Technologie

Händler: „Was in Russland abgeht ist der Wahnsinn!“

Lesezeit: 3 min
16.12.2014 15:54
Die Entwicklung an den russischen Märkten schickt Schockwellen über den Globus. Händler fürchten, dass der Ausverkauf auch auf andere Märkte übergreifen könnte. Den russischen Medien hat es die Sprache verschlagen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der massive Preisverfall bei Öl und die Folgen für Russland haben am Dienstag auch den Anlegern an den europäischen Aktienmärkten schwer zu schaffen gemacht. Bei anziehenden Umsätzen schwankten Dax und EuroStoxx50 stark. Am frühen Nachmittag notierte der Dax mit 9240 Zählern ein Prozent niedriger, während der EuroStoxx50 etwa 1,8 Prozent auf 2929 Zähler verlor.

„Die Leute sind hochgradig nervös“, sagte ein Händler. „Was da auch an den russischen Märkten abgeht, ist der nackte Wahnsinn.“

Der Preis für das Nordseeöl Brent rutschte erstmals seit Mai 2009 unter die Marke von 59 Dollar je Fass: Zeitweise fiel der Preis um 4,2 Prozent auf 58,50 Dollar. Die US-Sorte WTI markierte mit 53,80 Dollar ebenfalls den niedrigsten Stand seit Mai 2009. Seit Sommer hat sich Öl um fast 50 Prozent verbilligt.

Trotz einer drastischen Leitzinserhöhung der russischen Zentralbank ist der Rubel weiter im freien Fall. Der Dollar kletterte am Dienstag in der Spitze um 24 Prozent auf ein Rekordhoch von 80,10 Rubel. An den Märkten grassierte die Furcht vor einer Staatspleite Russlands. Der russische Leitindex verbuchte den größten Tagesverlust seiner Geschichte.

Ich bin sprachlos“, so Jean-David Haddad, ein Schwellenmarktstratege der OTCex Gruppe in Paris. „Was für ein Misserfolg für die Zentralbank. Russland müsste bereits heute Kapitalverkehrskontrollen ausrufen. Das ist die letzte Lösung“, zitiert ihn Bloomberg. Weitere Experten schließen sich dieser Meinung an.

Um den Werteverfall der russischen Währung zu stoppen, hatte die Notenbank den Zinssatz in der Nacht auf 17 Prozent nach zuvor 10,5 Prozent angehoben. Doch nach einer kurzen Erholungsbewegung am Morgen verpuffte der Effekt - der Rubel nahm seine Talfahrt wieder auf. Seit Jahresbeginn hat er rund 70 Prozent an Wert verloren. Auch am russischen Aktienmarkt gab es kein Halten mehr: Der Leitindex fiel um 19,5 Prozent auf 578,21 Zähler.

Der Ausverkauf an den Märkten schürte die Angst der Anleger vor einer Staatspleite. Die Absicherung eines zehn Millionen Dollar schweren Pakets russischer Anleihen gegen Zahlungsausfall verteuerte sich um 109.000 auf 656.000 Dollar, teilte der Datenanbieter Markit mit. Das sei der höchste Stand seit fünfeinhalb Jahren.

Ein möglicher Zusammenbruch der russischen Wirtschaft wirkt sich auch auf die Märkte und Assets in Osteuropa aus. Die Aktien der österreichischen Raiffeisenbank brachen um 4,3 Prozent ein und standen somit auf einem Rekordtief, berichtet die FT.

Gold fiel am Montag nach Reuters-Daten um 29 Dollar. Händler berichten laut der Nachrichtenagentur, dass Moskau womöglich einige seiner Goldbestände verkaufen mussten, um den Bargeld-Bestand zu erhöhen. Allerdings nur für 1.220 Dollar pro Unze.

Die Investoren suchten daher Sicherheit in Bunds. Deutsche Zehn-Jahres-Anleihen fielen um fünf Basispunkte auf 0,57 Prozent – die niedrigste Rendite in der Geschichte, so die FT.

Für Nervosität sorgt laut Marktexperten vor allem, dass die Zentralbank bislang offenbar machtlos gegen den Rubelverfall agiert. Die Zentralbank hat in diesem Jahr bislang über 80 Milliarden Dollar ausgegeben, um den Rubel zu stützen. Russland sitzt noch auf Devisenreserven von 416 Milliarden Dollar. Wenn der jüngste Zinsschritt die Märkte nicht beeindrucke, bleibe noch die Möglichkeit, die heimische Währung mit Interventionen im Volumen von zehn Milliarden Dollar pro Tag zu stützen, sagt Natalia Orlova von der Alfa Bank. Vladimir Pantyushin von der Sberbank sagte dem russischen Staatssender RT, dass in den hohen Währungsreserven der entscheidende Unterschied zur Staatspleite 1998 läge: Damals habe Russland gerade mal 15 Milliarden Dollar an Reserven gehabt.

Neben der Überproduktion - vor allem in Nordamerika - machen Experten die schwache Konjunktur in Europa und China für die Talfahrt bei Öl verantwortlich. Viele Analysten vermuten aber auch politische Gründe hinter dem Preisverfall. Denn vor allem Russland - das mit seiner Ukraine-Politik im Westen auf heftige Gegenwehr gestoßen war - gilt als einer der größten Verlierer der Entwicklung: Rund 40 Prozent der Einnahmen des russischen Staates stammen aus dem Export von Rohöl. Im Haushaltsplan für 2014 war die Regierung noch von einem durchschnittlichen Preis von 104 Dollar je Fass ausgegangen.

„Die russische Wirtschaft droht, sollte sich der Kurs für WTI unterhalb 50 Dollar je Barrel halten, im nächsten Jahr um 4,5 Prozent zu schrumpfen“, erklärte Niall Delventhal, Marktanalyst von DailyFX. „Für die Zentralbank wird es schwierig den Rubel zu stabilisieren, solange der Ölpreis weiter fällt“, sagt Wladimir Miklashevsky, Volkswirt bei der Danske Bank. Es sehe nicht so aus, als ob der Zinsschritt ausreiche.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...