Politik

EU-Rebell Ehrenhauser: „Die Leute werden auf die Straße gehen und ihr Recht einfordern“

Der österreichische EU-Parlamentarier Martin Ehrenhauser lebt seit sechs Wochen in einem Zelt an öffentlichen Plätzen. Mit diesem außerparlamentarischen Aktionismus protestiert Ehrenhauser gegen die Bankenrettung. Er fordert eine radikale Reform der EU - und erwartet Massenproteste, wenn sich das System nicht ändert.
23.05.2014 18:53
Lesezeit: 3 min

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Nach vielen Jahren im EU-Parlament: Was ist Ihr Fazit? Sie kandidieren wieder*, also kann es ja nicht ganz schlecht sein in der EU?

Martin Ehrenhauser: Die Entscheidungen in der EU werden undemokratisch getroffen. Das Parlament kann keinen Gesetzgebungsprozess in Gang setzen. Der Kommissionspräsident wird nicht direkt gewählt und der Rat hebelt die Gewaltenteilung aus und trifft seine Entscheidungen in dunklen Hinterzimmern. Es wird Zeit, dass wir diese EU vom Kopf auf die Füße stellen. Es braucht mehr progressiv-kritische Stimmen. Wir wollen eine solche sein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie fordern eine „unabhängige Politik“ in der EU. Ist das überhaupt möglich? Die Themen sind komplex, die meisten Abgeordneten sind – etwa in Finanzfragen – keine Experten. Übernehmen in einem solchen System nicht zwangsläufig die Lobbyisten und die Berater das Ruder?**

Martin Ehrenhauser: Dass es im EU-Parlament keinen ordentlichen wissenschaftlichen und juristischen Dienst gibt, der jedem Abgeordneten schnell Fragen beantwortet, macht es den Lobbyisten sehr leicht. Hinzu kommt ein enormes Ungleichgewicht der rund 20.000 Lobbyisten in Brüssel. Das Verhältnis zwischen Konzernvertretern und Arbeitnehmervertretern liegt bei rund 5 zu 1. Abhilfe kann dabei nur mehr Transparenz und klare Regeln für Lobbyisten und Politiker verschaffen. Das manche Abgeordnete monatlich mehr Geld von Konzernen beziehen dürfen als ihr Abgeordnetengehalt, ist ein Skandal.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie fordern, dass die Staaten sich selbst finanzieren. Das hat es im Ostblock gegeben – mit dem Erfolg, dass das System kollabiert ist. Ist es nicht so, dass Politiker, wenn sie unbegrenzt über Geld verfügen können, per se anfällig für den Missbrauch werden?

Martin Ehrenhauser: Ob wir Schulen, Krankenhäuser oder Pflegeheime bauen wollen, für das alles benötigt der Staat Geld. In unserem jetzigen System muss sich der Staat bei privaten Geschäftsbanken verschulden und ist damit von diesen abhängig. Um diese Abhängigkeit zu beenden, gibt es viele Möglichkeiten. Die Installation einer vierten Gewalt, oder dass die EZB in einem begrenzten Umfang von etwa 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zinsfrei und zu niedrigem Zins Geld direkt an die Staaten ausgibt. Damit hätte man auch eine vernünftige Gegenkontrolle.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie haben lange mit dem „Aufdecker“ Hans-Peter Martin zusammen in einer Fraktion Politik gemacht. Martin wird heute vorgeworfen, er habe Fördergelder zweckwidrig eingesetzt. Korrumpiert das System?

Martin Ehrenhauser: Ich selbst habe diesen Fall aufgedeckt. Es war persönlich eine große Enttäuschung. Es braucht einen starken Charakter. Er hatte ihn scheinbar nicht. Menschen die in den herkömmlichen Parteien sozialisiert werden, wachsen in einem System des Gebens und Nehmens auf. Sie sind anfällig, weil sie die Vorgangsweisen nicht ausreichend reflektieren. Wer es in einer diesen Parteien zum Finanzreferenten schafft, muss einen kreativen Umgang mit Parteispenden pflegen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ein anderer EU-„Rebell“, Nigel Farage, beschäftigt seine Frau auf Steuerkosten – und findet gar nichts Verwerfliches an diesem Nepotismus. Sind die Euro-Skeptiker nichts anderes als die restlichen Politiker, nur eben mit einem anderen „Produkt“?

Martin Ehrenhauser: Wir sind auch sehr EU-kritisch. Wir haben aber den Drang zu reformieren und zu modernisieren. Wir wollen die EU radikal umbauen und arbeiten dafür. Es gibt aber auch destruktive Kräfte, die ihre eigene Arbeitsverweigerung durch EU-Kritik legitimieren. Davon halten wir nichts.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie fordern, dass die EU-Kommission direkt gewählt wird. Merkel hat erklärt, dass der Präsident von den Regierungschefs geheim und im Hinterzimmer bestellt wird. Wie lange müssen die Europäer warten, bis sie echte demokratische Strukturen in der EU erleben?

Martin Ehrenhauser: Schwer zu prognostizieren. Aber wenn die herkömmliche Politik nicht rasch umdenkt und eine radikale Demokratisierung der EU einleitet, durch einen Bürgerkonvent, dann wird sich der Unmut der Bürger weiter verschärfen. Die Leute werden auf die Straße gehen und ihr Recht vehement einfordern. Sie werden ihren Protest ausdrücken, indem sie radikale Kräfte wählen. Dieser Moment rückt immer näher und näher.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie haben neulich durch eine Ein-Mann-Demo mit einem Zelt Aufmerksamkeit erregt. Müssen die wenigen unabhängigen Abgeordneten nicht viel stärker zu solchen außerparlamentarischen Mitteln greifen?

Martin Ehrenhauser: Ich lebe seit sechs Wochen auf der Straße. Wir protestieren gegen das Verbrechen Bankenrettung. Diese Zeit hat mir persönlich gut getan. Es hat mich weiter geerdet. Es wäre auch für andere Politiker sinnvoll wieder einmal Straßenluft zu schnuppern. Vor allem für kleine Gruppierungen ist friedlicher Aktionismus ein legitimes Mittel um gegen die Materialschlachten der herkömmlichen Parteien anzukommen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was machen Sie beruflich, wenn Sie den Einzug ins Parlament diesmal nicht schaffen?

Martin Ehrenhauser: Ich habe ein enormes Vertrauen in mein Leben und ich weiß, dass mir dieses eine neue wunderbare Aufgabe stellen wird. Welche dies sein wird, muss sich erst weisen.

*Martin Ehrenhauser kandidiert für ein österreichischen Wahl-Bündnis. Die Gruppe schreibt: "Europa Anders ist eine Wahlallianz aus der KPÖ, der Piratenpartei Österreich, der Wandel und Unabhängigen, die gemeinsam bei der Europawahl am 25. Mai für eine gerechte Verteilung von Macht, Chancen und Ressourcen antreten. Gemeinsam haben wir die Größe und Stärke ins Europaparlament einzuziehen und unseren Forderungen nach einer gerechten Verteilung von Chancen und Ressourcen, Netzfreiheit und Schutz vor Überwachung sowie einem fairen Sozialstaat Gehör zu verschaffen. Vor allem aber haben wir gemeinsam die Chance, unsere Zukunft zurückzuerobern."

**Der österreichische EU-Abgeordnete Ernst Strasser wurde verurteilt, weil er Journalisten von der Times angeboten hatte, gegen Bezahlung für ihre Anliegen einzutreten. Die Zeitung filmte dass Geschehen mit versteckter Kamera (Video am Anfang des Artikels).

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