Politik

Wahl in Island: Schuldenkrise stärkt Anti-EU-Parteien

Lesezeit: 2 min
27.04.2013 18:04
Island steht vor einem Regierungswechsel. Die isländische Bevölkerung stöhnt unverändert unter gigantischen Schuldenlasten. Ein EU-Beitritt ist für die Mehrheit der Isländer keine Lösung ihrer Probleme.
Wahl in Island: Schuldenkrise stärkt Anti-EU-Parteien

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Am Samstag gehen die Isländer zur Wahlurne und es sieht danach aus, als würden die Anti-EU-Parteien als klare Sieger hervorgehen. Island wird gern als erfolgreiches Beispiel für die Überwindung der Schuldenkrise herangezogen. Aber der Blick ins Land zeigt die schwere Last der Bevölkerung. Und genau diese Last, die viel mit der hohen Verschuldung der Bürger zusammenhängt, schürt den Widerstand gegen die aktuelle Regierung. Diese will näher an die EU, doch die Bevölkerung rechnet dann mit noch größeren Einschnitten.

Die isländische Regierung ließ in Folge der Finanzkrise 2008 die maroden Banken pleitegehen. Man setzte auf Inflation und vermied eine Zwangsabgabe der Bankkunden. Ein Weg, der von außen betrachtet, zum Erfolg führte. 2011 konnte Island ein Wachstum von immerhin 2,9 Prozent vorweisen und im vergangenen Jahr waren es noch 1,6 Prozent. Zahlen, von denen die meisten europäischen Länder derzeit nur träumen. Doch in Island selbst ist die Bevölkerung derzeit alles andere als zufrieden.

Die Bevölkerung leidet massiv unter der Währungsabwertung. Die Krone fiel um 50 Prozent, die Kaufkraft verringerte sich um 30 bis 40 Prozent. „Das rosige Bild, das von Island gemalt wird, ist nicht richtig“, zitiert die FT Arni Pall Arnason, den Leiter der der regierenden Sozialdemokraten. „Wir haben wirtschaftliche Schwierigkeiten, die aus dem Abfall der Währung entstanden sind.

Doch nicht nur die Kaufkraft ist ein Problem für die Bevölkerung. Noch viel bedrohlicher ist es die hohe pro-Kopf-Verschuldung. Diese liegt bei enormen 322 Prozent des verfügbaren Einkommens (hier). In Island gab es vor der Krise 2008 so gut wie keinen Mietmarkt. Der Erwerb von Immobilien schon im jungen Alter hat, ähnlich wie in den Niederlanden, Tradition. Und der große Finanzsektor machte es besonders einfach, an günstige Hypotheken zu kommen.

Doch die Mehrheit der Hypotheken in Island ist an die Inflation gebunden. Während die Immobilienpreise in den vergangenen Jahren um mehr als 20 Prozent gefallen sind, stiegen jedoch die Hypotheken aufgrund der massiven Inflation. Der Preis eines über Hypotheken gekauften Hauses steht heute in keinem Verhältnis mehr zu den Hypothekenschulden. Der IWF warnte bereits davor, dass vergebene Hypotheken im Wert von 380 Milliarden Euro schon jetzt im Risiko stehen – Kreditausfällle drohen.

Genau an diesem Punkt setzt die Fortschritts-Partei um Sigmundur David Gunnlaugsson an. Im Wahlkampf versprach seine Partei beispielsweise, die Hypothekenschulden der Isländer um 20 Prozent zu reduzieren. Finanzieren will er das über die Gewährten Finanzmittel der ausländischen Gläubiger. Und Gunnlaugssons Partei ist es auch, die Island im Gegensatz zur Regierungspartei gegenüber der EU weiter abschotten will. „Was uns die wirtschaftliche Krise in Island und Europa gelehrt hat, ist, wie wichtig es ist, dass man sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen kann“, sagte Gunnlaugsson dem WSJ. Dass genau diese Partei das Land erst unter anderem durch die Deregulierung des Finanzmarktes in die Krise führte, scheint vergessen.

Die Annäherung der derzeitigen isländischen Regierung an die EU ist in dieser wirtschaftlich schwierigen Lage vielen Isländern ein Dorn im Auge. Schließlich geht es den EU-Ländern nicht besser. Und was noch schwerer wiegt, ist die zunehmende Machtausweitung Brüssels. Die vielen, diffusen Regulierungen könnten Islands Unternehmen einschränken. Und die Zwangsabgabe in Zypern war nur ein weiterer Eingriff Brüssels in die nationale Souveränität eines Mitgliedsstaates.

Und doch zeigt der Fall Island, dass nicht die Währung Euro der Fluch vieler Euro-Länder derzeit ist. Sondern die Schuldenkrise an sich ist das Problem. Obwohl die Isländer in der Lage waren, ihre eigenen Währung abzuwerten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, steckt das Land in einer tiefen Krise. Das Schuldenproblem existiert weiterhin, die Bürger müssen zahlen.

Island hat zwar einen radikalen Schnitt bei seinen Banken gemacht.

Doch die Folgen der Exzesse müssen Generationen tragen.

Die Lektion, die Island bitter gelernt hat, steht den Euro-Schuldenstaaten noch bevor.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Quiet Quitting: Der stille Job-Rückzug mit gefährlichen Folgen
22.12.2024

Ein stiller Rückzug, der Unternehmen erschüttert: Quiet Quitting bedroht die Substanz deutscher Betriebe. Warum immer mehr Beschäftigte...

DWN
Technologie
Technologie DWN-Sonntagskolumne: Künstliche Intelligenz Hype Cycle - Zwischen Revolution und Enttäuschung
22.12.2024

Ist künstliche Intelligenz nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Zwischen hohen Erwartungen, Milliardeninvestitionen und...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...