Finanzen

„Renzi fürchtet Volksaufstand, wenn die Sparer ihr Geld verlieren“

Das globale Finanzsystem ist mit den Prinzipien einer freiheitlich demokratischen Grundordnung auf Dauer nicht vereinbar. Insofern ist die Finanzkrise auch eine Systemkrise. Dies gilt nicht zuletzt für die EU. Die Bankenkrise in Italien kann ihren Zerfall beschleunigen, sagt Ernst Wolff, der Autor des Buches „Weltmacht IWF“ im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.
10.07.2016 02:45
Lesezeit: 5 min
„Renzi fürchtet Volksaufstand, wenn die Sparer ihr Geld verlieren“
Journalist, Dolmetscher und Drehbuchautor Ernst Wolff. (Foto: Ernst Wolff) Foto: hedrich.mattescheck gbr

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Wolff, nach dem Referendum in Großbritannien, bei dem eine Mehrheit für den Brexit stimmte, herrscht Nervosität an den Aktien- und Finanzmärkten. Viele Börsen brachen ein, das britische Pfund verlor an Wert. Ist diese Aufregung gerechtfertigt?

Ernst Wolff: Noch ist ja nicht klar, ob Großbritannien die EU tatsächlich verlässt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Politik über das Ergebnis des Referendums hinwegsetzt und dafür sorgt, dass Großbritannien auch weiter Mitglied der EU bleibt. Trotzdem markieren die Ereignisse der letzten Wochen eine Zeitenwende für die EU. Deren Problem ist aber nicht allein der Brexit.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Von welchen anderen Problemen sprechen wir?

Ernst Wolff: Von den ungelösten Problemen im Finanzsektor. Da steht Italien gerade an vorderster Front.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum gerade Italien?

Ernst Wolff: Weil die italienischen Banken auf einem riesigen Berg an faulen Krediten sitzen. In den Medien ist ja inzwischen die Rede von 360 Milliarden Euro. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie groß wäre dieser Eisberg wirklich?

Ernst Wolff: Das kann niemand sagen. Das viel größere Problem lauert nämlich im Hintergrund, im undurchsichtigen Bereich der Derivate. Dort bestehen z.B. Kreditausfallversicherungen in unbekannter Höhe. Derartige Versicherungen dürfen auch von Marktteilnehmern abgeschlossen werden, die am Kreditgeschäft selbst gar nicht beteiligt sind.  Daher hat sich hier eine enorme Blase entwickelt. Übrigens gilt das auch für das Britische Pfund. Viele Marktteilnehmer haben sich gegen Währungsschwankungen abgesichert. Da dürften wegen der Turbulenzen der vergangenen Wochen derzeit hohe Summen fällig sein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der italienische Premierminister Renzi wollte ursprünglich staatliche Garantien von 40 Milliarden Euro aussprechen, um die italienischen Banken zu stützen. Der Vorschlag stieß bei Finanzminister Schäuble auf keine Gegenliebe. Wenig später brachten EU- Kommissionspräsident Juncker und der Präsident der EZB, Mario Draghi, 150 Milliarden Euro ins Spiel.

Ernst Wolff: Das zeigt, welche Bedeutung gewählte Regierungsvertreter heute noch haben. Wenn es ernst wird, werden die Entscheidungen nicht von ihnen, sondern von nicht gewählten und im Einverständnis mit der Finanzindustrie auf ihre Posten gesetzten Bürokraten getroffen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und was ist mit den Bail- In Regeln, die seit Anfang dieses Jahres gelten und nach denen zunächst einmal die Anteilseigner und Schuldner der betroffenen Kreditinstitute zur Kasse gebeten werden sollen?

Ernst Wolff: Wie die Vorgänge in Italien zeigen, ist das Mittel des Bail-in im Ernstfall untauglich. Es ist ein von Technokraten am Reißtisch entworfenes theoretisches Konstrukt. Renzi hat sich ja nicht zum Vergnügen an die EU gewandt und Hilfen verlangt. Er spürt, dass ein Rettungsversuch mittels Bail-in in Italien einen Banken-Run, wenn nicht einen Volksaufstand auslösen könnte. Einen Vorgeschmack darauf gab es ja Ende letzten Jahres, als vier kleinere italienische mittels Bail-in gerettet wurden und ein Aufschrei der Empörung durch Italien ging. Außerdem würden ein Bail-in und seine Folgen den EU-Gegnern in Italien Aufwind geben und das Land mit großer Wahrscheinlichkeit umgehend zum nächsten EU-Austrittskandidaten machen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wäre denn ein Austritt zumindest aus dem Euro- Währungsverbund für Italien eine Alternative? Dann könnte das Land doch – nach einer Verstaatlichung der Banca D´Italia, wie sie beispielsweise die 5 Sterne Bewegung von Beppe Grillo fordert, - die Schulden innerhalb seines Zentralbanksystems verbuchen.

