Die Spannungen zwischen der Türkei und dem Irak könnten schon bald eine neue Front im Nahen Osten eröffnen: Ein Krieg zwischen diesen beiden Staaten ist nicht mehr auszuschließen. Darauf deutet Aussagen und Taten des türkischen Präsidenten hin: Recep Tayyip Erdogan hat der Regierung in Bagdad am Mittwoch in einem Interview mit Al Jazeera vorgeworfen, die Sunniten im Norden des Landes nicht zu schützen. Er sagte: „Die Bürger im Nordirak haben vor langer Zeit ihre Rechte verloren. Sie müssen ihre Rechte wiederbekommen. Viele Araber haben ihre Rechte verloren. Leider sehen wie keine faire Regierung im Irak. Das macht vielen Leuten Sorgen.“ Erdogan sagte, der Irak und der Iran hätten radikale Sekten in Syrien unterstützt.
Einen vollständigen Rückzug ihrer Truppen aus dem Irak lehnt die Regierung in Ankara ab. Die Türkei war am Wochenende einmarschiert. Auf Geheiß von US-Präsident Obama haben die Türken dann einen Teil ihrer Truppen zurückgezogen. Die Entsendung von türkischen Truppen und Panzern in die irakische Provinz Mossul war auf wütende Proteste des Irak gestoßen. Nach türkischen Angaben sind bereits seit März Ausbilder in der Region im Einsatz, um irakische Milizionäre für den Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu trainieren, die weite Teile des Nordens und Westens des Irak kontrollieren. Die Regierung in Bagdad spricht aber von einer „Invasion“ und fordert den Rückzug der Truppen aus der Gegend Baschika, weil sie ohne ihre Zustimmung ins Land gekommen seien.
Doch offenkundig verfolgt Erdogan eine weitergehende Agenda, die sich mit den Interessen der US-Militärs und der Nato decken könnten: Die Türkei wird als Nato-Posten versuchen, die Schwäche des Irak zu nutzen. Die Regierung in Bagdad hat einen erstaunlichen Schwenk in Richtung Russland vollzogen. Dies wird von den US-Neocons mit großer Sorge gesehen.
Daher agiert die Türkei auch militärisch: Türkische Kampfflugzeuge haben am Mittwoch erneut Luftangriffe im Nordirak gefolgen – angeblich gegen Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Mehrere Ziele seien bei den Luftangriffen in der Nacht zu Mittwoch zerstört worden, teilte die Armee mit. Ein PKK-Sprecher im Irak sagte, die rund einstündigen nächtlichen Angriffe hätten sich gegen drei Dörfer gerichtet, doch seien keine Mitglieder der Guerillagruppe getötet worden. Ein kurdischer Verwaltungsbeamter bestätigte dies, doch wurden seinen Angaben zufolge Wasser- und Elektrizitätsleitungen beschädigt.
Bei einem separaten Vorfall im Bezirk Sur der Provinz Diyarbakir wurde ein türkischer Polizist von einem Heckenschützen erschossen, während er einen Sprengsatz zu entschärfen versuchte, wie aus Sicherheitskreisen verlautete.
Wie sehr sich die Lage zuspitzen könnten, kann aus Appell Ankaras an die Türken im Irak abgelesen werden, in dem Ankara seine Bürger zum Verlassen der arabischen Landesteile aufruft. Das türkische Außenministerium forderte am Mittwoch die türkischen Staatsangehörigen auf, alle irakischen Provinzen zu meiden mit Ausnahme von Dahuk, Erbil und Suleimanije, die in der autonomen Kurdenregion im Norden liegen. Das Ministerium begründete dies mit der jüngsten Zunahme von Drohungen gegen türkische Unternehmen und Aufrufen zu „Gewalt, Terror und Entführungen“.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte am Mittwoch, die Truppen seien zum Schutz der in der Region aktiven Militärausbilder ins Land geschickt worden. „Es ist kein Akt der Aggression, sondern ein Akt der Solidarität“, sagte Davutoglu. Angesichts der irakischen Reaktion sei die Aufstockung der Truppen aber gestoppt worden. Davutoglu sollte am Abend auch den irakischen Kurdenführer Massud Barsani treffen, der zu einem Besuch in Ankara war. Barsani sprach dort bereits mit Geheimdienstchef Hakan Fidan sowie Präsident Erdogan.
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