Politik

Wirtschaftsweise schlagen Umgehung des Mindestlohns für Flüchtlinge vor

Lesezeit: 1 min
11.11.2015 09:21
Die Bundesregierung sucht nach Wegen, den Mindestlohn für Flüchtlings zu umgehen. Die Wirtschaftsweisen schlagen nun vor, Flüchtlinge als Langzeitarbeitslose zu qualifizieren. Damit würde in der Praxis ein Prozess des Lohndumpings eingeleitet.
Wirtschaftsweise schlagen Umgehung des Mindestlohns für Flüchtlinge vor

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die verschiedenen Wirtschaftsberater der Bundesregierung sowie Lobbygruppen und Verbände haben in den vergangenen Wochen versucht, die Flüchtlinge als ausschließlich ökonomische Faktoren zu klassifizieren und nach Wegen gesucht, sie in den Arbeitsprozess zu integrieren.

Nachdem als erster Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut die Abschaffung des Mindestlohns für Flüchtlinge gefordert hatte und damit auf heftigen Widerstand bei Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles gestoßen ist, gehen die „Wirtschaftsweisen“ – also die offiziellen Berater der Bundesregierung – nun etwas dezenter vor: Sie beklagen, dass der Mindestlohn eine „hohe Barriere“ zur Einstellung von Flüchtlingen sei, verzichten jedoch aus taktischen Gründen auf die Forderung nach Abschaffung des Mindestlohns.

Doch bieten die Experten der Bundesregierung eine Möglichkeit, wie der Mindestlohn umgangen werden kann: Sie schlagen vor, dass Flüchtlinge wie Langzeitarbeitslose eingestuft werden sollten. Für diese gilt heute, dass Unternehmen sechs Monate lang unter dem Mindestlohn bezahlen dürfen. Die Weisen empfehlen, den Unternehmen grundsätzlich zu erlauben, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge für ein Jahr unter dem Mindestlohn zu beschäftigen.

Damit würde der Mindestlohn ausgehebelt, könnte aber formal bestehen bleiben. Diese Maßnahme hätte eine direkt lohndrückende Wirkung auch für deutsche Arbeitnehmer: Natürlich würde ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter bevorzugen, dem er für die gleiche Arbeit weniger Lohn zahlen muss. Dies ist vor allem dann problematisch, wenn die Flüchtlinge gleich qualifiziert sind wie die deutschen Arbeitnehmer: Die Ausnahme für Langzeitarbeitslose erklärt sich ja nur, wenn man davon ausgeht, dass ein Langzeitarbeitsloser einen längeren Prozess der Wiedereingliederung durchlaufen muss. Ein Bauarbeiter oder Tischler aus Syrien dagegen wäre sofort voll integrierbar – weshalb es keinen sachlichen Grund gibt, ihn unter dem Mindestlohn zu bezahlen.

Zugleich würde sich mit dieser Regelung eine Verschlechterung für in Arbeit gekommene Langzeitarbeitslose ergeben. Dies müssten künftig 12 Monate unter dem Mindestlohn arbeiten statt bisher sechs.

Der Vorschlag zeigt, dass die Reduktion der Flüchtlinge auf ihre billige Arbeitskraft ein Teil der offiziellen Willkommenskultur ist. Dies ist schlecht für die Flüchtlinge, aber auch für die deutschen Arbeitnehmer.

Der Trend ist jedoch international kaum aufzuhalten: Das Freihandelsabkommen TTIP werde, so hat eine unabhängige Studie ergeben, vor allem den Billiglohnsektor in der EU vergrößern. Die Wirtschaftsweisen empfehlen in ihrem Gutachten daher wohl nicht zufällig den raschen Abschluss von TTIP.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Elektroauto-Krise schwächt deutsche Autokonzerne kaum - bisher
28.04.2024

Trotz der Marktflaute bei E-Autos und der schwachen Nachfrage in Deutschland erwirtschaften Volkswagen und BMW tolle Gewinne. Bei anderen...

DWN
Technologie
Technologie Neurotechnologie und Transhumanismus: Fortschritt, Chancen und Herausforderungen
28.04.2024

Wie sind die aktuellen Trends und potenziellen Auswirkungen von Neurotechnologie? Neben der Künstlichen Intelligenz entwickelt sich dieser...

DWN
Panorama
Panorama Neue Regelungen im Mai: Ticketsteuer, Biosprit und Autokauf
28.04.2024

Der Mai bringt frische Regulierungen und Veränderungen in verschiedenen Bereichen: Flugtickets könnten teurer werden, Autofahrer können...

DWN
Finanzen
Finanzen Welche Anlagestrategie an der Börse passt zu mir?
28.04.2024

Wenn Sie sich im Dschungel der Anlageoptionen verirren, kann die Wahl der richtigen Strategie eine Herausforderung sein. Dieser Artikel...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Ressource Nummer 1 auf unserem blauen Planeten – das Geschäft um Trinkwasser
28.04.2024

Lange war es eine Selbstverständlichkeit, dass es genug Wasser gibt auf der Welt. Und bei uns ist das ja auch ganz einfach: Hahn aufdrehen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konfliktlösung ohne Gericht: Verbraucherschlichtung als Chance für Ihr Business
27.04.2024

Verabschieden Sie sich von langwierigen Gerichtsverfahren! Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) senken Sie Ihre Kosten,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
27.04.2024

Wegen Waffenknappheit setzt der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, auf Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie, um sein Land...

DWN
Finanzen
Finanzen Hohes Shiller-KGV: Sind die Aktienmärkte überbewertet?
27.04.2024

Bestimmte Welt-Aktienmärkte sind derzeit sehr teuer. Diese sind auch in Indizes wie dem MSCI World hoch gewichtet. Manche Experten sehen...