Politik

Nahost: Russlands neue Allianzen lassen den Westen alt aussehen

Lesezeit: 7 min
06.08.2016 23:28
Russlands Präsident Putin hat mit dem Iran, der Türkei und Israel drei Schlüsselnationen in ein Zweck-Bündnis eingebunden. Sein strategisches Kalkül: Mit diesen Partnern soll ein Übergreifen des islamistischen Chaos auf Russland verhindert werden.

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Die erstaunliche Harmonie zwischen dem schiitischen Iran und der sunnitischen Türkei hat einen nachvollziehbaren Grund: Für beide ist der Islamische Staat eine Bedrohung, die beseitigt werden muss, wobei die russische Luftwaffe besonders aktiv im Einsatz ist. Dass auch die NATO und die USA den IS bombardieren, wird als Unterstützung gerne angenommen, doch ändert dieser Umstand nichts an den Beschimpfungen des Westens und der aktuellen Orientierung nach Moskau.

Ob das Dreieck Moskau-Teheran-Ankara nach einem Sieg über den IS bestehen kann, bleibt abzuwarten. Auch stellt sich die Frage, wie die USA und die NATO auf die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten reagieren werden. Vorerst fügt sich auch die Innen- und Außenpolitik der Türkei nach dem Putsch vom 15. Juli in die neue Ordnung im Nahen Osten ein.

Putin schätzt offenkundig seine weltpolitische Präsenz. Reizvoll ist für den russischen Präsidenten auch die Möglichkeit, dass die Türkei im Zuge der aktuellen Ablehnung des Westens die Mitgliedschaft bei der NATO beenden könnte. Schließlich wird die NATO nicht müde, Russland wegen der „Annexion der Krim“ zu kritisieren.

Putin agiert als heimlicher Kalif  im Nahen Osten und nutzt auch das derzeit gespannte Verhältnis zwischen Israel und den USA, um Russland als besseren Partner Israels zu präsentieren.

Die Türkei muss auf ihre Expansionspläne verzichten und sich neu orientieren

Die Türkei ist seit 1952 Mitglied der NATO und bildet somit seit über sechzig Jahren einen Vorposten des Westens in der Region. Diese Position wurde auch durch die Bemühungen des Landes um den Beitritt zu EU unterstrichen. In der jüngsten Vergangenheit kam es allerdings zu Spannungen, weil sich die Türkei unter Präsident Erdogan nicht mehr als laizistische Demokratie, sondern als islamische Republik versteht und zudem eine dominierende Rolle im islamischen Raum spielen will. Längere Zeit schien allerdings das diplomatische Kunststück zu gelingen, gleichzeitig als Partner des Westens, als islamische Macht und als Freund Russlands akzeptiert zu sein.

Derzeit steht die Annäherung an Moskau im Vordergrund. Nachdem im November 2015 die türkische Armee ein russisches Flugzeug abgeschossen hatte, herrschte zwischen Moskau und Ankara Eiszeit. Nun hat sich Erdogan entschuldigt, zwei vermeintlich Schuldige an dem Abschuss bestraft und US-amerikanische Drahtzieher beschuldigt. Die russisch-türkische Freundschaft funktioniert wieder, man spricht von Zusammenarbeit, die am 8. August bei einem Treffen Erdogan-Putin vertieft werden soll.

Diese Neuorientierung erfolgt nicht zufällig. Moskau ist seit längerem ein ausgewiesener Partner des Iran und pflegt mit der schiitischen Macht politische, militärische und wirtschaftliche Kooperationen. Der Iran ist der entscheidende Konkurrent der Türkei um die Vorherrschaft in der Region und hat eine bessere Ausgangsposition: Die Regierung im Irak ist schiitisch dominiert, Syriens Präsident Assad ist ein Partner des Iran, die im Libanon starke Hisbollah anerkennt den geistlichen Führer des Iran, Khamenei, auch als ihren Führer.

