Politik

Juristen verzweifelt: EU hat vergessen, den Euro-Crash zu regulieren

Die EU-Juristen haben eine unerfreuliche Entdeckung gemacht. Sie haben vom Staubsauger bis zum Obst-Anbau alles reguliert. Doch ausgerechnet für den Euro-Crash finden sie in ihren Schränken keine Verordnung, nach der sie vorgehen könnten: Griechenland fällt nämlich in zwei Tagen in das Schwarze Loch zwischen EU und Euro. In diesem Loch wird es sehr unangenehm.
07.07.2015 12:18
Lesezeit: 3 min

In Vorbereitung auf den XXXVIII. EU-Rettungsgipfel suchen Brüsseler Juristen fieberhaft nach einer Lösung für Griechenland. Sie tun das nicht, weil die EU den Euro-Austritt Griechenlands unbedingt will, sondern weil Griechenland bald ganz ohne finanzielle Unterstützung von außen dastehen wird. Die ELA-Notkredite reichen nur noch bis Mittwoch. Danach haben die Banken keine Liquidität mehr und können den Griechen keinen einzigen Euro mehr ausreichen.

In diesem Fall besteht die Gefahr, dass mittellos gewordene Mitbürger die EU-Touristen mit der Bitte um ein Almosen behelligen könnten, oder aber sogar die Gucci-Handtasche einer erholungsbedürftigen Dame aus Düsseldorf mit dem Geldautomaten der lokalen Alpha-Bank verwechselt wird. 

Dieses Szenario möchten die Euro-Retter und die griechische Regierung vermeiden. Die Euro-Retter wollen nicht, dass die Einheitswährung in Verruf kommt. Athen weiß, dass soziale Unruhen nicht mehr zu kontrollieren wären. Um den totalen Zusammenbruch zu verhindern, müsste Athen mit dem Drucken einer eigenen Währung beginnen. Darin sehen die EU-Juristen eine erste Möglichkeit, um den Griechen einen Strick zu drehen.

Sollte Griechenland anfangen, seine eigene Währung zu drucken, kann es nicht mehr über den ESM gerettet werden. Dieser ist nur für Mitglieder zugänglich, die den Euro als Währung führen. Das wäre dann praktisch nicht mehr der Fall. Allerdings bliebe Griechenland aus juristischer Sicht Teil der Eurozone. Damit wäre Griechenland dann von der dass es sogenannten „Europäischen Zahlungsbilanzhilfe“ ausgeschlossen. Über diesen weithin unbekannten zweiten Rettungsschirm werden die nicht-Euro-Staaten der EU gerettet. Ungarn, Rumänien und Litauen - bevor das Land ebenfalls den Euro als Währung einführte - erhielten alle im Rahmen der Krise Zahlungen aus diesem von der EU aufgesetzten Transfer-Programm. Daraus kann Griechenland auch kein Geld bekommen – weil es ja juristisch noch im Euro steckt.

Der geregelte Austritt aus der Eurozone ist juristisch nicht möglich. Zumindest findet sich im EU-Vertragswerk offiziell keine Möglichkeit. Scheinbar gibt es aber doch eine Möglichkeit, wenn auch eigentlich nur theoretisch, nämlich Artikel 50 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (VAEU). Laut diesem ist ein Austritt aus der gesamten EU möglich. Allerdings müsste laut Art. 50 Griechenland selbst einen Austritt beantragen. Dies gilt als sehr unwahrscheinlich, da Griechenland mehrfach erklärt hat, nicht austreten zu wollen. Griechenland müsste von irgendjemandem gezwungen werden, was sehr unwahrscheinlich ist. Auch die Russen werden Griechenland in keiner Weise unterstützen, weil ein angeschlagenes Griechenland in der EU für Putin viel nützlicher ist als ein weiterer Kostgänger im ohnehin maroden Verbund der ehemaligen Sowjetrepubliken.

