Deutschland

Sackgasse Studium: Bildungssystem produziert an der Realität vorbei

Lesezeit: 2 min
16.11.2012 01:24
Zwar fällt die Erwerbslosenquote in Deutschland. Doch viele Langzeitarbeitslose haben aufgrund geringer Qualifikation weiterhin keine Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Wenn Jugendliche berufliche Entscheidungen ohne genügende Informationen treffen, bleiben künftig wichtige Lehrstellen unbesetzt.
Sackgasse Studium: Bildungssystem produziert an der Realität vorbei

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Aktuell: Schüler-Kontrolle: Berlin will Schulnoten ins Internet stellen

Im September gab es in Deutschland 2,2 Millionen Erwerbslose, so das Statistische Bundesamt am Donnertag. Als erwerbslos gilt, wer eigentlich imstande ist zu arbeiten und dennoch nicht erwerbstätig ist. Im September waren in Deutschland 41,8 Millionen erwerbstätig. Zu den Erwerbstätigen zählen alle Arbeitnehmer, mithelfende Familienangehörige und Unternehmer, auch die Mini-Jobber und die Ein-Euro-Jobber. Sogar Arbeitnehmer in Elternzeit gelten als (inaktiv) erwerbstätig.

Obwohl die Erwerbslosenquote fällt, bleibt das eigentliche Problem bestehen: die anhaltend hohe Hartz-4-Quote. Diese ist nur „schleppend“ gesunken, sagte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Ein großer Teil der Hartz-4-Empfänger sei langzeitarbeitslos. Auch arbeitspolitische Maßnahmen würden da oft nicht weiterhelfen. So gebe es vor allem bei den Älteren viele, die „resigniert haben“. Ursache der Langzeitarbeitslosigkeit sei ein zunehmender Mangel an „einfachen Jobs“ für Geringqualifizierte. Mindestlöhne könnten diese Entwicklung noch verschärfen, da sie den „Rationalisierungsdruck“ noch erhöhen würden.

Deutschland hat mit circa 8 Prozent die europaweit geringste Jugenderwerbslosenquote (mehr hier). Dies begründet Karl Brenke damit, dass der deutsche Arbeitsmarkt für Jugendliche vergleichsweise offen sei. Die entscheidende Rolle spiele die betriebliche Berufsausbildung in Deutschland, die der schulischen Ausbildung in anderen europäischen Ländern weit überlegen sei. Wenn ein junger Mensch erst einmal in einem Betrieb eingearbeitet ist, werde er eben auch eher übernommen.

Ein weiteres Problem für den deutschen Arbeitsmarkt hat eine demographische Ursache: Es gibt weniger junge Menschen, so Karl Brenke. Dadurch könnte in Deutschland erstmals die Lage eintreten, dass Lehrstellen in großem Umfang keine Bewerber finden. Zwar habe es schon immer viele Jugendliche gegeben, die Berufe gelernt und Studien begonnen haben (mehr hier), die es ihnen nicht ermöglichten, einen Job zu finden. Brenke spricht in diesem Zusammenhang von „Modeberufen“ und nennt das Beispiel der Friseuse. Darüber hinaus erweist es sich immer mehr als Problem, dass viele Schüler aus Prestigegründen an die Universitäten drängen, um dort Philosophie oder Literaturwissenschaften studieren - weil sie in ihrer Jugend verträumt sind oder gerne lesen. So lobenswert diese Eigenschaften sein mögen - sie helfen nicht, um die Bedürfnisse des Arbeitsmarkt zu decken. Ein übertrieben egalitäres Bildungssystem fördert diese Entwicklung und produziert so an der Realität vorbei.

Doch wenn der Nachwuchs knapp wird, dann können die Fehlentscheidungen der jungen Menschen bei der Wahl ihrer Ausbildung dazu führen, dass Lehrstellen nicht besetzt werden können und die Zukunft von Betrieben gefährdet wird. Karl Brenke sagt, dass die deutschen Betriebe aus diesem Grund ein sehr großes Interesse daran haben, in Zusammenarbeit mit den Schulen die Schüler besser zu informieren. Doch ob die Schulen fähig dazu sind, das könne er nicht beurteilen.

Weitere Themen

Zu wenig Bildung: In Österreich sinkt der Wohlstand

Arbeitsagentur: Chancen auf Arbeitsplatz in Deutschland sinken

OECD: Jugendarbeitslosigkeit in Europa erreicht bedrohliche Ausmaße


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten
23.04.2024

Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauministerin: Innenstädte brauchen vielfältigere Angebote
23.04.2024

Klara Geywitz wirbt für mehr Vielfalt in den deutschen Innenstädten, um damit stabilere Immobilienmärkte zu unterstützen. Ein Mix von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Palantir: Wie Vorurteile die sinnvolle Anwendung von Polizei-Software behindern
23.04.2024

Palantir Technologies ist ein Software-Anbieter aus den USA, der entweder Gruseln und Unbehagen auslöst oder Begeisterung unter seinen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen
23.04.2024

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Spannung und Entspannung – Geopolitik sorgt für Bewegung bei Aktien und Rohstoffen
23.04.2024

Die hochexplosive Lage im Nahen Osten sorgte für reichlich Volatilität an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten. Nun scheint...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...