Politik

Merkel unter Druck: EU-Staaten leisten Widerstand gegen Russland-Sanktionen

Die EU muss sich nun doch überraschend auf dem Gipfel mit neuen Sanktionen gegen Russland befassen. Eigentlich sollte die Verlängerung geräuschlos auf technischer Ebene durchgewunken werden, weil Angela Merkel dem Wunsch der USA entsprechen will. Doch in einigen Staaten ballt man längst die Faust in der Tasche.
14.12.2015 13:15
Lesezeit: 4 min
Merkel unter Druck: EU-Staaten leisten Widerstand gegen Russland-Sanktionen
Das neue Buch von Michael Maier. (Foto: FBV)

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Der EU-Gipfel Ende der Woche muss sich überraschend mit der Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland befassen. Dies teilte die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, am Montag beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel mit. Mogherini versuchte, den Vorfall herunterzuspielen: Sie sehe in keinem Mitgliedstaat wirklichen Widerstand gegen Russland-Sanktionen sowie eine weitere sechsmonatige Verlängerung dieser. Italien hatte vergangene Woche einen Verlängerungsbeschluss der EU-Mitgliedstaaten verhindert und Gespräche auf höchster Ebene verlangt.

Die Sanktionen sind bei vielen Staaten verhasst: Sie haben die Arbeitslosigkeit erhöht. Das darf jedoch nicht offiziell als Grund gesagt werden, was den Druck auf die nationalen Politiker erhöht: Plötzlich können sie die EU nicht mehr als Sündenbock verwenden, obwohl der Schaden für die Wirtschaft in diesem Fall tatsächlich durch die US-Hörigkeit der EU und Angela Merkels verursacht wurde. Die meisten EU-Staaten haben die Sanktionen von Anfang an abgelehnt, US-Vizepräsident Joe Biden räumte öffentlich ein, dass die USA die EU zwingen mussten, mitzumarschieren.

Tatsächlich ballt man in einigen Hauptstädten die Faust in der Tasche, weil die Sanktionen den einzelnen Volkswirtschaften erheblichen Schaden zufügen: In Italien warnt der frühere EU-Präsident Romano Prodi vor einem wirtschaftlichen Desaster. Die Griechen waren immer gegen die Sanktionen und könnten diesmal versuchen, einen Extra-Deal herauszuschinden. Begründung: Der Pleite-Staat muss Milliarden für die Flüchtlingsmaßnahmen aufbringen. Ungarn kämpft gegen die EU wegen der Energiepolitik. Österreich hat schweren Schaden genommen, was sogar den besonnenen Wirtschaftskammer-Präsidenten zu einem Tobsuchtsanfall gebracht hat. Die Franzosen fahren zweigleisig: Sie tragen die Sanktionen offiziell mit, dealen aber hinter den Kulissen mit den Russen. Zuletzt gab es eine Einigung mit einem Flugzeugträger, in Syrien sind Russland und Frankreich Partner. Sogar die deutsche Wirtschaft wagt es, dezent gegen Angela Merkel aufzumucken: So ist der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft strikt gegen die Sanktionen. Allerdings ist dessen Vorsitzender Ekkehard Cordes zurückgetreten. Ob der Rücktritt im Zusammenhang mit seiner Merkel-Kritik steht, ist unklar.

Die EU hatte nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 über der Ukraine im Juli 2014 Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Sie richten sich unter anderem gegen russische Staatsbanken, den Im- und Export von Rüstungsgütern sowie die wichtige russische Öl- und Gasindustrie. Nach bisherigem Stand laufen die Sanktionen Ende Januar 2016 aus. Der damals genannte Grund, Russland habe die Maschine abgeschossen, ist bis heute nicht belegt. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass es sich um einen irrtümlichen Abschuss durch die Rebellen im Osten gehandelt haben dürfte. Der von der EU finanzierten Regierung in Kiew kommt mindestens eine Mitschuld zu: Sie hätte wegen der Kämpfe den Luftraum über dem Donbass für zivile Maschinen unbedingt sperren müssen.

