Politik

Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen

Zum Europatag 2025 richtet sich der Blick erneut nach Berlin. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch – nicht nur innerhalb der Union, sondern auch darüber hinaus. Doch wer einen genaueren Blick in den neuen Koalitionsvertrag wirft, der muss sich fragen: Wird Berlin dieser Verantwortung gerecht? Oder erleben wir bloß eine Wiederholung altbekannter Floskeln, die an der Realität der multiplen EU-Krisen vorbeigehen?
11.05.2025 14:37
Lesezeit: 2 min
Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen
Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) trifft zu einem Treffen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Von der Leyen am Sitz der EU in Brüssel ein. (Foto: dpa/AP | Virginia Mayo) Foto: Virginia Mayo

Europa als Bühne, nicht als Ziel

Der Ton im Vertrag ist versöhnlich, die Worte europafreundlich. Es ist von strategischer Souveränität, digitaler Transformation und einer gemeinsamen Steuerpolitik die Rede. Doch hinter der Rhetorik verbirgt sich ein Europa-Programm, das mehr an symbolische Pflichtübungen als an echten Gestaltungswillen erinnert.

Zwar soll Europa ein Ort gemeinsamer Werte und wirtschaftlicher Stärke bleiben – doch ausgerechnet in der entscheidenden Frage der Finanzierung bleibt die neue deutsche Regierung auf vertrautem Kurs: Keine Vergemeinschaftung von Schulden, keine dauerhaften eigenen Einnahmen der EU, keine revolutionäre Fiskalpolitik. Stattdessen: Sparsamkeit, Mahnungen an die EZB zur politischen Zurückhaltung – und ein nahezu peinlich präziser Rückzahlungsplan für die Schulden des „Next Generation EU“-Pakets.

Ein Europa der Bremser

Das ist kein Aufbruch, das ist Verwaltung des Status Quo. Dabei drängt die geopolitische Lage Europas mehr denn je nach einem politischen Kraftakt: Russland steht weiter vor den Toren der Ukraine, die USA setzen auf bilaterale Deals und protektionistische Wirtschaftsstrategien, China dehnt seinen Einfluss unaufhaltsam aus. Doch aus Berlin kommt kein Signal der Entschlossenheit – nur technokratische Lösungsansätze und institutionelle Vorsicht.

Der oft beschworene „Paradigmenwechsel“ in der Verteidigungspolitik? Auf dem Papier existent, aber finanziell kaum unterfüttert. Der Ausbau einer europäischen Sicherheitsarchitektur ohne echte Eigenmittel bleibt Wunschdenken. Auch der Vorschlag eines „Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten“ zeigt: Man glaubt in Berlin selbst nicht mehr an den Konsens in Brüssel – und zieht sich in nationale Interessenssphären zurück.

Deutschlands Verantwortung – ein Missverständnis?

Der slowenische Oppositionsführer Tonin sprach kürzlich begeistert von Deutschlands Rückkehr als Führungsmacht Europas. Doch diese Vorstellung offenbart weniger Vertrauen in die EU als vielmehr eine Rückkehr zu einem Denken, das man überwunden glaubte: Europa als deutsches Projekt. Die Geschichte hat gezeigt, wohin solche Denkmuster führen können.

Der neue Koalitionsvertrag trägt diesem Anspruch nicht Rechnung. Im Gegenteil: Er offenbart, dass Deutschland nicht Europa retten will – sondern bestenfalls seine Rolle darin bewahren. Die Botschaft ist klar: Stabilität ja, aber keine Vision. Verantwortung – aber vor allem für sich selbst.

Fazit: Stillstand mit Ankündigung

Europa steht an einem Scheideweg – und Deutschland hat erneut die Chance, Richtung zu geben. Doch der neue Koalitionsvertrag zeigt: Diese Chance wird vertan. Ohne fiskalischen Mut, ohne institutionellen Reformwillen und ohne geopolitisches Führungsbewusstsein wird Deutschland nicht zum Motor der EU – sondern zur Bremse.

Am Europatag 2025 bleibt deshalb nur die Hoffnung: Dass aus Berlin irgendwann mehr kommt als Absichtserklärungen. Denn wenn jedes Land in erster Linie nur für sich selbst verantwortlich ist, dann bleibt für Europa kein Raum. Und ohne Europa – wird es auch kein deutsches Jahrhundert geben.

Wird Europa den nächsten Sturm überstehen – oder erleben wir nur das geordnete Verwalten des Zerfalls?

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