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BIZ: Mächtigste Bank der Welt warnt vor fatalen Risiken im Finanz-System

Lesezeit: 5 min
15.09.2015 00:38
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) warnt wegen der Schulden-Exzesse vor neuen Banken-Krisen weltweit. China, Asien, Brasilien und die Türkei gelten als besonders gefährdet. Wegen der weltweiten Vernetzung der Banken besteht akute Ansteckungsgefahr.
BIZ: Mächtigste Bank der Welt warnt vor fatalen Risiken im Finanz-System

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Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben die amerikanische Notenbank öffentlich vor einer Straffung der Geldpolitik gewarnt. Bekannte Ökonomen wie Larry Summers oder Paul Krugman sind in den wachsenden Chor der Warner eingestiegen. Nun zeigt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, was die Risiken der Schwellenländer sind. Die Risiken resultieren aus einer viel zu starken Kreditvergabe vor allem seit 2009. Dabei sind die Wirtschaftsräume und Länder aber unterschiedlich betroffen. China, Brasilien und Türkei werden explizit als Risiko für eine inländische Bankenkrise innerhalb der nächsten drei Jahre bezeichnet.

Die in Basel beheimatete Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist diskreter und weniger lautstark als die Institutionen in Washington. Doch ihre Botschaft in den Quartalsberichten ist ziemlich klar. Es gibt in den Schwellenländern eine fatale Risikokumulation. Sie resultiert vor allem aus einer in den letzten Jahren sehr stark angewachsenen Verschuldung des privaten Sektors. In Nordamerika und Europa ist dagegen die öffentliche Verschuldung besorgniserregend angewachsen. Als Wirtschaftsraum ganz besonders betroffen ist Asien, mit China im Zentrum.

Das Risiko resultiert vor allem aus dem kreditgetriebenen Investitionsboom in China. Mit diesem verbunden waren sehr hohe Rohstoffpreise. Direkt und indirekt haben Rohstoff-Produzentenländer einerseits und im asiatisch-pazifischen Raum andere Länder mit Exporten nach China andrerseits eine zu hohe Investitionstätigkeit und eine sehr starke Zunahme der privaten Verschuldung verzeichnet. Diese Investitionen könnten sich als weit übertrieben erweisen, weil sie unter viel zu optimistischen Annahmen über den langfristigen Wachstumspfad vorgenommen wurden. Die Verschuldung wiegt jetzt umso schwerer, wenn diese Projektionen nicht zutreffen. Zudem verdrängten starke Währungen in den Jahren 2005-11 andere produktive Sektoren im Export.

Die Auslandverschuldung des privaten Sektors in den Schwellenländern ist etwa je zur Hälfte auf die Banken und auf den nicht-finanziellen Sektor verteilt. Es dominiert also nicht wie in der Vergangenheit ein „sovereign risk“, sondern ein ganz ausgeprägtes Risiko der Banken und vor allem der nicht-finanziellen Unternehmen in den Schwellenländern.

Anders als in der Vergangenheit konzentriert sich das Risiko nicht allein auf die kreditgebenden Banken in den OECD-Ländern. Stark zugenommen hat vor allem die Verschuldung über Unternehmensanleihen, welche in den Büchern von Asset-Managern einerseits und bei Obligationen- sowie anderen Fonds gelandet sind. Deren Verhalten ist schwieriger einzuschätzen und allenfalls unberechenbarer, vor allem bei Rücknahmen der Fondsanteile. Verschiedene Länder haben heute auch bedeutende Teile der Staatsanleihen, die in ausländischer Hand liegen. Die Krise der Peripherieländer lässt grüßen.

In Bezug auf die Währungsrisiken dominiert in den Schwellenländern der US-Dollar. Yen und Euro spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die BIZ notierte aber bereits in ihrem Quartalsbericht vom zweiten Quartal, dass sie grenzüberschreitende Bankkredite weniger stark als in der Vergangenheit als Risiko ansieht. Auch stehen aufgrund der vergangenen Exporterlöse viele Länder mit höheren Devisenreserven besser da als in der Vergangenheit. Sie sind besser als in früheren Krisen gewappnet.

Als zusätzliches Risiko für die Schwellenländer muss der Rückgang der Direktinvestitionen erwähnt werden. In der ersten Jahreshälfte 2015 sind die Direktinvestitionen des Auslandes in den meisten Schwellenländern stark gefallen. Sie sind teilweise um 50 bis 100% gegenüber der ersten Jahreshälfte gestürzt, wie die Financial Times berichtet. Nur wenige Länder erreichen Zuwächse, darunter einige allerdings sehr kräftige. Der Rückgang der Direktinvestitionen hat zwei Auswirkungen: Damit wird die inländische Aktivität, vor allem aber die Investitionstätigkeit zusätzlich abgeschwächt. Und die Finanzierung der Leistungsbilanz wird außerdem erschwert.

Die BIZ hat ein Frühwarnsystem für inländische Bankenkrisen entwickelt. Eine starke Zunahme der Verschuldung einerseits und der Immobilienpreise andererseits, relativ zum langfristigen Trend gesehen, stellen die beiden ersten Warnsignale dar. Die aktuell zu bezahlende Quote des Schuldendienstes auf der einen Seite und die Quote bei einer starken Zinserhöhung um 250 Basispunkte auf der anderen sind zwei weitere Indikatoren. Gemessen an diesen Indikatoren und deren Entwicklung in früheren Krisen müssen China, Brasilien und die Türkei als hoch riskant bezeichnet werden. auf Erfahrung beruhend könnte es binnen dreier Jahre so zu klassischen inländischen Bankenkrisen kommen. Aber auch andere wichtige asiatische Länder wie Hongkong, Singapur, Malaysia, Indonesien und Thailand zeigen ähnliche Symptome stark erhöhter Anfälligkeit für Bankenkrisen. Aus all dem resultiert ein ganz ausgeprägt regionales China- und Asienrisiko.

