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Gauweiler: EuGH-Urteil ist Kriegs-Erklärung an Bundesverfassungs-Gericht

Lesezeit: 4 min
16.06.2015 10:27
Der Europäische Gerichtshof hat erwartungsgemäß der EZB grünes Licht zum Gelddrucken gegeben. Damit hat Karlsruhe nun ein Problem: Das deutsche Höchstgericht hält das OMT-Programm nämlich für eine Gefährdung der nationalen Budgethoheit. Kläger Peter Gauweiler spricht von einer Kriegserklärung des EuGH an Karlsruhe.
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Die Europäische Zentralbank (EZB) darf zur Euro-Rettung grundsätzlich Staatsanleihen kaufen. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg (Rechtssache C-62/14). Ein entsprechendes Programm der Notenbank von 2012 sei rechtmäßig, urteilten die Richter. «Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten», teilte der Gerichtshof mit.

Diese Entscheidung kommt nicht überraschend: Der Generalanwalt des EuGH hatte die Linie bereits vor Monaten vorgegeben. Tatsächlich arbeiten beide EU-Institutionen eng zusammen: Beide haben den ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag, die Integration in Europa voranzutreiben. Das bringt sowohl den EuGH als auch die EZB in einen gewissen Grundkonflikt mit den entsprechenden nationalstaatlichen Organisationen.

Konkret ging es um den EZB-Beschluss aus dem Sommer 2012, unter Bedingungen notfalls unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen, um diese zahlungsfähig zu halten. In der Praxis hat die EZB dieses Kaufprogramm mit dem Namen «Outright Monetary Transactions» (OMT) allerdings nie genutzt. Allein die Ankündigung beruhigte die Märkte, das räumen sogar Kritiker ein.

Das Urteil gibt EZB-Chef Mario Draghi Rückendeckung beim aktuellen Kaufprogramm, das seit März 2015 läuft und mit einem Volumen von 60 Milliarden Euro monatlich die Konjunktur anschieben soll. Mit dem Kauf von Staatsanleihen drückt die EZB die Zinsen des betroffenen Landes, das dann weniger für Kredite zahlen muss und zahlungsfähig bleibt.

Der Gerichtshof stellte zudem fest, dass das OMT-Programm auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Die Richter gaben der EZB allerdings vor, die von ihr selbst gesetzten Regeln auch einzuhalten: Die Notenbank müsse - falls sie das OMT-Programm jemals nutze - eine Mindestfrist einhalten und dürfe ihre Entscheidung zum Ankauf oder das Volumen nicht vorher ankündigen.

Der jahrelange Rechtsstreit um die Anleihenkäufe ist damit höchstrichterlich auf EU-Ebene geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Thema zur Klärung an den EuGH gegeben. In Karlsruhe hatten der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die Bundestagsfraktion der Linken und der Verein «Mehr Demokratie» geklagt. Fast 12.000 weitere Kläger schlossen sich an.

Vor dem Bundesverfassungsgericht hatten die Kläger Recht bekommen: Die Karlsruher Richter kamen im Februar 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschritten, weil sie laut EU-Vertrag keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben dürfe. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Karlsruhe gab das Thema an den EuGH in Luxemburg, der nun anders entschied.

Karlsruhe selbst hält Draghis OMT-Programm für illegal: «Das OMT-Programm und mehr noch die angekündigten Anleihenkäufe bedeuten eine weitere Gefährdung der nationalen Budgethoheit», sagte der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart damals auf Nachfrage den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Er hatte bereits nach dem Plädoyer des Generalanwalts des EuGh gewarnt: «Sollte der EuGH der Stellungnahme ihres Generalanwalts folgen, ist das in der Tat ein Problem für das Verfassungsgericht. Die Frage ist, ob es sich mit den Maßgaben, wie sie im Votum aufgeführt werden, zufrieden gibt oder Einschränkungen fordert. Karlsruhe hat allerdings keine unmittelbare Handhabe, um einzugreifen», so Degenhart.

Nach der Entscheidung wird nun erwartet, dass es «verhältnismäßig schnell zu einer neuen Verhandlung in Karlsruhe kommen“.

