Politik

Großaktionär Niedersachsen verweigert Entlastung für zwei VW-Vorstände

Stundenlang müssen die VW-Manager den Ärger der Kleinanleger über sich ergehen lassen. Schließlich stellte sich auch der Großaktionär Niedersachsen teilweise auf die Seite der Rebellen: Das Land verweigert zwei Schlüsselfiguren einen Vertrauensbeweis. Der Vorstand wurde trotzdem entlastet.
23.06.2016 01:08
Lesezeit: 3 min

Der VW-Großaktionär Niedersachsen bringt den Autobauer in der Aufklärung der Diesel-Affäre in Erklärungsnot. Ausgerechnet das Heimatland von Volkswagen, das 20 Prozent an den Stimmrechten hält, wollte die Arbeit des Konzernvorstandes im Krisenjahr 2015 nicht einfach absegnen. Niedersachsen enthielt sich am Mittwoch bei der Hauptversammlung der Stimmen bei den Entlastungen für den Ex-Konzernvorstand Martin Winterkorn und den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess - gegen sie ermittelt seit kurzem die Staatsanwaltschaft.

Mit den überraschenden Enthaltungen erteilte das Land am späten Abend einen symbolischen Denkzettel. Eine Sprecherin der Landesregierung wollte den Vorgang zunächst nicht erläutern. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dürfte das Land mit seinen Enthaltungen vor allem eines klarmachen wollen: Dass die bisherige Aufklärung des Skandals derzeit einfach nicht reiche, um bei der Entlastungsfrage keine neutrale Position einzunehmen.

Die Enthaltung des Landes - das war vorher klar - vermochte an der Entlastung nichts zu ändern. Das Votum reichte locker für Winterkorn und Diess, was nicht überraschte angesichts der Stimmenmacht von gut 50 Prozent beim zentralen VW-Großaktionär, dem Familienstamm Porsche und Piëch. Umso mehr ist die Entscheidung des Landes als Signal zu verstehen: Wir sehen die Sache etwas anders.

Hintergrund der Differenz sind die am Montag bekanntgewordenen neuen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Sie richten sich gegen den in der Abgas-Krise zurückgetretenen früheren Konzern-Vorstandschef Winterkorn und gegen den aktuellen VW-Kernmarkenchef Diess, der auch im Konzernvorstand sitzt. Ihnen wird Marktmanipulation vorgeworfen. Sie könnten, so der Anfangsverdacht, die Finanzwelt bewusst zu spät über die Dimension und Risiken der Manipulationen informiert haben. Dafür sehen die Ermittler ausreichende «tatsächliche Anhaltspunkte». Weder Winterkorn noch Diess äußerten sich bisher zu den Ermittlungen.

Die Frage der Vorstandsentlastung war schon Wochen vor dem Treffen der Aktionäre ein heißes Eisen. Der VW-Aufsichtsrat beschloss Mitte Mai, die Entlastung als Vorschlag auf die Tagesordnung zu setzen und sie eben nicht zu verschieben, was auch möglich gewesen wäre. Damals hieß es, dass alle bisherigen Erkenntnisse der internen Untersuchung zur Schuldfrage und dem Umgang mit der Affäre nichts zutage befördert hätten, was die Entlastung infrage stelle.

Im Juristendeutsch teilte der Autobauer damals mit, es seien «nach derzeitigem Kenntnisstand keine eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen von aktuellen oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern festgestellt worden, die einer Entlastung zum jetzigen Zeitpunkt entgegenstehen würden».

Jedoch räumte der Konzern selber ein, dass schon damals «intensive Diskussionen» zum Entlastungsvorschlag notwendig gewesen seien. «Die Abwägung orientierte sich am Interesse und Wohl der Gesellschaft», hieß es damals. Das Gremium berief sich bereits im Mai auf Ergebnisse der US-Kanzlei Jones Day, die die Affäre in VW-Auftrag untersucht, sowie auf mehrere weitere externe Beratungen zur Entlastungsfrage. VW fürchtete, mit einer Verschiebung zu signalisieren, dass es irgendwo doch einen Anlass geben könnte, an Vorstandsmitgliedern zu zweifeln.

Seit Montag gibt es nun aber mit den Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft neue Vorzeichen - so sieht es zumindest das Land. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ging es bei der Frage zur Entlastung im VW-Aufsichtsrat am Vorabend der Hauptversammlung hoch her. Das Land warb vergeblich für eine Neubewertung des Themas.

Den Vorwürfen gegen Winterkorn und Diess ging eine Anzeige der Finanzaufsicht Bafin voraus. Damit sehen offensichtlich zwei Behörden - Staatsanwaltschaft und Bafin - das Thema mögliche Mitschuld im Vorstand in einem anderen Licht als Volkswagen. Für den Konzern ist dies aber kein Grund, an der Entlastungsempfehlung zu zweifeln.

Doch nun schert Niedersachsen aus. Ist das schon ein Riss in der Machtarchitektur des größten Konzerns hierzulande? Es hat zumindest eine längere Vorgeschichte: Bereits im Frühling hatte die Frage der angemessenen Vorstandsvergütung einen Keil in den Aufsichtsrat getrieben. Auf der einen Seite des Grabens standen Niedersachsen und die Arbeitnehmerseite, die zusammen auf 12 der 20 Stimmen im Aufsichtsrat kommen. Am Ende fiel das Votum über die Boni nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aber einstimmig aus, Land und Arbeitnehmerbank trugen den Kompromiss mit. Es galt damals noch die Prämisse: Einstimmigkeit trotz möglicher Uneinigkeit. Dieses Übereinkommen ist nun dahin. Niedersachsen sorgt für einen Misston.

Wie bei den Boni fiel auch die Empfehlung für die Entlastung Mitte Mai noch einstimmig im Aufsichtsrat. Nun änderte Niedersachsen seine Meinung. Mit der Enthaltung, die die Vorbehalte widerspiegelt, setzt das Land ein Zeichen. Das blieb zwar erwartbar wirkungslos für das eigentliche Abstimmungsergebnis, das mit der Zustimmung des PS-Clans Porsche und Piëch schon vorher auf Ja hinauslief. Doch das Land tritt damit offen nach außen sichtbar in Opposition zur VW-Besitzerfamilie, auch wenn es mit der Enthaltung nicht für die Watsche eines Neins reichte. Das Signal aber bleibt: Die Geschlossenheit ist dahin.

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