Politik

Bundesregierung erwartet bis zu 800.000 Asylbewerber in diesem Jahr

Lesezeit: 2 min
19.08.2015 15:56
Die Zahl der Asyl-Suchenden dürfte in diesem Jahr einen neuen Rekord erreichen. Von etwa 800.000 Antragstellern werde die Hälfte in Deutschland bleiben, erwartet die Organisation Pro Asyl.
Bundesregierung erwartet bis zu 800.000 Asylbewerber in diesem Jahr

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nannte am Dienstag die Marke von 700.000 bis 800.000 erwarteten, neuen Asyl-Anträgen. Die offizielle Prognose wollte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am frühen Mittwochabend in Berlin vorstellen. Der Ressortchef hat die Bevölkerung längst darauf eingestimmt, dass die Zahl «erheblich höher» ausfallen wird als bisher vorhergesagt.

Im Mai hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch 450.000 Asylanträge bis zum Jahresende vorhergesagt. Schon das wäre ein Rekord gewesen. Nun geht die Zahl aber drastisch nach oben. In der Koalition ist von 700.000 bis 800.000 Asylbewerbern in diesem Jahr die Rede. So viele gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Der neue Stand wird einiges verändern in Deutschland.

Nur einmal kletterte die Zahl die Asylanträge bislang über die Marke von 400 000. Das war 1992. Damals kamen zu Zehntausenden Flüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien und aus Südosteuropa ins Land. In den Jahren danach wurden die Flüchtlingszahlen durch schärfere Asylgesetze stetig nach unten gedrückt. 2008 zählten die Behörden gerade mal 28 000 Asylanträge. Nach diesem Tiefstand gingen die Zahlen dann wieder kontinuierlich nach oben - zuletzt wegen internationaler Krisen in rasanten Sprüngen: 2013 waren es 127 000, 2014 dann schon gut 200 000 - und 2015 wird es ein Vielfaches davon.

Bislang basierten die Prognosen auf der Zahl der Asylanträge. Doch inzwischen reisen so viele Menschen ein, dass die Behörden bei den Asylverfahren kaum hinterherkommen. Viele Schutzsuchende sind schon viele Wochen in Deutschland, bevor sie ihren Antrag überhaupt stellen können. Bei ihrer Ankunft in Deutschland werden sie aber schon im sogenannten EASY-System erfasst - einem IT-System zur «Erstverteilung von Asylbegehrenden», daher die Abkürzung. In den ersten sieben Monaten wurden dort fast 310 000 Menschen als asylsuchend registriert. Einen Asylantrag stellten im gleichen Zeitraum aber nur etwa 218.000 Menschen. Die Zahlen klaffen zunehmend auseinander. Der Bund berechnet die erwartete Flüchtlingszahl daher nun auf Basis der höheren EASY-Zahlen.

Was bedeutet der enorme Anstieg für Deutschland? Schon jetzt sind die Flüchtlingsunterkünfte überfüllt und die Behörden überlastet. Beim BAMF haben sich inzwischen mehr als 250 000 unerledigte Asylanträge angestaut. Mit dem bisherigen Ansatz wird die neue Lage kaum zu bewältigen sein. Der Staat wird sich wohl von einigen Vorschriften und Verwaltungsabläufen lösen müssen, um die Asylverfahren im großen Stil zu beschleunigen oder zügig neuen Raum für Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Gefragt seien nun unkonventionelle Maßnahmen, meint Oppermann.

Es müssen wohl Zehntausende zusätzliche Plätze in Erstaufnahmestellen geschaffen werden. Zur Debatte steht, Bauvorschriften für Flüchtlingsunterkünfte zu lockern, meldet die dpa. Mehrere Bundesländer holen außerdem bereits pensionierte Beamte aus dem Ruhestand, um das BAMF zu unterstützen. Auch Bundeswehr-Leute und Zollbeamte sollen bei der Behörde aushelfen.

In den nächsten Jahren ist nach Einschätzung von Experten nicht mit einem nennenswerten Rückgang der Asylzahlen zu rechnen. Der Staat wird auf lange Sicht viel Geld in die Hand nehmen müssen, um die Schutzsuchenden vernünftig zu versorgen, unterzubringen und zu integrieren. Dabei geht es um Milliardenbeträge, die die Finanzplanung der nächsten Jahre durcheinanderbringen dürfte. Überfordert ist Deutschland dadurch sicher nicht vorausgesetzt, es gelingt, das gesellschaftliche Klima der Akzeptanz nicht zu gefährden, welches in Deutschland in den vergangenen Jahren geherrscht hat und wodurch sich Deutschland als ein beliebtes Ziel-Land profiliert hat.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl verlangt, der Staat müsse endlich ein dauerhaftes Aufnahmekonzept erarbeiten, die Menschen aus den Notunterkünften holen, ihnen Zugang zu Sprachkursen gewähren und gleich zu Beginn mit der Integration beginnen. «Schätzungsweise die Hälfte der Flüchtlinge wird hierbleiben», sagt Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die Entwicklung sei eine Chance, kein Problem. Deutschland ist in den kommenden Jahren dringend auf Zuwanderung angewiesen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Private Pflegezusatzversicherungen: Wichtige Absicherung mit vielen Varianten
01.05.2024

Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht oft nicht aus, um die Kosten im Pflegefall zu decken. Welche privaten Zusatzversicherungen bieten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 22-Prozent unbezahlte Überstunden: Wenn Spitzenkräfte gratis arbeiten
01.05.2024

Arbeitszeit am Limit: Wer leistet in Deutschland die meisten Überstunden – oft ohne finanziellen Ausgleich? Eine Analyse zeigt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Die größten Kostenfallen: So sparen Sie bei Fonds, Aktien und Co.
01.05.2024

Viele Anleger unterschätzen die Wirkung von Anlagekosten. Dabei sind Fondsgebühren, Orderkosten und Co. auf lange Sicht enorm...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Konsumstimmung steigt: Die Deutschen shoppen wieder
01.05.2024

Laut aktuellen Erhebungen der GfK steigt die Konsumstimmung in Deutschland für den Mai auf ein Zwei-Jahres-Hoch. Ausschlaggebend sind...