Danach erklärte die EU für eine Aufhebung eine vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens für entscheidend. Diese sollte eigentlich bis Jahresende erfolgen. Doch zuletzt war unter anderem die vereinbarte Waffenruhe brüchig geworden und die Vorbereitungen von gleichfalls geforderten Regionalwahlen sind mehrere Monate im Verzug. Nicht berücksichtigt wird, dass die Ukraine mehrere Provokationen gestartet hat, wie etwa die Unterbrechung der Stromversorgung in die Krim durch Neonazi-Attentate. Ebenfalls nicht berücksichtigt wird, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Rebellen im Frühsommer energisch angewiesen hat, die Kampfhandlungen einzustellen.

Der italienische Außenminister Paolo Gentilioni geht trotz des offenkundigen Widerstands in einzelnen EU-Staaten davon aus, dass die Russland-Sanktionen beim Gipfel am Donnerstag und Freitag „auf dem Tisch liegen“ würden. Er erwarte „keine große Diskussion“, sagte er laut AFP. Niemand sei gegen die „Strafmaßnahmen“. Der Gipfel solle aber bewerten, wo die Umsetzung von Minsk stehe. Er sehe keine „Blockade“, sagte auch der litauische Außenminister Linas Linkevicius. Wenn bestimmte Länder zusätzlichen Gesprächsbedarf hätten, sei das kein Problem. Es gehe eher um „technische“ Fragen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wird seine Kollegen laut Diplomaten am Montag über den Stand bei der Umsetzung von Minsk informieren. Nachdem es in den vergangenen Wochen „erhebliche Rückschläge“ bei der Sicherung des Waffenstillstands gegeben habe, sei es nun wieder ruhiger, sagte er in Brüssel. „Wir konzentrieren uns jetzt auf die Vorbereitung der rechtlichen Grundlagen für Wahlen, die im nächsten Frühjahr stattfinden werden.“ Dies gehe allerdings „sehr, sehr mühsam voran“. Zu den Sanktionen äußerte sich Steinmeier interessanterweise nicht.

Im Grunde könnte jeder EU-Staat die Sanktionen mit einem Veto blockieren. Doch dies wird wohl nicht geschehen: Auf alle EU-Staaten wird entweder massiver wirtschaftlicher Druck ausgeübt, weil sie Nettoempfänger sind; oder aber die Staaten haben sehr schwache Regierungen, wie etwa Österreich: Bundeskanzler Faymann steht wegen seines peinlichen Krisenmanagements in der Flüchtlingsfrage mit dem Rücken zur Wand. Alle anderen Staaten werden sich bedeckt halten, um nicht in die Schusslinie von Angela Merkel zu geraten, die für die Verlängerung der Sanktionen ist.

Die EU spielt in diesem Prozess eine unangenehme Rolle: Sie vermittelt nicht im Interesse aller Staaten, sondern vollzieht, was die USA verlangen. In dieser Woche reist ein Sonderemmissär durch Europa, um der EU bei der Überzeugung der Widerspenstigen zu „helfen“.

EU-Präsident Jean-Claude Juncker scheint erneut seinem Ruf gerecht zu werden, die Unwahrheit als legitime Waffe einzusetzen: Noch vor wenigen Wochen hatte Juncker behauptet, die EU müsse eine Normalisierung des Verhältnisses zu Russland anstreben. Vermutlich wollte er mit dieser Finte Zeit gewinnen und die Kritiker in einer falschen Sicherheit wiegen.

Auch das Timing ist bewusst gewählt: Wenige Tage vor Weihnachten gibt es in der europäischen Politik keine Revolutionen. Schon mehrfach sind wichtige Entscheidungen so gelegt worden, dass keine Zeit mehr für verantwortungsvolle Beratungen war. Ab kommenden Montag verabschieden sich die Politiker in der EU und in den Mitgliedsstaaten geschlossen in den Weihnachtsurlaub.

***

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