Kakao-Krise verändert den Schokoladenmarkt
Im Reich von Willy Wonka stimmt etwas nicht mehr. Schokoladentafeln werden kleiner, Rezepturen ändern sich, der Kakaoanteil sinkt. Teilweise verschwindet sogar das Wort „Schokolade“ von den Verpackungen. Was wie eine düstere Fantasie klingt, ist ökonomische Realität. Kakao steckt in einer tiefen Krise. Das berichten die Kollegen von Finance.si. Der wichtigste Rohstoff der globalen Süßwarenindustrie wächst nur in einem schmalen Gürtel rund um den Äquator. Krankheiten, Klimawandel, jahrelange Unterinvestitionen und rückläufige Ernten haben den Markt unter Druck gesetzt. Zwischen Ende 2022 und 2024 hat sich der Kakaopreis laut Internationaler Kakaoorganisation mehr als verdreifacht. Er stieg von 2.367 Dollar je Tonne auf ein 45-Jahres-Hoch von 11.984 Dollar. Umgerechnet entspricht das rund 2.170 Euro beziehungsweise knapp 11.000 Euro je Tonne. Grundlage ist ein Wechselkurs von 1 Dollar zu 0,92 Euro. Zwar haben sich die Preise zuletzt leicht beruhigt, doch Kakao bleibt mehr als doppelt so teuer wie im Jahr 2020. Für Verbraucher zeigt sich das im Regal. Hersteller verändern Rezepturen und ersetzen Teile des Kakaos durch günstigere Zutaten. Einige Überzüge dürfen rechtlich nicht mehr als Schokolade bezeichnet werden, sondern nur noch als „schokoladig“. Gleichzeitig greift die Schrumpfinflation. Tafeln und Beutel werden kleiner, die Preise bleiben stabil. Mondelez International, Eigentümer von Cadbury, spricht von einem letzten Mittel, um Produkte bezahlbar zu halten.
Ersatz für Kakao: Wissenschaft und Start-ups im Wettlauf
Während etablierte Konzerne reagieren, versuchen Wissenschaftler und Start-ups, Schokolade grundlegend neu zu denken. Sie ersetzen Kakaobohnen durch Getreide, Hülsenfrüchte, Sonnenblumenkerne, Johannisbrot, Ackerbohnen oder Dattelsamen. Die Methoden bleiben meist Geschäftsgeheimnis. Der Anreiz ist enorm. Der weltweite Schokoladenmarkt hat ein Volumen von mehr als 130 Milliarden Dollar, umgerechnet rund 120 Milliarden Euro. Ein glaubwürdiger Kakao-Ersatz wäre ein wirtschaftlicher Durchbruch. Das Londoner Unternehmen Win-Win produziert schokoladenähnliche Produkte aus fermentiertem Reis und Hülsenfrüchten. Durch klassische Verarbeitungsschritte wie Rösten, Mahlen und Temperieren entsteht laut Firmenchef Mark Golder ein Geschmack, der von herkömmlicher Schokolade kaum zu unterscheiden sei. Gleichzeitig sinkt der ökologische Fußabdruck deutlich. Golder betont, dass es nicht um das Ende echter Schokolade gehe. Vielmehr bestehe ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen wachsender Nachfrage und begrenzter Produktionsfähigkeit des Planeten. Ersatzstoffe könnten vor allem in industriell hergestellten Lebensmitteln helfen.
Besonders weit ist das deutsche Start-up Planet A Foods. Es entwickelte mit Choviva eine Alternative aus Sonnenblumenkernen, fermentiert nach einem Verfahren aus der Brautechnologie. Sonnenblumen teilen zentrale biochemische Bausteine mit Kakao und lassen sich entsprechend umformen. Choviva benötigt deutlich weniger Wasser und verursacht rund 80 Prozent weniger Emissionen als klassische Schokolade. Das Unternehmen erzielt inzwischen Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe und vertreibt Produkte in acht Ländern. Eine langfristige Vereinbarung mit Barry Callebaut soll die internationale Reichweite deutlich erhöhen. Auch andere Wege werden beschritten. Das italienische Unternehmen Foreverland nutzt Nebenprodukte wie Johannisbrotpulpe, Traubenkernreste und Kürbiskerne. In Großbritannien experimentiert Nukoko mit Ackerbohnen aus Europa. Durch Fermentation, Trocknung und Röstung entsteht ein Pulver, das sensorisch an Kakao erinnert. Gründer Ross Newton sieht darin eine Antwort auf volatile Rohstoffpreise. Parallel arbeitet Born Maverick aus Nordirland mit fermentierten Dattelkernen. Gründer Azhar Murtaza hebt hervor, dass sein Produkt von Natur aus süß sei und Theobromin enthalte, jenen Stoff, der Schokolade ihre stimulierende Wirkung verleiht.
Labor-Kakao und Bedeutung für Deutschland
Parallel dazu verfolgen Start-ups in Kalifornien und Israel einen anderen Ansatz. Sie züchten Kakaozellen in Bioreaktoren. Das Ergebnis soll molekular identisch mit echtem Kakao sein, aber ohne tropische Plantagen, Krankheiten oder Dürre. Gleichzeitig investieren große Hersteller weiter in klassische Züchtungsprogramme. In Westafrika, wo mehr als 60 Prozent des weltweiten Kakaos entstehen, arbeiten Forscher an hitze- und krankheitsresistenten Pflanzen. Ziel ist es, die Zukunft des Rohstoffs zu sichern.
Für Deutschland ergibt sich ein indirekter, aber relevanter Bezug. Deutsche Lebensmittelhersteller, Süßwarenproduzenten und Handelsketten stehen vor denselben Kostenproblemen wie ihre internationalen Wettbewerber. Gleichzeitig spielen deutsche Food-Tech-Unternehmen und Start-ups eine wachsende Rolle bei alternativen Zutaten und nachhaltigen Lieferketten. Ob Kakao-Ersatzstoffe langfristig breite Akzeptanz finden, hängt auch von regulatorischen Fragen, Verbraucherakzeptanz und industrieller Skalierbarkeit ab. Klar ist jedoch: Die Zeit des billigen Kakaos könnte vorbei sein. Schokolade ohne Kakao kann kurzfristig Preisdruck mindern und Angebot sichern. Für echte Liebhaber bleibt hochwertige Schokolade aus Kakao jedoch unersetzlich. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Innovation und den Erhalt einer nachhaltigen Kakao-Wertschöpfung miteinander zu verbinden.