Traditionell äußert sich die BIZ nicht oder nur andeutungsweise zu den politischen Risiken. Dies soll hier ergänzt werden. Hohe politische Risiken bestehen dort, wo Regierungen schwer angeschlagen sind, als unfähig oder korrupt angesehen werden oder wo schwere Krisen bis hin zu Bürgerkriegen drohen. Als besonders gefährdet müssen derzeit die Türkei, Brasilien oder Malaysia angesehen werden.

Die einzelnen von der BIZ subsumierten Risiken lassen sich in eine Dynamik fassen. Als hauptsächliches Risiko müssen die Wirtschaftsaussichten in China betrachtet werden. Bei einer harten Landung werden die Rohstoffpreise weiter unter Druck geraten. Die Exporterlöse der Rohwaren-Produzenten oder anderer Zulieferer im asiatisch-pazifischen Raum können dann als Treiber für einen weiteren Verfall der Währungen dieser Länder wirken.

Neben diesen von China ausgehenden Risiken müssen die inländischen Risiken in vielen Ländern hervorgehoben werden. Dabei sind bedeutende Unterschiede zu diagnostizieren. Es gibt Länder, die viel besser positioniert und weniger anfällig auf Schocks sind. Indien kann dabei hervorgehoben werden, weil sich seine Energieimporte reduzieren. Auch Länder mit großen Devisenreserven wie Singapur oder Hongkong sind viel besser geschützt. Besonders riskant ist eine Konstellation, wenn die Währungsreserven zu gering sind oder rasch aufgebraucht werden. Versucht die Notenbank dann zunächst mit Devisenverkäufen und später mit Zinserhöhungen die Währung zu stabilisieren, läuft das Land zunächst in eine Situation ohne genügende Reserven. Weitere Zinserhöhungen können dann eine offene inländische Bankenkrise auslösen. Bei dieser generell hohen, privaten Verschuldung sind die Zinsrisiken im Vergleich zur Vergangenheit präzedenzlos. Diesbezüglich dürfen auch die politischen Risiken nicht unterschätzt werden. Die Rolle ausländischer Fondsanleger ist sehr bedeutend geworden, denn sie können mit Panikrückzügen eine klassische Schwellenländer-Krise auslösen.

Ein drittes Risiko besteht offensichtlich im Verhalten der amerikanischen Zentralbank. Moderat höhere Zinsen, wie sie von der Zentralbank annonciert worden sind, dürften nicht ausreichen, direkt einen Zinsschock in den Schwellenländern zu entfachen. Das Risiko besteht vielmehr darin, dass der US-Dollar gestärkt wird. Dies setzt die Rohstoffpreise unter Druck und vertieft die Krise der Produzentenländer. Eine generelle Dollarstärke würde auch die Kapitalflucht aus den Schwellenländern verstärken. Indirekt und mit Verzögerung kann dies dann in einzelnen Ländern zu Zinshaussen führen.

Aufgrund dieser Konstellation rufen viele Beobachter nach einer Verschiebung von Zinsschritten. In diesem Zusammenhang stellen sich einige Fragen und Überlegungen:

• Nützt dies wirklich etwas? Die Fed kann auf Zinserhöhungen vorläufig verzichten. Ist die Situation der Schwellenländer in sechs Monaten oder nach den Wahlen im nächsten Herbst dann besser?

• Das hauptsächliche Risiko aber besteht darin, dass das Festhalten an der Nullzinspolitik deutlich größere Zinsanpassungen zu einem späteren Zeitpunkt notwendig macht. Die US-Konjunktur brummt, der Arbeitsmarkt trocknet aus. Von den mittelfristigen Inflationsaussichten her müsste die ultralockere Geldpolitik schleunigst aufgegeben werden. Verschiebt die Fed die Anpassung, so kann sie später teuer dafür bezahlen. Der Grat zum Verlust der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik ist nicht schmal, aber auch keine Autobahn. Wenn die Fed die Zinsen dann auf 3-5% anheben muss, wird der Sache nicht gedient sein.

• Die Zinshausse ist schon weitgehend vorweggenommen und eingepreist. Muss die Zentralbank später mehr an der Zinsschraube drehen, würde der Effekt auf den Dollar noch viel stärker ausfallen.

• Schließlich fördert die ultralockere Geldpolitik auch in den USA die Gefahr von Blasen und überzogener Kreditvergabe. Aktien- und Immobilienmarkt sind teilweise stark überbewertet. Eine große Rolle spielt vor allem die Ausdehnung des ungenügend überwachten und regulierten Schattenbanksystems, das bei Nullzinsen prächtig gedeiht. Dieses Wachstum sollte die Notenbank keinesfalls weiter finanzieren.

Die Schwellenländer befinden sich in einer riskanten Situation. Doch anders als in der Vergangenheit ist die amerikanische Zentralbank nur ein Faktor. China und die Bedingungen in einzelnen Schwellenländern vor allem im asiatisch-pazifischen Raum stellen eigenständige und komplex verbundene Risiken dar. Die US-Zentralbank kann nicht alles lösen. Verzichtet sie jetzt auf Zinsschritte, wird sie zu einem späteren Zeitpunkt umso mehr nachholen müssen.


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