Politik

Harte Nuss für Merkel: Die Bedingungen der Türkei für den Flüchtlings-Deal

Die Türkei hat ihre Bedingungen für einen Deal mit der EU formuliert: Ankara will schnellstmöglich die Visa-Freiheit. Mit drei Milliarden Euro wird es sicher nicht getan sein. Besonders kritisch: Die Türkei will die Unterstützung der EU für eine territoriale Ausdehnung auf syrisches Staatsgebiet. Ankara spricht von einer "Flüchtlingsstadt", die gebaut werden soll. Gemeint ist der Rückgewinn von Gebiet, auf das die Türkei seit osmanischen Zeiten Anspruch erhebt.
05.03.2016 17:25
Lesezeit: 3 min

Ende der Visa-Pflicht: Die Türkei fordert von der EU das Ende der Visa-Pflicht im Schengenraum für Türken bis Oktober. Das ist die Bedingung, dass das Land Flüchtlinge aus der EU zurücknimmt. Wenn es zu keiner Visa-Liberalisierung kommt, sei das Abkommen „zu verschrotten“, zitiert der EUobserver einen türkischen Diplomaten. Ein bereits vereinbartes Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge soll im Juni 2016 vollständig in Kraft gesetzt werden. Damit könnte die EU abgelehnte Asylbewerber in die Türkei abschieben.

Weitere türkische Politiker fordern Reisefreiheit für die Türken als Gegenzug für die Flüchtlingsaufnahme: Der türkische EU-Minister Volkan Bozkir sagte dem türkischen Nachrichtensender NTV, dass das Ende der Visapflicht für Türken eng mit der von Ankara versprochenen Rücknahme von Flüchtlingen aus Europa verknüpft sei. „Die EU muss bis Oktober oder November die Entscheidung zur Aufhebung der Visapflicht treffen“, so der EU-Minister. „Wenn das Rückübernahmeabkommen in Kraft tritt, aber im Oktober oder November die Visapflicht nicht aufgehoben wird, haben wir nach dem Rückübernahmeabkommen das Recht, das Abkommen zu annullieren“, zitiert ihn die Tagesschau.

Dieselben Forderungen stellt laut Daily Sabah auch der türkische Premier Ahmet Davutoğlu: Die Türkei habe bereits solide Schritte unternommen, um den Anforderungen der EU für einen visumfreie Reise-Vereinbarung zu entsprechen, sagte Davutoğlu bei einer Pressekonferenz am Donnerstag mit EU-Kommissionspräsident Donald Tusk in Ankara. Über konkrete Kontingente sei aber noch nicht gesprochen worden.

Geld für Flüchtlinge: Die EU der Türkei drei Milliarden Euro zugesichert, wobei es jetzt schon so gut wie sicher ist, dass es nicht bei der Summe bleiben wird. Für erste Projekte wurden diese Woche 95 Millionen Euro freigegeben. Sie sollen in die Schulbildung syrischer Flüchtlingskinder und den Aufbau eines elektronischen Lebensmittelkartensystems fließen, meldet die AFP. EU-Kommissar Oettinger hat bereits gesagt, es werde viel mehr nötig sein. Der CDU-Politiker spricht von 7 Milliarden Euro - pro Jahr. Erdogan selbst hatte gesagt, dass die von der EU genannten Summen zu gering sein. Wieviel genau die Türkei fordern wird, ist noch nicht bekannt.

Territoriale Erweiterung: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat vor dem Flüchtlingsgipfel in Brüssel den Bau einer „Flüchtlingsstadt“ im Norden Syriens vorgeschlagen. Die Stadt könne nahe der Grenze mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft errichtet werden, sagte Erdogan am Samstag.

Über den Plan zur Errichtung einer Flüchtlingsstadt in Nordsyrien habe er bereits mit US-Präsident Barack Obama gesprochen, sagte Erdogan laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Die Verhandlungen hätten aber „noch keine Früchte getragen“. Einen Zeithorizont für die Realisierung des Projekts skizzierte Erdogan nicht.

Laut dem Spiegel fördert die EU bereits die Abschiebung von Flüchtlingen aus der Türkei. Die EU finanziere dort „Aufbau und Ausstattung von Zentren für die Aufnahme und Rückführung von Drittstaatenangehörigen“, zitierte die Zeitschrift aus einer Antwort des Auswärtigen Amts an die Grünen. Demnach sollen in den Zentren Menschen aus Drittstaaten untergebracht werden, die in ihre Heimat zurückgebracht werden sollen.

Tatsächlich geht es der Türkei um einen uralten Gebietsanspruch auf syrischem Territorium. Den Anspruch definiert der frühere Leiter des israelischen Sicherheitsdienstes, Giora Eiland:

„Etwa ein Jahr vor besagtem Treffen mit dem Russen, traf ich einen hochrangigen türkischen Funktionär. Das war zu einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Jerusalem und Ankara hervorragend waren. Bei diesem Treffen sprach der Funktionär sehr offen über die Weltanschauung seines Landes. ,Wir wissen, dass wir die Länder, die vor 1917 zum Osmanischen Reich gehörten, nicht zurückbekommen können, sagte er. Aber macht nicht den Fehler zu denken, dass wir die Grenzen, die uns nach dem 1. Weltkrieg von den Siegermächten – vor allem Frankreich und dem Vereinigten Königreich – zugewiesen wurden, akzeptabel finden. Die Türkei wird einen Weg finden, zu seinen natürlichen Grenzen im Süden – zwischen Mossul im Irak und Homs in Syrien – zurückzufinden. Das ist unser naturgemäßes Bestreben und es ist durch die starke Präsenz von Turkmenen in der Region gerechtfertigt.‘“

Bilaterale Abkommen: Mit Griechenland hat Ankara ein bilaterales Abkommen und eine Rücknahme bereits gestartet: Diese Woche wurden rund 300 Flüchtlinge in die Türkei zurückgebracht. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte bei einem Besuch in Athen weitere Rückübernahmen von Flüchtlingen zu, die nicht aus Syrien stammen. Es bestünden bereits entsprechende Verträge mit „Griechenland, Bulgarien und anderen Staaten“. Geprüft werde nun die Rückübernahme von Asylsuchenden aus Marokko, Pakistan und Afghanistan, meldet die AFP.

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