Der Streit über eine Visafreiheit für türkische Bürger bringt den Flüchtlingspakt zwischen Ankara und der EU ins Wanken: Sollte das EU-Parlament weiter blockieren, „schicken wir die Flüchtlinge los“, drohte der Chef-Berater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Burhan Kuzu. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) stellte seinerseits am Mittwoch klar, ohne Einlenken Ankaras rücke der für Ende Juni vereinbarte Fall der Visumspflicht in weite Ferne.
Knackpunkt ist die EU-Forderung nach einer Reform des türkischen Anti-Terror-Gesetzes. Derzeit erlaubt es ein Vorgehen etwa gegen Journalisten und Akademiker, auch wenn keine konkreten Verdachtsmomente vorliegen, was für Brüssel nicht hinnehmbar ist.
Dass sich das EU-Parlament überhaupt mit der Aufhebung der Visumspflicht befasse, so lange die Gesetzesänderung in Ankara noch nicht einmal „angepackt“ werde, stehe für ihn „außerhalb jeder Diskussion“, machte Parlamentspräsident Schulz im „Deutschlandradio“ ummissverständlich klar.
Sei Erdogan nicht bereit, die Kriterien zu erfüllen, „dann wird es keine Visafreiheit geben“, sagte auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) laut einem Bericht der „Bild“-Zeitung bei einer Sitzung der Unionsfraktion.
Aber statt Einlenken stehen die Zeichen auf Konfrontation: Die Reform des Anti-Terror-Gesetzes sei „kein Bestandteil der Visa-Aufhebung“, sagte der türkische Europa-Minister Volkan Bozkir am Mittwoch bei einem Besuch beim EU-Parlament. Er sei nach Straßburg gekommen, „um vielleicht ein letztes Mal über diese Dinge zu reden und eine Fehlentwicklung zu verhindern“, sagte er dem türkischen Nachrichtensender NTV. Für den Nachmittag war ein Treffen mit Schulz geplant.
Ein Kompromiss ist nicht in Sicht. Erdogans Berater Burhan Kuzu schrieb am Dienstagabend im Kurznachrichtendienst Twitter, das Parlament in Straßburg stehe an der Schwelle einer wichtigen Entscheidung. „Wenn es die falsche Entscheidung trifft, schicken wir die Flüchtlinge los.“
Seit die Türkei im April begonnen hat, die Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen – und die irreguläre Einwanderung durch die Ägäis damit praktisch zum Erliegen gekommen ist – stand diese Drohung immer wieder im Raum. Seit der Rücktrittsankündigung des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, der in Brüssel als verlässlicher Partner gesehen wurde, scheint sie aber ernst gemeinter denn je.
Erdogan setze mit der Drohung „schutzbedürftige Menschen als Erpressungsmasse gegen Brüssel und Berlin ein, statt die von der EU geforderten Bedingungen für die Visa-Liberalisierung umzusetzen“, warf ihm Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Links-Fraktion im Bundestag, vor.
Parlamentspräsident Schulz warnte Ankara eindringlich, den Flüchtlingsdeal wegen des Streits über das Anti-Terror-Gesetz platzen zu lassen: „So kann man ja in der internationalen Politik nicht verfahren“, sagte er – schließlich sei es die türkische Seite, die die schon lange zuvor festgelegten Kriterien nicht erfülle. Er glaube, dass Erdogan letztlich „die Annäherung an die Europäische Union, die mit diesem Verfahren verbunden war, nicht so fahrlässig aufs Spiel“ setze.
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