Nun haben EU Rechtsexperten Art. 7 des VAEUs als mögliche juristische Exitstrategie identifiziert. Dieser auch als Panik-Paragraph bezeichnete Passus wurde in das EU Vertragswerk aufgenommen, als die österreichische Regierung die FPÖ von Jörg Haider in die Koalition aufnahm. Die EU-Spitzenpolitiker wollten sich eine Möglichkeit offen halten, Länder, welche die europäischen „Grundwerte“ missachten, zu bestrafen. Laut Art. 7 kann die EU-Kommission, das europäische Parlament oder ein Drittel der Mitgliedstaaten einen EU Mitgliedstaat anschwärzen, sollte dieser die europäischen Grundwerte verletzen. Danach kann der Rat mit der Mehrheit von vier Fünftel seiner Mitglieder feststellen, „dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der europäischen Werte durch einen Mitgliedstaat besteht. Nach einer Stellungnahme des betroffenen Mitgliedstaates „kann der [EU] Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten”.

Nun stellt sich hier die Frage, ob der Druck seiner eigenen Währung eine Verletzung der europäischen Werte darstellt. Laut FT ist das zwar weit hergeholt. Allerdings wäre Art. 7 eine denkbare Variante, da es sich ja hier nur um ein Aussetzen und nicht um einen unwiderruflichen Rausschmiss handeln würde. Außerdem bräuchte man für die Anwendung dieser Klausel nicht einmal die Zustimmung Griechenlands.

Diese Lösung ist um einiges wahrscheinlicher, als dass am Ende doch auf Art. 352 des VAEUs zurückgegriffen werden muss. Dieser ist eigentlich eine Flexibilitätsklausel: Sollten wir etwas tun müssen, das der EU auf den Weg hilft, aber welches nicht im EU-Vertragswerk geregelt ist, so kann im Grunde jede Änderung per Einstimmigkeitsprinzip erzwungen werden.

Das Einstimmigkeitsprinzip von Art. 352 bedeutet, dass Griechenland den Grexit per Veto verhindern kann. Damit fällt diese Regelung weg. Sie wäre vielleicht noch vor ein paar Monaten möglich gewesen – etwa durch einen Deal mit den Griechen, der beiden die Möglichkeit geboten hätte, das Gesicht zu wahren. In zwei Tagen ist so ein Akt nicht zu stemmen – außer unter massivem Kokain-Einfluss aller Beteiligten.

Daher befinden sich die Brüsseler Spitzenjuristen kurz vor dem Sommerurlaub in der misslichen Lage, ausgerechnet in einer Frage, in der Regulierung unerlässlich ist, nicht reguliert zu haben. Während mittlerweile vom Gemüse bis zum Staubsauger alles reguliert ist, ist in einer Frage, die ohne Regulierung zwangsläufig ins Chaos führt, keine vernünftige Verordnung zu finden.

Der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart hält den Zustand für unhaltbar: „Es ist ein Unding, dass es keine rechtliche Regelung für den Eventualfall eines Euro-Austritt eines Landes gibt.“ Degenhart verweist im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten darauf, dass bei der Einführung des Euro der politische Wunsch vorgeherrscht habe, die Währung „irreversibel“ zu machen. So verständlich dieser Wunsch ist, die Gesetzgebung und Vertragsgestaltung hätte jedoch für jeden möglichen Fall Vorkehrungen treffen müssen, „weil es ja denkbar ist, dass sich der politische Wille einmal ändert“.

Möglicherweise werden die Brüsseler PR-Meister in die Bresche springen, damit die Euro-Retter beim XXXVIII. EU-Rettungsgipfel doch noch eine gute Lösung präsentieren können: Man kann den Bürgern ja erklären, dass es sich nicht um Chaos und Rechtlosigkeit handelt, sondern dass der absurde Zustand der Ausdruck der Freiheit ist, welche in dieser wunderbaren EU herrscht, in der jeder tun und lassen kann, was er will – sofern er an den Hebeln der Macht sitzt.

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