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Weniger Zentralismus: VW beschließt radikalen Konzern-Umbau

Lesezeit: 3 min
25.09.2015 23:32
Der Volkswagen-Konzern wird unter dem neuen Konzernchef Mattias Müller radikal umgebaut. Die Marken erhalten mehr Eigenständigkeit. Der Zentralismus soll zurückgefahren werden. Auch bei den Marken bleibt personell kein Stein auf dem anderen.
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Der Aufsichtsrat von VW hat am Freitag beschlossen, den wegen des Abgas-Skandals angeschlagenen Konzern mit seinen zwölf Marken neu zu gliedern. Dabei sollen die einzelnen Marken mehr Verantwortung bekommen. Bislang wurde vieles zentral in Wolfsburg entschieden. Vor allem in den USA war dies ein Problem. Dort war nicht nur der Abgas-Skandal aufgeflogen, auf dem nach China weltweit zweitwichtigsten Pkw-Markt fährt VW zudem wegen einer verfehlten Modellpolitik schon länger der Konkurrenz hinterher.

Zuvor hatte der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Vorstandschef von Volkswagen bestellt.

Bevor Müller die Feinheiten des Umbaus angehen kann, muss er jedoch die Scherben aus dem Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte zusammenkehren und das angekratzte Ansehen von VW aufpolieren. Müller sagte, er werde alles tun, um Vertrauen zurückzugewinnen. "Entscheidend ist, dass so etwas bei Volkswagen nie mehr passiert." Deswegen werde er strengere Regeln zur Unternehmenführung einführen. Wie VW mitteilte wurden mehrere Manager wegen des Skandals beurlaubt, Namen nannte der Konzern allerdings nicht.

Mit dem Machtwechsel - am Mittwoch war der langjährige VW-Chef Martin Winterkorn zurückgetreten - schließt Volkswagen auch ein Stück weit Frieden mit dem im Groll ausgeschiedenen Firmenpatriarchen Ferdinand Piech. Der hatte schon im Frühjahr Winterkorn durch Müller ablösen wollen, war damit aber am Widerstand im engeren Führungszirkel gescheitert.

Unterdessen weitet sich der Skandal immer weiter aus und erreichte Deutschland: Nach Angaben von Verkehrsminister Alexander Dobrindt sind hierzulande mindestens 2,8 Millionen Autos mit manipulierten Abgassystemen unterwegs. Dies betreffe die 1,6-Liter und 2,0-Liter-Motoren, sagte der CSU-Politiker am Freitag im Bundestag. Neben Pkw seien auch leichte Nutzfahrzeuge so auf den Straßen. In der Schweiz bereiten die Behörden die Rücknahme der Zulassung von VW-Fahrzeugen vor, bis Klarheit herrscht, bei welchen Typen Abgaswerte manipuliert wurden. Dort könnten 180.000 Fahrzeuge betroffen sein.

Wie viel der in den USA aufgedeckte Betrug neben dem immensen Imageschaden den Konzern kosten wird, ist noch nicht absehbar. VW hatte nach internen Untersuchungen bekanntgegeben, dass weltweit bis zu elf Millionen Fahrzeuge mit der umstrittenen Software ausgestattet seien. Alleine von der Marke VW sollen es fünf Millionen Pkw sein, wie das Unternehmen nun mitteilte.

Inzwischen nehmen auch die Ermittlungen in den USA immer größere Dimensionen an. Dutzende Klagen sollen bei einem US-Bundesgericht in Kalifornien zusammengefasst werden. Das US-Justizministerium ermittelt ebenfalls. Das Geschäft in den USA fasst Volkswagen mit Mexiko und Kanada zu einer neu geschaffenen Region Nordamerika zusammen. Die Leitung übernimmt Anfang November der bisherige Skoda-Chef Winfried Vahland. In den USA behält überraschend Michael Horn seinen Chefposten. Dort stoppte Volkswagen inzwischen seine Werbung für "saubere Diesel"-Autos.

Investoren reagierten gespalten auf die Berufung Müllers zum neuen VW-Chef. Henning Gebhardt, Aktienchef der Deutsche-Bank-Vermögensverwaltung, sagte, das Unternehmen habe eine Chance verpasst: "Er wird das Unternehmen alleine aufgrund seines Alters nicht zehn Jahre lang führen können. In absehbarer Zeit wird es wieder zu Nachfolgediskussionen kommen." Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment sagte, Müller müsse nun die volle Unterstützung vom Aufsichtsrat bekommen, "damit er den desaströsen Vorgang aufklären und endlich die verkrusteten Strukturen bei VW aufbrechen kann. Dabei darf es keine Tabus geben."

Vor den Werkstoren in Wolfsburg war die Stimmung am Freitag gedrückt. "Ich hoffe, dass wir das Schlimmste jetzt hinter uns haben", sagte eine Mitarbeiterin der Umweltschutz-Abteilung. Ein Kollege von der Projektplanung erklärte, Müller sei eine gute Wahl. "Wir brauchen jetzt frischen Wind, deshalb ist der Machtwechsel wichtig", sagte er. Er befürchte, dass durch den Skandal Arbeitsplätze nicht nur bei VW, sondern in der gesamten deutschen Automobilindustrie in Gefahr seien.

Mit der Ernennung von Matthias Müller zum neuen Vorstandschef hat der Aufsichtsrat von VW am Freitag eine Reihe weiterer Personalveränderungen beschlossen:

Vertriebsvorstand Christian Klingler verlässt das Unternehmen mit sofortiger Wirkung, Müller wird das Ressort zunächst kommissarisch selbst übernehmen.

Der Vertrag des Vorstandsmitglieds für Beschaffung, Javier Garcia Sanz, wird um fünf Jahre verlängert.

Das derzeit nur kommissarisch geleitete Produktionsressort entfällt. Zu den übrigen Vorstandsposten machte VW keine Angaben.

VW-Markenvorstand Herbert Diess ist künftig Vorstandsvorsitzender der Marke Volkswagen.

Hinzu kommen weitere Änderungen bei den Marken:

Skoda-Chef Winfried Vahland wird Konzernverantwortlicher für Nordamerika. Sein Amt übernimmt der bisherige Porsche-Vertriebsvorstand Bernhard Maier.

Neuer Seat-Chef wird Audi-Vertriebschef Luca de Meo. Der bisherige Chef der spanischen Marke Jürgen Stackmann wird Markenvorstand Volkswagen.

Nach Mitteilung des Aufsichtsrats wurden zahlreiche Manager wegen des Abgas-Skandals beurlaubt, Namen wurden nicht genannt.

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