Bis vor kurzem hat die Türkei den Islamischen Staat in der Erwartung unterstützt, dass diese ebenfalls sunnitische Organisation türkischen Expansionsbestrebungen im Irak nützlich sein werde. Seit einigen Monaten ist aber der IS auf Konfrontationskurs gegangen und verübt auch in der Türkei Terroranschläge.

Außerdem half die Türkei den in Syrien als Dschihadisten gegen die Regierungstruppen kämpfenden Söldnern in der Hoffnung, dass Präsident Assad fallen würde und die Türkei ihre Position in dem südlichen Nachbarland ausbauen könnte. Mit russischer Unterstützung gelingt es aber der syrischen Regierung, die Aufständischen zurückzudrängen. Nun hat die Türkei ihre Hilfe eingestellt und die syrischen Regierungstruppen sind dabei, die besetzte Stadt Aleppo zurück zu erobern.

Die Aussicht, nach Süden in den Irak und nach Syrien vorzudringen, ist für die Türkei derzeit versperrt. Vorerst muss also Präsident Erdogan vom Traum der Wiedererrichtung des osmanischen Reichs Abschied nehmen und die starke Position des Iran akzeptieren.

Die Notwendigkeit, nach dem Putsch von Mitte Juli die Herrschaft über das Land abzusichern, bietet jetzt die Gelegenheit, durch die Entmachtung der Opposition und der Militärs das Konzept einer islamischen Republik unter der Dominanz eines allmächtigen Präsidenten zu realisieren.  Auf diese Weise entspricht die Türkei den Vorstellungen, die auch die Basis des iranischen Staates bilden.

Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten: Bereits am 18. Juli telefonierte Irans Präsident Hassan Rohani mit Erdogan, gratulierte ihm zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und teilte den Inhalt des Gesprächs über Twitter mit. Der geistliche Führer Irans, Ali Khamenei, kann sich offenbar von der traditionellen Ablehnung der sunnitischen Türkei nicht ganz verabschieden, rang sich aber am 1. August zu einem Tweet durch, in dem er der Türkei nicht den Islam, aber  „islamic approaches“ attestierte und man daher das Land gegen die USA verteidigen solle.

Die türkische Regierung kann nicht sicher sein, dass die bisher getroffenen Maßnahmen ausreichen, um einen weiteren Putsch oder ein Erstarken oppositioneller Kräfte zu verhindern. Eine Expansion nach Süden in den Irak oder nach Syrien ist in absehbarer Zeit nicht möglich. Das Verhältnis zur EU hat sich trotz des Abkommens über die Aufnahme von Flüchtlingen deutlich verschlechtert, weil die Türkei nicht bereit ist die Menschenrechtskonvention umzusetzen. Wie sich nach der Neuorientierung in Richtung Moskau das Verhältnis zur NATO entwickeln wird, ist unklar. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Position der Türkei auf der weltpolitischen Bühne deutlich verschlechtert. Somit ist die Perspektive als islamischer Staat unter islamischen Staaten eine Rolle zu spielen, im Moment für die Türkei die nächstliegende Option.

Das Interesse Moskaus an einer Neuordnung im Nahen Osten

Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ergibt sich eine erfreuliche Perspektive.

- Mit einem Sieg über die Söldnertruppen im Syrien kann er sich als verlässlicher Partner in Krisensituationen präsentieren.

- Mit einem Sieg über den IS zeigt er die weltpolitische Rolle Russlands, wobei er in dieser Frage sogar auf die Kooperation der russischen und der US-amerikanischen Luftwaffe verweisen kann, während in Europa durch die Auseinandersetzung über die Krim die Zusammenarbeit mit dem Westen nicht funktioniert.

- Der muslimischen Welt signalisiert Putin, dass er die Interessen des schiitischen Iran und der sunnitischen Türkei vertritt.

