Politik

Merkel auf Crash-Kurs: Brutaler Kampf gegen Griechenland

Lesezeit: 3 min
12.07.2015 23:47
In der Euro-Zone wird der Kampf immer brutaler: Angela Merkel setzt Alexis Tsipras mit äußerster Härte unter Druck. Zwischen Schäuble und Draghi ist es zu einem Zerwürfnis gekommen. Beobachter in aller Welt sind entsetzt und sprechen von martialischen Methoden der Deutschen.
Merkel auf Crash-Kurs: Brutaler Kampf gegen Griechenland

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Die Euro-Retter wandeln sich zusehends in Euro-Zerstörer. Die italienische Zeitung La Stampa enthüllt, dass es beim Finanzminister-Treffen zu einem Eklat gekommen ist, der so heftig war, das Jeroen Dijsselbloem das Treffen vorzeitig abbrechen musste. MArio Draghi wollte Wolfgang Schäuble ein Detail der griechischen Schulden erklären. Darauf habe Schäuble ausrufen: "Ich bin nicht blöd!"

Alexis Tsipras ist offenbar verzweifelt und versucht, sein Land zu retten. Er soll den Euro-Gruppen-Vorschlag lediglich um vier Punkte ergänzen wolle: Der IWF soll ausgeschlossen werden, ein Schuldennachlass müsse deutlicher erwähnt werden, die Treuhand-Idee von Schäuble sei inakzeptabel und die EZB solle ein Siglan geben, dass sie die griechischen Banken weiter mit ELA-Notkrediten versorgen wird:

Die internationalen Kommentatoren sind sprachlos über das Geschehen. Selbst langgediente Journalisten könne sich nicht an derartig brutale Methoden erinnern: Der Guardian schreibt, Deutschland fordere von Griechenland die Aufgabe der Souveränität, um neue Kredite zu bekommen. Die FT schreibt, Deutschland verlange von Griechenland die Selbstzerstörung wie weiland Karthago. Der Economist sagt, Deutschland habe ungeheuer viel politisches Kapital verbrannt - es sei unklar, wie dieses wieder hergestellt werden soll. Bloomberg schreibt, Deutschland verlange die totale Kapitulation von Griechenland.

Auf Twitter braut sich unter dem Hashtag #thisisacoup (Das ist ein Staatsstreich!) ein Proteststurm aus ganz Europa gegen die Bundesregierung zusammen:

Der Grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold fasst das Desaster zusammen:

Der Anforderungskatalog der Eurogruppe ist gekennzeichnet von sozialem Kahlschlag und Demokratieabbau. Der Vorschlag ist ein Folterinstrument, kein verantwortungsvolles Reformprogramm. Faktisch will die Eurogruppe Griechenland in ein Protektorat der Eurozone umwandeln. Es ist beschämend, dass europäische Demokratien einander die Souveränität absprechen wollen. Der Text folgt Geist und Inhalt des Grexit- Vorschlags der deutschen Bundesregierung. Als Hardliner in den Verhandlungen ist die Bundesregierung die treibende Kraft beim Abbau europäischer Werte wie Demokratie und soziale Gerechtigkeit.

Die Finanzminister der Eurozone fordern faktisch die Unterwerfung Griechenlands unter ihr Diktat: Sie verlangen von der griechischen Regierung, Gesetzesinitiativen in den relevanten Bereichen im Vorfeld von der Troika absegnen zu lassen. Letztendlich bedeutet diese demokratische Zwangsjacke nichts anderes als die Fremdverwaltung Griechenlands durch die Gläubiger.

Die Finanzminister wollen an der griechischen Regierung ein Exempel statuieren. Nach dem Motto "Friss oder stirb!" sollen all jene zu unannehmbaren Entscheidungen genötigt werden, die sich der einseitigen Austeritätspolitik verweigern. Diese Form der Erpressung ist mit europäischen Werten unvereinbar. Wenn dieses Programm beschlossen wird, wird diese Vorgehensweise Europa schweren Schaden zufügen. Kein Mitgliedsstaat kann eine solche Entmündigung akzeptieren und in allen anderen Ländern werden Europaskeptiker Zuwachs bekommen.

Anstatt Wachstumsimpulse zu setzen, verschärft das Programm die gescheiterte Kaputtsparpolitik. Die Griechen haben nun die Wahl zwischen einem "temporären" Grexit und einer Politik, die ihre Wirtschaft in die Knie und ihre Bevölkerung in die weitere Verarmung zwingt. Offensichtliches Ziel ist, Griechenland aus der Eurozone zu treiben, ohne es direkt zu fordern. Es hätte jetzt ein klares Signal für die Suche nach einem für alle Seiten tragfähigen Kompromiss gebraucht. Aber dieses Programm ist eben kein fairer Kompromiss.

Schäuble und seine Finanzministerkollegen benehmen sich wie die gestrengen Schulmeister der Griechen. Sie dürfen sich aber nicht von dem Motiv leiten lassen, eine missfällige Regierung für ihre Fehler zu bestrafen. Die Staats- und Regierungschefs sind jetzt gefordert, dieses antieuropäische Treiben ihrer Kassenwarte im Interesse der europäischen Einheit zu korrigieren. Es geht schon lange nicht mehr um die Details der Vorschläge. Es geht um die Rettung des europäischen Projektes.

Niemand, dem etwas am Erhalt der europäischen Einigung und Solidarität liegt, kann dieses Programm begrüßen. Die Bundesregierung steht vor einem europapolitischen Scherbenhaufen. Offenkundig hat sie entgegen aller Beteuerungen vor dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit den Grexit in den Verhandlungen forciert. Es ist beschämend, dass all dies geschehen ist, ohne dass Vizekanzler Gabriel sein Veto einlegt. Er und seine europäischen Partner und auch Martin Schulz müssen unverzüglich erklären, dass sie diesen Kurs der Unterjochung Griechenlands nicht mittragen. Von Thomas Oppermann erwarte ich die klare Botschaft, dass die SPD-Bundestagsfraktion der Bundesregierung die Gefolgschaft verweigert, wenn diese die Axt an Europa anlegt.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konfliktlösung ohne Gericht: Verbraucherschlichtung als Chance für Ihr Business
27.04.2024

Verabschieden Sie sich von langwierigen Gerichtsverfahren! Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) senken Sie Ihre Kosten,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
27.04.2024

Wegen Waffenknappheit setzt der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, auf Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie, um sein Land...

DWN
Finanzen
Finanzen Hohes Shiller-KGV: Sind die Aktienmärkte überbewertet?
27.04.2024

Bestimmte Welt-Aktienmärkte sind derzeit sehr teuer. Diese sind auch in Indizes wie dem MSCI World hoch gewichtet. Manche Experten sehen...

DWN
Finanzen
Finanzen EM 2024 Ticketpreise explodieren: Die Hintergründe
27.04.2024

Fußball-Enthusiasten haben Grund zur Freude: Es besteht immer noch die Chance, Tickets für die EM 2024 zu erwerben. Allerdings handelt es...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland als Unternehmensstandort: Zwischen Herausforderungen und Chancen
27.04.2024

Trotz seines Rufes als europäischer Wirtschaftsmotor kämpft Deutschland mit einer Vielzahl von Standortnachteilen. Der Staat muss...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
27.04.2024

Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
27.04.2024

Viele Anleger wollen an der Börse vermögend werden. Doch ist das wahrscheinlich - oder wie wird man tatsächlich reich?

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...