Nach dem Urteil des EuGH ist auch die EZB unter Zugzwang. Sie müsste eigentlich Konsequenzen ziehen: «Wenn der EuGH die Stellungnahme seines Generalanwalts bestätigt, wird die EZB wohl die Troika verlassen müssen. Es wird in diese Richtung laufen», sagte Degenhart.

Der FDP-Politiker Frank Schäffler sieht ebenfalls Handlungsbedarf in Karlsruhe: «Das Urteil des EuGH ist kein Freibrief für Mario Draghi. Es mag nach dem Urteil des EuGH rechtmäßig sein, dass die EZB unbegrenzt Staatsanleihen ankaufen darf. Mit deutschem Verfassungsrecht muss dies noch lange nicht in Einklang stehen. Das Bundesverfassungsgericht ist jetzt am Zug. Es hat in seinem Urteil im März 2014 deutlich gemacht, dass nach dem Grundgesetz der OMT-Beschluss nicht mit dem Mandat der Europäischen Zentralbank gedeckt ist. Schon damals hat es Bundesregierung und Bundestag aufgefordert, "über die Einhaltung des Integrationsprogramms zu wachen und bei offensichtlichen strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen durch Organe der EU aktiv auf die Einhaltung des Integrationsprogramms hinzuwirken. Jetzt darf das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Lippen spitzen, sondern muss auch pfeifen. Und Bundesregierung und Parlament müssen dem Treiben der EZB endlich Einhalt bieten. Ansonsten wird der Euro unweigerlich zum lateineuropäischen Euro.»

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) scharf kritisiert. «Das ist ein bedauerlicher Fehler des Gerichts», sagte Sinn am Dienstag in München. Anders als vom Gericht dargestellt, überschreite die EZB sehr wohl ihre Kompetenzen und betreibe Wirtschaftspolitik. Der Ökonom bezeichnete die Argumentation des Gerichts als nicht nachvollziehbar und appellierte an das Bundesverfassungsgericht, sich bei der nun anstehenden Entscheidung «nicht beirren» zu lassen.

Der CSU-Politiker Peter Gauweiler hat das Ja des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den Staatsanleihenkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) als schweres Fehlurteil kritisiert. Gauweiler und Mitkläger Dietrich Murswiek werteten den EuGH-Spruch am Dienstag als schwerwiegende Verletzung der Souveränität der EU-Mitgliedstaaten. Die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts habe der EuGH beiseite gewischt. «Für das Bundesverfassungsgericht ist das Urteil des EuGH eine Kriegserklärung», hieß es in Gauweilers und Murswieks Presseerklärung.

Gauweiler hatte in Karlsruhe gegen das Anleihenprogramm geklagt, das Bundesverfassungsgericht dann den Fall dem EuGH vorgelegt. Der EuGH gebe mit seinem Urteil einen Freibrief für die Umverteilung von Haushaltsrisiken unter den EU-Staaten in Höhe von Hunderten Milliarden Euro, kritisierte Gauweiler. «Er segnet damit die von der EZB bewirkte Vergemeinschaftung der Haftung für Staatsschulden ab, die es nach dem Willen der Vertragsstaaten nicht geben sollte.»

Gauweiler und Murswiek forderten das Bundesverfassungsgericht auf, nun gegen den EuGH vorzugehen. So sollen die Karlsruher Richter die Bundesregierung verpflichten, gegen die Vertragsverletzungen vorzugehen. «Diplomatische Proteste sind das Mindeste, was sofort unternommen werden muss», hieß es in der Mitteilung.

Gerhard Schick, Sprecher für Finanzpolitik bei den Grünen, sieht das Urteil dagegen absolut positiv: «Ich bin sehr erleichtert, dass der EuGH der EZB die Handlungsmöglichkeiten nicht beschnitten hat. Gerade in dieser Woche wäre eine andere Entscheidung fatal gewesen. Denn dass die Diskussion um einen Grexit bisher noch kein Finanzmarktchaos in Spanien und Portugal ausgelöst hat, liegt nur daran, dass die EZB bereit ist, zur Not Anleihen dieser Länder zu kaufen.»

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