Ernst Wolff: Die EU wird den Austritt eines einzelnen Landes aus dem Euro-Währungsverbund niemals zulassen, da er unter den übrigen Mitgliedern eine unkalkulierbare Kettenreaktion auslösen könnte. Sollte die 5-Sterne-Bewegung in Italien an die Macht kommen, gibt es 2 Möglichkeiten: Entweder die Bewegung rückt freiwillig von ihren Forderungen ab  - was sie schnell zerfallen lassen würde -  oder die EU-Kommission zwingt sie im Verbund mit der EZB zur Unterwerfung unter ihre Forderungen - was ihr – wie im Fall Syriza – zumindest für einige Zeit das Überleben ermöglichen könnte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sehen Sie für kein EU-Land die Möglichkeit, aus dem Währungsverbund auszuscheiden?

Ernst Wolff: Der Euro lässt sich nicht in geordneter Weise „abwickeln“. Das ist weder ökonomisch machbar, noch politisch durchsetzbar. Der Euro wird ungeordnet zerfallen. Was wir gerade erleben, ist der Anfang vom Ende der EU und des Euro. Wie das alles im Einzelnen aussehen wird, kann niemand vorhersagen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es denn wirklich keinen Ausweg? Ist die Idee, den Steuerzahler von weiteren Bankenrettungen zunächst einmal zu verschonen und statt dessen die Bail-in-Regeln anzuwenden, denn nicht auch nachvollziehbar?

Ernst Wolff: Wie die Erfahrung zeigt, begünstigen diese Bail-in Regeln die großen Marktteilnehmer, die ja bestens vernetzt sind und ihre Vermögenswerte im Ernstfall rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Einen Bail-in bekommt in erster Linie der Mittelstand zu spüren, der ja ohnehin die Hauptlast der Finanzkrise trägt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und wie soll das jetzt weitergehen? Sollen immer gleich alle Regeln außer Kraft gesetzt werden? Soll die EZB unentwegt Geld drucken und der Steuerzahler die Risiken übernehmen?

Ernst Wolff: Das globale Finanzsystem ist im Grunde seit 2008 tot und wird nur künstlich am Leben gehalten. Für die Verantwortlichen gibt es dabei drei Mittel, auf die sie zurückgreifen können: Das Drucken von Geld, das Senken von Zinsen und – im Fall eines Bankenzusammenbruches – das Bail-in. Da die Zinsen bereits fast überall nahe Null oder sogar schon darunter liegen, fällt dieses Mittel weitgehend weg. Die Lehre aus Italien ist: Das Bail-in hätte unbeherrschbare soziale Folgen, kann also auch im großen Stil nicht angewandt werden. Also bleibt nur das Gelddrucken...

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wieso kämpft die Wirtschaft trotz der enormen Summen, die bereits gedruckt wurden, eher mit Deflationstendenzen als mit einer Inflation?

Ernst Wolff: Aus einem einfachen Grund: Weil der größte Teil des gedruckten Geldes nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Finanzspekulation geflossen ist. Und dort hat es zu gewaltigen Blasen an den Anleihen-, Aktien und Immobilienmärkten geführt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie konnte es so weit kommen?

Ernst Wolff: Schuld an dieser Entwicklung ist die Deregulierung, die der Finanzindustrie erlaubt hat, immer höhere Risiken einzugehen. Dazu kommt, dass die großen Banken 2008 für „too big to fail“ erklärt und gerettet wurden. Das war für die Branche ein Freifahrschein, noch höhere Risiken einzugehen. Die Risiken, die heute im Finanzsystem bestehen, sind erheblich größer als 2008.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist ein Crash unausweichlich?

Ernst Wolff: Das Finanzsystem gleicht derzeit dem Motor eines Wagens mit Luftkühlung, dessen Fahrer ihn durch schnelles Fahren überhitzt hat. Um den Motor abzukühlen, muss der Fahrer immer mehr Gas geben – mit der Folge, dass der Motor am Ende explodiert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und es gibt keine Möglichkeit, die Explosion zu verhindern?

Ernst Wolff: Dazu müssten diejenigen, die derzeit über die größte Macht und das meiste Geld verfügen, nicht nur umdenken, sondern auch auf einige ihrer Privilegien verzichten. Betrachtet man die Geschichte, muss man nüchtern feststellen, dass das bisher noch nie geschehen ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was bedeutet diese Entwicklung für unsere Demokratie?

Ernst Wolff: Unser Finanzsystem begünstigt eine immer kleinere Minderheit und baut den Lebensstandard und die Freiheiten der überwiegenden Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung immer stärker ab. Es kann nur noch durch permanente Reanimation in Form von Geldspritzen und einen kontinuierlich fortschreitenden Abbau der uns verbliebenen demokratischen Rechte am Leben erhalten werden. Um es klar und unmissverständlich auszudrücken: Wenn es keinen Reset gibt, führt der Pfad, auf dem wir uns befinden, geradewegs in den Finanz-Faschismus.

***

Ernst Wolff schrieb den Spiegel Bestseller „Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzuges“. Ernst Wolff arbeitet als Journalist, Dolmetscher und Drehbuchautor.

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