- In Russland profiliert sich Putin als Freund der friedlichen Muslime und schöpft aus dieser Position die Rechtfertigung, mit aller Härte gegen islamische Extremisten im Süden Russlands und insbesondere in Tschetschenien vorzugehen.

Schon in der Sowjetunion bedeutete die Haltung vieler Muslime eine Bedrohung für die Einheit des Landes. Bereits 1978 machte die französische Journalistin und Historikerin Hélène Carrère in ihrem Buch „L’empire éclaté“ (auf deutsch „Risse im roten Imperium“) auf das Problem aufmerksam.

Heute gilt die Formulierung von Premierminister Dimitri Medwedjew vom Februar 2016: „Russland ist nicht nur ein christliches, sondern auch ein islamisches Land und wir leben mit unseren islamischen Brüdern in Frieden. Diese Koexistenz ist normal und ruhig.“

In das Bild passt die Errichtung der größten europäischen Moschee in Moskau, die mit einer prominenten Goldkuppel demonstrativ den christlichen Kirchen Konkurrenz macht. Die Eröffnung erfolgte im September 2015 durch Putin in Anwesenheit von Erdogan und dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. Die Anlage bietet 10.000 Gläubigen gleichzeitig die Gelegenheit zum Gebet und wurde von islamischen Geldgebern finanziert.

Israels erstaunliche neue Freunde : Die Türkei und Russland

Die Neuordnung im Nahen Osten betrifft in erster Linie die Türkei und den Iran als Mächte, die die Region dominieren wollen, sowie die Krisen-Länder Irak, Syrien und Libanon  und den Islamischen Staat, der Teile Syriens und des Iraks erobert hat. Israel ist nicht primär betroffen. Dennoch hat sich in den vergangenen Monaten auch die israelische Situation geändert.

Der türkische Präsident Erdogan hat nicht nur die Spannungen mit Moskau beseitigt, sondern auch die Versöhnung mit Israel vorgenommen.

Die ursprünglich engen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel gerieten unter Druck, als die Türkei sich als islamische Republik zu profilieren begann und die anti-israelische Rhetorik übernahm. Vollends zum Krach kam es im Mai 2010. Ein türkisches Schiff versuchte die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Bei den Kämpfen wurden zehn türkische Aktivisten getötet. Israel zahlt nun den Hinterbliebenen eine Entschädigung von 20 Millionen Dollar. Die beiden Länder vereinbarten eine Normalisierung der Beziehungen.

Dieser Schritt scheint nicht in das Bild der neuen Harmonie zwischen der Türkei und dem Iran zu passen, da Khamenei keinen Tag vergehen lässt ohne die Vernichtung Israels zu fordern. Die Lösung findet sich in den Details der Vereinbarung zwischen der Türkei und Israel: Die Türkei ist zwar nicht berechtigt, Waffen an die Hamas im Gazastreifen zu liefern, aber Hilfsgüter. Zudem soll die Türkei ein Kraftwerk und eine Meerwasserentsalzungsanlage bauen.

Erneut kommt die von Präsident Rohani angewendete Strategie zur Beruhigung der fundamentalistischen Führung des Iran zum Einsatz: Man schließt Vereinbarungen mit dem Westen, die als Vorteil für die islamischen Interessen und letztlich als Nachteil für den „Satan“ dargestellt werden können.

Dieses Muster wurde auch bei der Beendigung der Sanktionen gegen den Iran angewendet. Man eroberte die Zustimmung zur Nutzung der Kernkraft für die Stromgewinnung, versprach keine Atombomben zu bauen und erhielt die Zusicherung umfangreicher Investitionen. Sofort nach der Unterzeichnung durch Rohani verurteilte Khamenei die Vereinbarung, beschimpfte die USA erneut als Satan und kritisierte Iraner, die mit dem Westen verhandeln. Rohani schien in Ungnade zu sein. Rohani ist immer noch Präsident, lobte zuletzt am Dienstag das Atom-Abkommen, während gleichzeitig Khomeini auf Twitter die USA beschimpfte.

