Politik

EU-Politiker fordern das Ende der Unabhängigkeit der EZB

Die EU-Politiker wollen den Zugriff auf die EZB: Im Wahlkampf schließen sich immer mehr Kandidaten der Forderung der Franzosen an, die EZB möge das Ziel der Preisstabilität aufgeben und Arbeitsplätze schaffen. Auch Jean-Claude Juncker geht auf Schmusekurs mit Paris. Die Bundesbank gerät in die Defensive.
20.05.2014 00:10
Lesezeit: 3 min

Die EZB wird zum Spielball der politischen Interessen. Mario Draghi hat sich stets als potentieller Retter Italiens gesehen (mehr hier), die Machtverhältnisse in der EZB sind eindeutig (hier), ihre Kompetenzen ausufernd (hier).

Nun melden sich interessanter Weise zwei sehr unterschiedliche Politiker zu Wort: Jean-Claude Juncker und Silvio Berlusconi unterstützen den französischen Vorschlag, die EZB künftig in Brüssel an die Kandare zu nehmen. 

Auf die Frage „Wie sieht Ihre Vision Europas aus?“ antwortet Silvio Berlusconi in einem Interview: Er wolle zu einem Europa zurück, „dass die Menschen lieben können, weil sie es als eine wirkliche Heimat begreifen. Das bedeutet, dass jeder Abtritt an Hoheitsrechten des Nationalstaats an europäische Institutionen mit einer stärkeren demokratischen Beteiligung einhergehen muss. Das bedeutet, dass allen voran die Europäische Zentralbank eine aktive Rolle spielen muss, um ganz Europa wachsen zu lassen. Sollte das nicht geschehen, dann ist das Risiko groß, dass alles auseinanderfliegt. Die antieuropäischen Fliehkräfte wären nicht mehr zu kontrollieren“, so der italienische Ex-Premier in der Welt.

Auf die Frage „Sie wollen, dass sich die Eurogruppe mit dem Wechselkurs befasst. Gefährdet das nicht die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank?“ antwortete Jean-Claude Juncker: „Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist ein hohes Gut, aber der Vertrag erlaubt der Kommission, den Finanzministern eine allgemeine Orientierung vorzuschlagen. Dann muss die Bank das tun, was die Eurofinanzminister schreiben. Wenn sich der Wechselkurs wirklich zu einem Problem für alle, nicht für einen entwickeln würde, dann kann eine allgemeine Orientierung erlassen werden“, zitiert ihn die FAZ.

Die Verknüpfung dieser beiden Aussagen ergibt sich über zwei Brücken. Die erste Brücke ist beider Zugehörigkeit zur EVP-Gruppe.

Die zweite Verknüpfung ist wichtiger – sie ergibt sich aus bewusster und damit vorgesehener Verletzung des „Lissabon-Vertrages“, also des zurzeit für die EU gültiges Vertrages.

Dessen Artikel 282 Absatz 2 lautet: Das Europäische System der Zentralbanken „wird von den Beschlussorganen der Europäischen Zentralbank geleitet. Sein vorrangiges Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Unbeschadet dieses Zieles unterstützt es die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung ihrer Ziele beizutragen.“ In Absatz 3 lauten der 3. und der 4. Satz: Die Europäische Zentralbank „ist in der Ausübung ihrer Befugnisse und der Verwaltung ihrer Mittel unabhängig. Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten achten diese Unabhängigkeit.“

Berlusconi erledigt die Kernaufgabe der EZB, nämlich die Preise und damit den Geldwert des Euros im Inneren, in den Euroländern stabil zu halten. Die Nebenaufgabe, die allgemeine Wirtschaftspolitik zu unterstützen, was nicht zu einer Verletzung ihrer Hauptaufgabe führen darf („unbeschadet“), macht Berlusconi zur alleinigen Aufgabe der EZB. Die Preis- und damit die Geldwertstabilität werden nicht mehr erwähnt – auch nicht an anderer Stelle in dem umfangreichen Interview.

Zwar formuliert Juncker vorsichtiger und will alle Eurofinanzminister einbeziehen, kommt doch zum gleichen Ergebnis wie Berlusconi. Er erklärt, dass die EZB tun müsse, was die Eurofinanzminister der Bank vorschreiben. Wenn die EU-Kommission zu den Euro-Wechselkursen eine „allgemeine Orientierung“ geben würde, müssten die Eurofinanzminister die EZB anweisen, der Orientierung oder den Schlussfolgerungen daraus zu folgen.

Im Lissabon-Vertrag ist eine solche Machtfülle nicht vorgesehen. Das Protokoll regelt nur, dass die Minister der Euro-Mitgliedstaaten „zu informellen Sitzungen“ zusammentreten können. Sie werden „bei Bedarf abgehalten, um Fragen im Zusammenhang mit ihrer gemeinsamen spezifischen Verantwortung im Bereich der einheitlichen Währung zu erörtern.“ Sie werden von den Finanzministern und der EU-Kommission vorbereitet. Die EZB wird dazu eingeladen. Änderungen des EU-Vertrages gehören nicht zum Aufgabenbereich der Euro-Gruppe.

Berlusconi und Juncker wollen den Lissabon-Vertrag stillschweigend mit dem Ziel ändern, die Unabhängigkeit der EZB zu beenden und deren heutige Nebenaufgabe zur alleinigen Hauptaufgabe umzuwandeln. Das würde bedeuten, die EZB habe die Wirtschaftspolitik der gesamten EU zu unterstützen. Die Anweisungen dazu erhielte sie von den Eurofinanzministern und von der EU-Kommission. Da die Kommission in der sich herausgebildeten Praxis die Sitzungen der Eurofinanzminister federführend vorbereitet, würde die EZB zum Befehlsempfänger der Kommission. Schon heute wird die EZB zu den Sitzungen gemäß Protokoll Nr. 14 zum Lissabon-Vertrag nur eingeladen. An der Vorbereitung hat sie nicht mitzuwirken.

Der Vorstoß ist natürlich wahltaktischer Natur: Die EVP will den Konservativen in Frankreich Unterstützung zuteil werden lassen.

Doch die Idee, der EZB auch formal ihre Unabhängigkeit zu nehmen, könnte nach der Wahl tatsächlich auf der Agenda der Großen Koalition in Europa stehen.

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