Die türkische Polizei ist am Freitagabend gewaltsam in das Redaktionsgebäude der oppositionellen Zeitung «Zaman» in Istanbul eingedrungen. Gegen die protestierende Menge, die sich seit dem Abend vor dem Haus versammelt hatte, sei die Polizei mit Tränengas vorgegangen, berichteten türkische Internetmedien. Die Zeitung war am Freitag auf einen Gerichtsbeschluss hin unter die Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. «Diebe raus», skandierten den Berichten zufolge die Mitarbeiter der Zeitung.
Turkish police raid Zaman HQs, fire tear gas on readers after gov't takeover t.co/MGuncKEKDq pic.twitter.com/conzIl7ZkL— Today's Zaman (@todayszamancom) March 4, 2016
Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss wurde nicht bekanntgegeben. «Zaman» steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens «Hizmet»-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden.
#LATEST Today's Zaman chief editor says police tried to forcefully take her out of building t.co/K3m6hDiP4j pic.twitter.com/OoRLhmIyjV— Today's Zaman (@todayszamancom) March 4, 2016
Die Journalisten der Zaman waren am Nachmittag informiert worden, das der Zwangsverwalter bereits auf dem Weg in die Redaktion sei. Daraufhin wurde der Andruck vorgezogen. Die morgige Ausgabe wird mit einem schwarzen Titelblatt und der Schlagzeile „Verfassung außer Kraft“ erscheinen. Darunter wird Paragraph 30 der türkischen Verfassung zitiert, laut dem die Meinungs- und Pressefreiheit unter Schutz gestellt wird. Dazu heißt es „Wir appellieren an unsere gesetzlichen Ansprechpartner, nämlich das Parlament, die Regierung und die Justiz, ihren Pflichten nachzukommen: Die Verfassung ist für uns alle der größte Garant unserer Freiheiten. Verteidigt die Medien, die unter dem Schutz dieser Verfassung stehen. Erlaubt nicht, dass die Medien zum Schweigen gebracht werden.“ Zaman ist die auflagenstärkste Zeitung er Türkei.
It's official. Zaman media group is seized! But we are still preparing our last FREE newspaper! #ZamanSusturulamaz pic.twitter.com/4YAcr1CLmH— Sevgi Akarcesme (@SevgiAkarcesme) March 4, 2016
CPJ says #Zaman, Today's Zaman play critical role in informing society, alarmed by takeover t.co/ruLa0Sz8oi pic.twitter.com/QEEASMdl3U— Today's Zaman (@todayszamancom) March 4, 2016
#Turkey police now started tearing apart security surveillance cameras inside #Zaman building, apparently aiming to destroy evidence— Abdullah Bozkurt (@abdbozkurt) March 4, 2016
A police officer grabbed my phone forcefully while I was broadcasting on Periscope. I'll sue him when the rule of law is back. Unbeliavable!— Sevgi Akarcesme (@SevgiAkarcesme) March 4, 2016
Einer der Gründe für die brutale Polizeiaktion könnte darin liegen, dass die Zeitung in den vergangenen Wochen intensiv über die Machenschaften des Sohns von Präsident Erdogan berichtet hatte:
Erdoğan’s son left Bologna over ‘security’, Italian newspaper claimst.co/OwhDw95Wk4 pic.twitter.com/pbGRbiHRUA— Sevgi Akarcesme (@SevgiAkarcesme) March 3, 2016
Die Kontrolle der türkischen Regierung über die größte regierungskritische Zeitung des Landes ist nach Einschätzung von Amnesty International ein schwere Schlag gegen die Pressefreiheit. «Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Präsident Erdogan Menschenrechte nieder», teilte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner, am Freitag in London mit. Jeder in der Türkei habe das Recht auf eine freie und unabhängige Presse, Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Rechtsprechung.
Die US-Regierung hat die Entscheidung der türkischen Behörden kritisiert, die größte Zeitung des Landes unter staatliche Kontrolle zu stellen. Der Schritt sei beunruhigend, sagte ein Sprecher von Außenminister John Kerry am Freitag in Washington. Bereits zuvor habe die Regierung in Ankara kritische Medien ins Visier genommen. Die EU-Kommission zeigte sich besorgt und verwies darauf, dass die Beachtung der Menschenrechte die Voraussetzung für die Aufnahme eines Landes sei.
Von der Bundesregierung oder Bundeskanzlerin Angela Merkel liegt kein Statement zu den Vorfällen vor. Merkel will bei einem Gipfel mit der Türkei darüber übereinkommen, dass die Türkei gegen Bezahlung einer Milliarden-Summe Flüchtlinge und Migranten an der Reise nach Europa hindert.