Deutschland

EU-Gipfel: Sieg der Südstaaten ist Pyrrhus-Sieg für Europa

Der Jubel der Italiener und Spanier über ihren Erfolg auf dem EU-Gipfel ist verständlich. Sie haben Angela Merkel praktisch auf ganzer Linie besiegt. Auf lange Sicht reicht ein politischer Erfolg jedoch nicht. Denn ohne grundsätzliche Lösung des Schuldenproblems rutscht Europa nur tiefer in die Krise.
29.06.2012 10:30
Lesezeit: 2 min

Aktuell: Monti triumphiert – Nach dem Fussball noch ein Sieg gegen Deutschland

Am Morgen nach der langen Nacht der Messer der EU-Beratungen sah Brüssel einen strahlenen Mario Monti und eine ziemlich zerknitterte Angela Merkel. Wie schon bei Fußballspiel am Abend zuvor gingen die Italiener auch in Brüssel als Sieger vom Platz (hier). Und wie beim Fußball gewannen die Italiener den Gipfel vor allem, weil sie abgezockter spielten.

Für Monti und seinen spanischen Kollegen Mariano Rajoy ist der Erfolg wichtig: Er verschafft beiden Luft zum Atmen. Sie können mit dem guten Gefühl nach Hause fahren, einen Teil ihrer Schuldenprobleme auf Deutschland abgewälzt zu haben. In Rom und Madrid kann das Gipfel-Ergebnis als politischer Erfolg verkauft werden. Die unter Druck geratenen Regierungschefs haben sich Erleichterung verschafft.

Die Reaktion der Märkte war verhalten positiv: Der Euro sah sich gegenüber dem Dollar gestärkt, die Zinsen für italienische und spanische Staatsanleihen sanken sichbar, wenngleich nicht dramatisch.

Diese Marktreaktion darf nicht überbewertert werden. Die meisten Volumina machen die vollautomatisierten Hochgeschwindigkeitshändler, die die als positiv verkauften Nachrichten vom Gipfel für einen schnellen Gewinn vor dem Wochenende nutzen werden.

Denn nachhaltig ist dieser Erfolg nicht: Der ESM - wiewohl undemokratisch und daher aus Sicht derer, die an ihm verdienen, effizient - kann Italien und Spanien nicht finanzieren. Vor allem aber wird die Möglichkeit, sich direkt aus dem Gemeinschaftstopf zu finanzieren, dazu führen, dass Italien und Spanien ihre Reformbemühungen drastisch reduzieren werden. Monti hat ohnehin noch gar nichts Zählbares vorzuweisen, weshalb er der Haupttreiber bei der Instrumentalisierung des ESM war. Rajoy dagegen kann nicht viel machen, weil er jede Reform mit den im Grunde reformunwilligen Regionen abstimmen muss. Die werden ihn in den kommenden Monaten natürlich auffordern, Geld aus dem ESM zu beschaffen.

Damit dürfte sich die Spirale beschleunigen: Mehr Schulden und weniger Sparen führen zu einer Vertiefung der Krise. Über den ESM wird Deutschland nun direkt in den Strudel gezogen. Immerhin muss man sagen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble immer genau dafür gewesen ist, weil er sich als letzter Erbe von Helmut Kohl sieht, als der Hüter der Idee von einem Zentraleuropa, in dem die Nationalstaaten an Bedeutung verlieren.

Der politische Tagessieg wird seinen Glanz spätestens dann verlieren, wenn es um die Frage geht, wie der ESM denn nun wirklich funktioniert. Bleibt die Subordination (also die Besserstellung der offiziellen Gläubiger im Rang) für private Gläubiger bestehen, dann werden die Investoren weiter aussteigen. Dann aber muss der ESM immer mehr Geld in die Staaten pumpen, die seine Hilfe brauchen. Die Droge wird jedoch bald zur Neige gehen: Denn die nun vorhandenen 700 Milliarden Euro reichen bei weitem nicht, um alle notleidenden Euro-Staaten zu finanzieren.

Fällt die Subordination dagegen, dann muß der ESM im Grunde mit allen Staaten neu verhandelt werden. Denn dann steigt das ohnehin große Risiko, dass sich die deutschen Steuergelder in Luft auflösen, noch einmal erheblich. Es ist schwer vorstellbar, dass die in Brüssel bereits diskutierte Änderung des ESM (hier) ohne neuen parlamentarischen Prozess quasi im Hinterzimmer vollzogen werden kann. Wie lange das alles dauert, weiß kein Mensch. Erste Analysten warnen bereits davor, dass der Gipfel nur ein Schritt auf einem kilometerlangen Marsch ist.

Bald schon wird sich nämlich zeigen: Die Euro-Mischung bleibt brisant. Weniger Sparen, mehr Schulden, rechtliche Unsicherheiten - so löst man kein Problem, sondern schafft jede Menge neue. Sobald die Märkte zu denken beginnen werden und der Siegesrausch verflogen ist, wird sich Europa genau dort finden, wo es heute steht: Am Scheideweg. Der Unterschied zu heute: Es gibt noch mehr Druck und noch weniger Optionen. Aus historischer Sicht wird die Einigung von Brüssel als klassischer Pyrrhus-Sieg für Europa eingeordnet werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Greg Abel übernimmt: Der stille Stratege hinter Warren Buffetts Milliarden-Imperium
17.05.2025

Mit dem Rückzug von Warren Buffett endet eine Ära. Doch an die Stelle des legendären Investors tritt kein charismatischer Visionär,...

DWN
Panorama
Panorama In Zeiten von Trump: Bleibt das Traumziel USA für Deutsche attraktiv?
17.05.2025

Die USA galten lange als Traumziel für deutsche Urlauber. Doch politische Entwicklungen und wachsende Unsicherheit verändern das Bild....

DWN
Immobilien
Immobilien Koalitionsvertrag 2025: Das bedeutet er für Mieter, Vermieter und Immobilienbesitzer
17.05.2025

Union und SPD haben nach längerem Hin und Her den Koalitionsvertrag für die kommende Regierungsperiode unterschrieben. Was dieser zu den...

DWN
Technologie
Technologie Batteriekrieg mit China: Europa setzt auf Start-ups, Peking baut Gigafabriken
17.05.2025

Der technologische Wettlauf gegen Pekings Expansionsstrategie hat begonnen. Start-ups wie Factorial und Industriegiganten wie Mercedes...

DWN
Politik
Politik Präsidentschaftswahlen in Rumänien: Wird George Simion Trumps „Werkzeug“ in Europa?
17.05.2025

Ein Trump-Verehrer an der Spitze Rumäniens? George Simion, der Favorit für die Präsidentschaft, ist zuversichtlich, dass er die Wahl am...

DWN
Politik
Politik Bundeshaushalt: Klingbeils Kraftakt mit zwei Haushalten und einem klaren Ziel
17.05.2025

Ein Kaltstart für Finanzminister Klingbeil: Treffen in Brüssel, die Steuerschätzung, Gespräche der G7 – alles binnen zwei Wochen. Der...

DWN
Politik
Politik Elon Musk: Der stille Umbau der USA in ein Tech-Regime
17.05.2025

Nie zuvor in der modernen Geschichte der USA hat ein einzelner Unternehmer derart tief in den Staat eingegriffen. Elon Musk, offiziell ohne...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up WeSort.AI: Wie künstliche Intelligenz die Mülltrennung revolutioniert
16.05.2025

Die Müllberge wachsen von Jahr zu Jahr, bis 2050 sollen es fast siebzig Prozent mehr Abfall sein. Die Brüder Johannes und Nathanael Laier...