Der seit Monaten andauernde Machtkampf in Brasilien ist entschieden: Der Senat votierte am Mittwoch klar für die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff, die bereits seit Mai suspendiert war. Drei Stunden später leistete ihr früherer Verbündeter und jetziger Erzfeind Michel Temer den Amtseid als Präsident. Mit der Amtsübernahme durch den 75-jährigen Konservativen enden 13 Jahre linker Regierung im größten Land Lateinamerikas.
Die Senatoren mussten bei der Abstimmung in Brasília auf eine konkrete Frage antworten: „Hat Dilma Rousseff das Verbrechen der Amtspflichtverletzung begangen?“ Darauf antworteten 61 von 81 Senatoren mit Ja, 20 sagten per elektronischer Stimmabgabe Nein. Damit wurde die notwendige Zweidrittelmehrheit klar erreicht, die erste Frau an der Spitze des südamerikanischen Riesenlands war mit sofortiger Wirkung ihres Amtes enthoben.
Ihr Nachfolger Temer wurde am Mittwoch in einer kurzen Zeremonie im Senat vereidigt. Anschließend versprach er bei einer im Fernsehen übertragenen Kabinettssitzung eine „neue Ära“ für das Land.
Vor seinem Amtsantritt hatte Temer in Washington mit einflussreichen US-Senatoren über einen Machtwechsel in Brasilien gesprochen. Es ging dabei vorrangig um die Interessen der US-Konzerne in Brasilien.
Temer war ursprünglich Vizepräsident, seit der Suspendierung von Rousseff bekleidete er übergangsweise aber schon das höchste Amt im Staat. Der 75-Jährige ist in der Bevölkerung ähnlich unbeliebt wie seine Vorgängerin, deren Entmachtung er aktiv betrieb: Temers Mitte-Rechts-Partei PMDB hatte im März das Koalitionsbündnis mit Rousseffs linksgerichteter Arbeiterpartei (PT) aufgekündigt und damit der bereits wegen Korruptionsaffären in Bedrängnis geratenen Staatschefin den entscheidenden Schlag versetzt.
Der Präsidentin wurde vorgeworfen, Haushaltszahlen geschönt und Geld ohne Zustimmung des Kongresses ausgegeben zu haben – eine Praxis, die auch unter ihren Amtsvorgängern weit verbreitet war. Die 68-Jährige und auch viele Experten sehen die Begründung für das Amtsenthebungsverfahren deshalb als vorgeschoben an – und zwar von den Konservativen, um die Macht im Land auch ohne Wahlen zu übernehmen.
Es habe sich um einen „parlamentarischen Putsch“ gehandelt, erklärte Rousseff am Mittwoch vor ihren Anhängern in Brasília. „Sie haben entschieden, das Mandat einer Präsidentin zu beenden, die kein Verbrechen begangen hat.“ Sie fügte hinzu: „Wir werden zurückkommen.“ Ihr Anwalt José Eduardo Cardozo kündigte an, vor dem Obersten Gerichtshof Berufung gegen die Entscheidung des Senats einzulegen.
Rousseff hatte offenbar bis zuletzt auf einen Verbleib im Amt: Hätte es im Senat keine Zweidrittelmehrheit für ihre Absetzung gegeben, wäre der Fall zu den Akten gelegt worden. Die 68-Jährige hätte bis 2018 im Amt bleiben können – erst dann stehen in Brasilien wieder Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an.
Als Reaktion auf die Entscheidung des brasilianischen Senats kündigte Venezuela an, die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland auf Eis zu legen. Unter anderem solle wegen des „parlamentarischen Staatsstreiches“ der Botschafter aus Brasilien abberufen werden, erklärte das Außenministerium in Caracas. Auch das ebenfalls linksregierte Ecuador kündigte die Abberufung seines Botschafters an.