Politik

Top-Banker: USA werden Euro-Austritt Griechenlands nicht zulassen

Der Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, hält einen Austritt Griechenlands aus dem Euro für konsequent. Es werde jedoch trotz all des Getöses nicht dazu kommen. Griechenland sei für die Amerikaner geopolitisch zu wichtig. Die politisch schwachen EU-Retter werden einlenken, glaubt Hellmeyer.
30.06.2015 00:26
Lesezeit: 5 min

Der Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, analysiert in einer Mitteilung an seine Kunden die Lage in Griechenland:

„Griechenland bewegt die Welt! – Wann ist dieses Drama ultimativ beendet? Der Euro eröffnet heute gegenüber dem USD bei 1.0990 (07.55 Uhr), nachdem der Tiefstkurs der letzten 24 Handelsstunden bei 1.0956 im asiatischen Geschäft markiert wurde. Der USD stellt sich gegenüber dem JPY auf 122.45. In der Folge notiert EUR-JPY bei 134.60. EUR-CHF oszilliert bei [1.0325.Athen] war vor gut 2350 Jahren der Nabel der Welt. Das war fraglos kulturell auch wohl verdient. Seinerzeit konnte man in Griechenland vor allen Dingen gut rechnen ... Seit fünf Jahren steht Athen wieder im Zentrum der Welt. Das ist für ein Land mit 10 Mio. Einwohnern und einer im Verhältnis zur Weltwirtschaft überaus überschaubaren Ökonomiepotenz durchaus bemerkenswert. Der Grund für diese Aufmerksamkeit liegt einerseits in der politischen Inkompetenz, die vor 2008/2009 grassierte und seit dem 25. Januar 2015 wieder akut ist, als auch in dem dramatisch hohen gesellschaftlich verankerten Korruptionsklima. Dieser Trackrecord, lieber Herr Tsipras, der so gerne von Würde spricht, ist würdelos!

Warum stellt man sich in Athen nicht der Realität? Weil die Herren Tsipras und Varoufakis nichts von ihrem Altvorderen Aristoteles halten (wer Strukturen verändert, verändert im Zeitverlauf Konjunkturlagen und ultimativ die privaten und öffentlichen Haushaltslagen – anekdotisch seit 2350 Jahren bestätigt). Damit negieren sie auch den Grund, der Athen zur Blüte verhalf. Schuldenschnitte zu Lasten Dritter stehen auf der aggressiv vorgetragenen Wunschliste Athens mit der freundlichen Anmerkung, dass man unser Geld nicht wolle. Hoppla, man will keine Kredite in Athen, man will viel mehr: Geschenke! Man will weitere Geschenke, nachdem es bereits einen Schuldenschnitt für Athen in Höhe von 100 Mrd. Euro gab. Das entsprach 10.000 Euro pro Kopf! Hier gilt es, kurz inne zu halten. Herr Tsipras redet nicht nur von Würde der Griechen, sondern auch von Demokratie, die es angeblich im Umgang mit Griechenland nicht gibt. Zu Demokratie, lieber Herr Tsipras, gehört Rechtsstaatlichkeit. Die Rechtsstaatlichkeit wird von der Regierung Tsipras im außenpolitischen Umgang dramatisch verletzt. Die Verträge der demokratisch legitimierten Regierungen Griechenlands werden von Tsipras & Co. unter Verweis auf ihren Wahlerfolg in Abrede gestellt. Wer seinen Thesen folgt, schafft die totale Anarchie.

Mehr noch verbindet Tsipras mit seinem Wahlvotum die Forderung, dass 18 demokratisch legitimierte Regierungen sich dem Votum Griechenlands beugen. Das wäre ein totalitärer Ansatz. In der Eurogruppe gab es ein demokratisches Votum 18 zu 1 gegen Athen. Wer, lieber Herr Tsipras“ hat hier ein Defizit im Verständnis von Demokratie? Ich könnte Sie auch fragen, dass man nur stark sein kann, wenn man auch stark ist, das gilt für Struktur, Konjunktur und Haushalt. Sind Sie das oder liefert Griechenland ein Bild, das dem diamtral entgegen gesetzt ist? Nachdem wir hiermit deutlich machten, dass die Regierung Tsipras sowohl die Begriffe Würde als auch Demokratie missbraucht, wenden wir uns weiteren Finessen der Aktualität zu.

Herr Tsipras hat Entscheidungen getroffen, die eindeutig und bei professioneller Auslegung irreversibel sind und massive Folgen haben müssten. Das Hilfsprogramm läuft aus. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist damit nicht mehr gegeben. Die EZB hätte die ELA-Hilfen fällig stellen müssen. Das Bankensystem und die Wirtschaft brächen zusammen, was vom griechischen Wähler durch die Zustimmung (Wahl und Umfragen) auch gewollt/toleriert ist. Damit wäre der Exit Griechenlands aus der EU und der Eurozone vorgezeichnet. Es wäre teuer, aber anschließend wäre die Eurozone von dieser latenten Last und uneuropäischen Verhaltensweise seitens Athens (Missverständnis des Begriffs Solidarität) befreit. Man könnte sich auf die Stärken fokussieren.

