parlamentsparteien völlig ausgeschlossen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Deutschland hat ja, aus gutem Grund, eine repräsentative Demokratie. Doch damit kann kein Selbstbedienungsstaat gemeint gewesen sein?

Hans Herbert von Arnim: „Ohne wirksame Kontrollen“ tendiere der in eigener Sache beschlossene Geldbedarf der Ersatzparteien nun mal „gegen unendlich“, so der frühere Bundestags- und Europaabgeordnete Werner Schulz (Die Grünen). Das viele Geld fällt dann, wie der ehemalige Bundestagsabgeordnete Konrad Schily (FDP) überrascht feststellte, „wie Manna vom Himmel“. Da in Partei und Parlament auf beiden Seiten meist dieselben Personen das Sagen haben, ist im alles dominierenden Kampf um Macht und Einfluss die Versuchung groß, die Fraktionen und Stiftungen sowie die Abgeordneten immer besser auszustatten, um sie immer mehr Arbeit der Parteien übernehmen zu lassen und diesen entsprechende Ausgaben zu ersparen. Damit wird die „Trennung zwischen parlamentarischer und parteipolitischer Arbeit“ zunehmend zur „Fiktion“ und zur „politischen Lebenslüge“ des Parteienstaats, räumt der frühere Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, offen ein und bestätigt damit die Existenz verdeckter Parteienfinanzierung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Folgen hat diese Entwicklung für die Demokratie?

Hans Herbert von Arnim: Die verschleierte Staatsfinanzierung schafft zwei große Probleme: Erstens lässt sie die Parlamentsparteien allmählich von Mitgliederparteien zu bürgerfernen Staatsparteien werden. Diese sind durch das viele Geld immer weniger auf die Bürger angewiesen, verlieren mehr und mehr ihre Bodenhaftung und sind für den wachsenden Graben zwischen Politik und Bürgern mitverantwortlich. Das widerspricht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien. Zweitens sind die Konkurrenten der Parlamentsparteien, die kleineren außerparlamentarischen Parteien, von den zusätzlichen Ressourcen völlig ausgeschlossen, obwohl das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben hat, dass auch sie an der Staatsfinanzierung zu beteiligen sind. Das widerspricht dem Grundsatz der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie kann dieser undemokratische Zustand beendet werden?

Hans Herbert von Arnim: Genau wie das Bundesverfassungsgericht der Parteienfinanzierung eine absolute Obergrenze gesetzt und Erhöhungen dem Gesetzesvorbehalt unterworfen hat, um öffentliche Kontrolle zu ermöglichen, muss es dies auch hinsichtlich der öffentlichen Mittel für Fraktionen, Stiftungen und Abgeordnetenmitarbeiter durchsetzen. Zugleich ist die zweck- und verfassungswidrige Verwendung der Mittel für Parteien zu unterbinden, die überzogenen Bewilligungen müssen massiv gekürzt werden, und außerparlamentarischen Parteien ist ein Ausgleich für fortbestehende Benachteiligungen zu gewähren.

Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim lehrt als pensionierter Professor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zur europäischen Politikfinanzierung veröffentlicht. Von ihm erschienen zuletzt „Der Verfassungsbruch“, „Politische Parteien im Wandel“; „Der Bundespräsident. Kritik des Wahlverfahrens und des finanziellen Status“; „Die Deutschlandakte: Was Politiker und Wirtschaftsbosse unserem Land antun“; „Volksparteien ohne Volk: Das Versagen der Politik“.


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