Politik

Die besseren Argumente: Putin drängt in Syrien-Krise die USA in die Defensive

Russlands Präsident Putin gewinnt langsam die Oberhand in der Diskussion über die Lösung des Syrien-Konflikts. Die US-Regierung steht ohne politischen Plan da. Statt alles zu unternehmen, um die Massen-Vertreibung aus dem Nahen Osten zu stoppen, schicken die Amerikaner Think Tanks in die Schlacht: Sie bauen die Legende auf, dass eigentlich Putin am Chaos in Syrien schuld sei.
15.09.2015 15:37
Lesezeit: 3 min

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Der russische Präsident Wladimir Putin hat die internationale Gemeinschaft zum gemeinsamen Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien aufgefordert. „Wir unterstützen die Regierung in Syrien in ihrem Widerstand gegen die terroristische Aggression und leisten auch weiterhin die nötige militär-technische Hilfe“, sagte Putin am Dienstag in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. „Wir rufen andere Länder auf, sich uns anzuschließen“, sagte der Kremlchef der Agentur Interfax zufolge auf einem Gipfel der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS). Die Lage sei „sehr ernst“.

Die EU ist bereits zu weiten Teilen auf Putins Seite: Vor allem Deutschland hat überraschend verlauten lassen, dass ein Ende der Kämpfe in Syrien nur mit Putin und Assad möglich sei. Zuvor hatten Spanien und Österreich dieselbe Position eingenommen. Italiens größte Oppositionspartei Forza Italia fordert auch eine Normalisierung des Verhältnisses mit Russland. Ex-Premier Silvio Berlusconi hat vor einigen Tagen sogar Putin auf der Krim besucht.

Russland hatte sich zuletzt mehrfach dafür ausgesprochen, eine internationale Koalition im Kampf gegen den IS zu bilden. Putin hat die besseren Argumente auf seiner Seite: Er will den syrischen Machthaber Baschar al-Assad sowie die „gesunde Opposition“ des Landes beteiligen. Assad sei zur Zusammenarbeit bereit, betonte Putin. Die USA sind unentschlossen: Während US-Präsident Barack Obama einem Bericht von Consortiumsnews zufolge Putins Initiative gutheißt oder ihr sogar explizit zugestimmt hat, versuchen die Neocons, Putin zu diskreditieren.

Zu diesem Zweck werden die entsprechenden Think Tanks in die Schlacht um die öffentliche Meinung geschickt. So berichtet die dpa, dass das „Internationale Institut für Strategische Studien (IISS)“ in London vor einer Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime warne. Der IS sei nur zu schlagen, wenn sich der Westen Assad entgegenstellte, sagte IISS-Nahostexperte Emile Hokayem am Dienstag. „Die derzeitige Strategie ist höchst fehlerhaft“, betonte er. Um die Ausbreitung des IS zu verhindern, sei der Westen sowohl auf die Kurden als auch auf sunnitische Muslime angewiesen. „Und wenn man sunnitische Araber an Bord holen will, braucht man eine politische und militärische Lösung, um das Schicksal Assads in Angriff zu nehmen.“

Es ist bemerkenswert, dass der hoch angesehenen Nachrichtenagentur dpa, die diese Lobby-Aussage ohne Einordnung quasi als objektive, unabhängige Expertise referiert, nicht auffällt, dass diese Aussage kompletter Unsinn ist. Warum sollte denn ein Zwei-Fronten-Krieg gegen Assad und den IS zum Erfolg führen? Schon bisher hat die von den USA geführte Allianz in Syrien alles andere als erfolgreich agiert – eben genau, weil die Lage viel zu komplex ist: So hatten die Amerikaner zunächst die Entstehung des IS mit Wohlwollen beobachtet. Als klar wurde, dass der gesamten Welt damit eine extremistische Gefahr erwächst, war es zu spät für einen Kurswechsel.

Einer der Gründe, warum die USA Assad stürzen wollen, war von Anfang an der Versuch, die Russen aus dem Nahen Osten zu verdrängen. Der Grund ist  der ewige Kampf um die Rohstoffe in der Region. 

Die mangelnden US-Militärerfolge sind der Hauptgrund, warum Putin sich jetzt überhaupt erst bemüßigt sieht, einzugreifen. Ob die Lage militärisch dadurch besser wird, ist zweifelhaft: Auch die Russen werden im Nahen Osten zuerst auf die eigenen Interessen achten. Umso törichter ist es von den USA, den Gedanken einer politischen Lösung nicht aktiver weiter zu verfolgen.

Putin wies zurecht darauf hin, dass der Westen die Lage in Syrien, im Irak, in Afghanistan und weiteren Ländern destabilisiert hätte. „Nicht wir haben dort die staatlichen Machtinstitutionen zerstört und ein Machtvakuum geschaffen, das nun die Terroristen füllen“, sagte er.

„Wenn Russland Syrien nicht unterstützen würde, dann wäre die Lage in dem Land noch schlimmer (...), und es gäbe noch mehr Flüchtlinge“, sagte Putin. Er warf den USA vor, bei ihrer Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten gezielt auf radikale Kräfte zu setzen, um unliebsame Regierungen zu stürzen.

Es gehöre zum „gesunden Menschenverstand“, bei globalen Bedrohungen wie durch den IS die Kräfte der Weltgemeinschaft zu vereinen. Dabei griff Putin einen früheren Vorschlag Russlands für die Schaffung eines gemeinsamen Systems der euroatlantischen Sicherheit auf. Auch die OVKS-Länder seien zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit. In der auf Sicherheitsfragen spezialisierten Organisation kooperieren die Ex-Sowjetrepubliken Weißrussland, Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan und Armenien mit Russland. Die OVKS will künftig für den Einsatz in Krisengebieten gemeinsame Friedenstruppen bilden.

Interessant: Auch der Iran scheint bereit zu sein, an der Seite Russlands und der Allianz in den Kampf einzusteigen: Das iranische TV berichtet sehr wohlwollend über die neue Initiative Russlands (Video am Anfang des Artikels). Angesichts der neuen Entspannungspolitik zwischen Teheran und Washington dürfte es für die US-Regierung schwierig werden, das Engagement des Iran als unerheblich einzustufen.

Die Amerikaner haben darauf bisher keine Antwort gefunden: Sie beschränken sich auf das stumpfsinnige Spiel, Putin die Schuld an der Syrien-Krise zu geben. Zuletzt hatte Außenminister John Kerry davor gewarnt, das Engagement Russlands werde noch mehr Flüchtlinge nach Europa treiben. In Washington wird bereits eifrig an einer Argumentationslinie gearbeitet, die in völliger Verdrehung der Tatsachen Putin als das Problem darstellen soll, wie der stets gut informierte Robert Parry berichtet.

Tatsächlich droht eher ein anderes Szenario – welches Senator Lindsey Graham beschreibt: Die militärische Lage im Nahen Osten sei völlig außer Kontrolle geraten, nur eine massive Militärintervention der USA mit möglicherweise vielen toten Soldaten könne zu einem Ende des Krieges führen.

So weit wollen nicht einmal die Neocons gehen – weil diese Haltung in den USA nicht im Ansatz mehrheitsfähig ist. Was dann jedoch droht, sind weitere Vertreibungen und der Zerfall einer ganzen Region, unmittelbar vor den Toren Europas. Dies birgt auch für Russland beträchtliche Gefahren und erklärt, warum Putin sich für eine gemeinsame Allianz einsetzt.

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