Nicht nur die Türkei pflegt derzeit freundschaftliche Beziehungen mit Israel. In den vergangenen Monaten kam es zu einer Annäherung zwischen Russland und Israel. Moskau nützt die Spannungen zwischen US-Präsident Barack Obama und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu um sich als besserer Partner zu präsentieren und auch in diesem Bereich die Position des Westens zu schwächen. Netanjahu war nun bereits mehrmals in Moskau um die Details einer engeren Kooperation zu besprechen.

Netanjahus Begeisterung für Moskau ist schwer nachvollziehbar. Der Streit mit Obama entstand, weil das Atom-Abkommen mit dem Iran, die Beendigung der Sanktionen und die Aussicht auf Investitionen gleichbedeutend mit der Stärkung jenes muslimischen Landes ist, das mit besonderem Eifer die Vernichtung Israels verlangt. Als der geistliche Führer des Iran prompt nach dem Abschluss des Abkommens den Westen heftig beschimpfte und die USA wieder einmal als „Satan“ bezeichnete, stieg man in Washington auf die Bremse und behindert nun zum Ärger des Iran die in Aussicht gestellten wirtschaftlichen Kooperationen.

Demgegenüber agiert Russland offen als Freund und Partner des Iran, sodass eine Achse Moskau-Jerusalem kaum im Interesse Israels sein kann.

Allerdings präsentiert sich Putin als Moderator einer Neuordnung im Nahen Osten, bei der die Existenz Israels nicht in Frage gestellt werde. Mehr noch, Israel hat starke russische Wurzeln, die neuerdings in Moskau betont werden: Fast alle Gründungspersönlichkeiten Israels waren Emigranten, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem mörderischen Antisemitismus im russischen Kaiserreich geflohen sind. Im späten 20. Jahrhundert kamen in den siebziger Jahren noch aus der Sowjetunion und in den neunziger Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hunderttausende jüdische Russen nach Israel. Wenn auch viele noch russisch sprechen und gelegentlich eine gewisse Nostalgie für die frühere Heimat empfinden, so dominieren doch die Erinnerung an die brutalen Verfolgungen und das Bekenntnis zu Israel.

Putin wird also nicht leicht Israel als gleichsam russisches Land reklamieren können, hat aber in Aussicht gestellt, dass Pensionsansprüche, die Emigranten noch in Russland haben, erfüllt werden.

Der Westen braucht dringend ein außenpolitisches Konzept

Die innerhalb kürzester Zeit geänderten Verhältnisse im Nahen Osten zeigen die Schwäche der westlichen Außen- und Verteidigungspolitik.

In Europa hält man an den ohnehin wirkungslosen Wirtschaftssanktionen gegen Russland fest, während Moskau nicht an die Aufgabe der Krim denkt, sondern die Halbinsel kürzlich sogar noch stärker in den russischen Staatsverband eingegliedert hat. Die NATO wiederholt wirkungslose Proteste gegen die Annexion der Krim.

Im Nahen Osten ist der Westen im Begriff die Türkei als Vorposten zu verlieren, hat den Verbündeten Israel verärgert und muss sich vom Iran als Satan beschimpfen lassen, obwohl der Atom-Vertrag eine neue Ära einleiten sollte.

Der dritte Partner des Westens in der Region, Saudi-Arabien, ist ein erklärter Gegner des Iran und untersagt sogar den iranischen Muslimen den traditionellen Hadsch nach Mekka. In Riad wird jede Begünstigung des Iran und somit auch das Atom-Abkommen strikt abgelehnt. Zudem ist die autoritäre Monarchie, in der ständig Hinrichtungen stattfinden, wohl kaum der ideale Partner für Länder, die die Menschenrechte als unverzichtbare Basis ihrer Existenz betrachten.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. 

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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