Wird das passieren? Aller Voraussicht nach, wird ein anderer Weg in der EU/Eurozone und dem IWF beschritten. Alle Äußerungen aus Kontinentaleuropa und Washington (IWF und US-Administration) weisen in die Richtung, dass alle Türen offen bleiben. Ergo: was sind Verträge in der EU/Eurozone eigentlich wert? Das Hilfsprogramm läuft am 30 Juni aus. An dem folgenden Wochenende gibt es ein Referendum in Griechenland bezüglich dieses Hilfsprogramms und der Reformpolitik. Es gilt die Absurdität dieser Veranstaltung zu verdeutlichen: Ein Mann oder eine Frau lässt sich wegen aggressiven Fehlverhaltens seiner Frau/ihres Mannes scheiden. Die potentielle Scheidung ist teuer. Nach der vollzogenen Scheidung veranlasst die Frau/der Mann ein Referendum im Freundeskreis, ob die Scheidung bindend und relevant ist und der ehemalige Ehemann/ehemalige Ehefrau akzeptiert dieses Verhalten.

(aus Gründen der Vermeidung diskriminierender Betrachtungen beidseitige Personenwahl)

Der Begriff Fassungslosigkeit gewinnt derzeit tagtäglich an inhaltlichem Volumen.

Was steckt hinter diesem Verhalten seitens der Troika: Regierungen kommen und gehen, Länder bestehen. Seitens der EU will man vermeiden, dass die Inkomptenz einer Regierung zu einer dramatischen Folge für ein Land und eine Bevölkerung wird. Auf Diplomatenebene existiert der Begriff „looking through events“, um diese Politikvariante zu beschreiben. In diesem Zusammenhang git es, zu hinterfragen, wann Griechenland die letzte kompetente Regierung hatte und ob das die Norm oder die Ausnahme war, um die Sinnfrage für diesen Ansatz zu erörtern? Dier nächste Ansatz steckt in der Geopolitik. Die Tatsache, dass Griechenland in die Eurozone aufgenommen wurde, hatte erheblichen Einsatz der USA hinter den Kulissen als zwingende Voraussetzung. Die Rolle einer regierungsnahen US-Investmentbank in diesem Prozess mag als erste anekdotische Evidenz dienen.

Die Tatsache, dass die deutsche Bundeskanzlerin gestern bezüglich eines innereuropäischen Themas mit Herrn Obama konferierte und davor sehr still war, könnte in die identische Richtung interpretiert werden. Sollte die EU/Eurozone Geopolitik dritter Kräfte umsetzen oder sich selbst verantwortlich sein? Diese Frage müsste in diesem Zusammenhang beantwortet werden. Die Eurozone – Herausforderung für Dritte? In vielen Gesprächen ist mir aufgefallen, dass das Selbstbewußtsein in der Eurozone unausgeprägt ist. Das ist vor dem Trackrecord der Fakten und Potentiale bedauerlich. Fakt ist, dass diese Eurozone eine Herausforderung für Dritte mit hegemonialen Ansprüchen darstellt.

Kommen wir zu den Fakten: Die Eurozone beheimatet 330 Mio.Menschen (USA 320 Mio, Japan 127 Mio.). Es gibt für einen Wirtschaftsraum mit mehr als 300 Mio. Menschen nirgends bessere Infrastruktur als in der Eurozone (Straße, Schiene, Wasser, Flug, Vernetzung). Es gibt für einen Wirtschaftsraum mit mehr als 300 Mio. Menschen nirgends bessere vertikale und horizontale Unternehmensstrukturen, die höchste Effizienz ermöglichen. Pro Kopf hat die Eurozone die meisten Patente im Vergleich zu USA, UK und Japan. Das ist Ausdruck der Zukunftsfähigkeit. Der Kontinent der „Hidden champions“ (= Nummer 1 im eigenen Land, unter Top 3 der Weltwirtschaft):

Japan: 250, USA: 350, Deutschland. 1.300, Eurozone: Daten nicht verfügbar – Schätzung Richtung 2.000

(Vielleicht liegt auch hier der Grund für viel NSA-Aktivität ....)

Die Eurozone hat im Gegensatz zu den USA, Japan, und UK eine aktive Handels- und Leistungsbilanz als Ausdruck der internationalen Konkurrenzfähigkeit des Produkt- und Dienstleistungsangebots. Im Gegensatz zu den USA, Japan und UK sind die strukturellen Haushaltsdefizite in der Eurozone bereinigt (per 2015 Überschuss in Höhe von 1,2% des BIP/ Daten IWF). Die Eurozone hat mit dem Fiskalpakt Elemente des Goldstandards aufgenommen, es gibt kein „Free Lunch“. Solidarität in der Hilfe bedingt Reformen (Aristoteles!). Wann werden wir uns unserer Stärken, wann thematisieren wir sie angemessen öffentlich bewusst und wann nutzen wir sie in einem angemessenen Rahmen? Vor diesem Hintergrund sollte es ein Ende haben, Mitglieder, die die Bedingungen für die EU oder Eurozone nicht in zartesten Ansätzen erfüllen, aufzunehmen oder zu assoziieren.

Damit wird dieser potente Status erodiert. Man schadet den Menschen der EU/Eurozone, denen man verpflichtet ist. Mehr noch untergräbt es das Vertrauen der Menschen in der EU und die Eurozone!

Rationalität forderte eine konsequente Haltung in der Eurozone, aber wer ist rational?

Aktuell ergibt sich ein Szenario, das den Euro gegenüber dem USD favorisiert. Erst ein Unterschreiten der Unterstützungszone bei 1.0800 -30 neutralisiert den positiven Bias des Euros.“

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