US-Präsident Barack Obama hat in seiner Rede an die Nation den Kurs des Westens in der Russland-Politik festgelegt und dabei klargemacht, dass die Amerikaner keine Lockerungen der Sanktionen akzeptieren wollen. Obama sagte in der Rede wörtlich:
„Wir demonstrieren die Macht der amerikanischen Stärke und Diplomatie. Wir halten den Grundsatz aufrecht, dass größere Nationen nicht die kleinen Nationen schikanieren dürfen. Wir haben uns daher der russischen Aggression entgegengestellt, die Demokratie in der Ukraine wiederhergestellt und unseren Nato-Verbündeten unserer Unterstützung versichert.
Im vergangenen Jahr haben wir uns der anstrengenden Aufgabe unterzogen, gemeinsam mit unseren Verbündeten Sanktionen zu verhängen. Wir haben unsere Präsenz in den Grenz-Staaten verstärkt. Damals haben uns einige Leute gesagt, Putin würde eine meisterhafte Strategie verfolgen, er sei stark. Heute steht Amerika stark und vereint mit seinen Verbündeten da, während Russland isoliert ist und seine Wirtschaft ein Scherbenhaufen ist. So führt Amerika – nicht mit lautem Getöse, sondern mit konsequenter Entschlossenheit.“
Damit hat Obama die Bemühungen der EU, die Sanktionen gegen Russland zu lockern, vorerst blockiert: Obama hatte vor einigen Tagen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert. Das Telefonat fand statt, nachdem ein EU-Papier geleakt wurde, in dem ein detaillierter Plan der EU zum Ausstieg aus den Sanktionen entwickelt worden war. Das Papier kam aus dem Büro von Federica Mogherini, der italienischen Außenbeauftragten der EU. Italien machen die Sanktionen besonders zu schaffen.
Es ist nicht überliefert, ob Obama Merkel wegen des Vorstoßes zur Rede gestellt hat. Das weiße Haus verkündete nach dem Treffen allerdings, dass die EU neue Kredite an die Ukraine vergeben solle. Das klingt nicht nach Entspannung, sondern nach einem Rüffel.
Beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel kam es am Montag daher folgerichtig zu einem Rückzieher, wie der EUObserver berichtet. Nach außen wird der Rückzug „Konsens“ genannt: Die Sanktionen gegen Russland sollen aufrechterhalten bleiben, bis sich das Land aus dem Osten der Ukraine zurückzieht. Das klingt völlig anders als noch vor einer Woche.
Damals wollte die EU endlich die Sanktionen beenden, die ihr von den Amerikanern nach Aussage von US-Vizepräsident Joe Biden verordnet worden waren. Das Diskussionspapier von Mogherini, welches dem Wall Street Journal zugespielt wurde, zeigt, dass die Beziehungen zu Russland schrittweise normalisiert werden sollen. Dort steht, dass nicht nur die Strafmaßnahmen aufgehoben werden sollen, wenn sich die Lage verbessert. Sondern es sollen dann auch wieder die EU-Russland-Treffen in voller Bandbreite stattfinden. Die EU erwog sogar, der Einladung Russlands zu einer Kooperation mit der Eurasischen Union zu folgen. Das hören die Neocons in Washington allerdings gar nicht gerne: Sie wollen, dass sich die EU auf den Abschluss des TTIP konzentriert und nicht mit einer Öffnung nach Osten verzettelt.
Das Papier sollte als Diskussionsgrundlage für das Treffen der EU-Außenminister am 19. Januar dienen. Es ist interessant, dass das Papier dem WSJ zugespielt wurde - also einer US-Zeitung, die in Sachen Russland den Kurs Washingtons voll mitgeht. Wer das Papier durchgestochen hat, ist natürlich unbekannt. Aber angesichts der Heerscharen von US-Lobbyisten und Spin-Doctores ist es durchaus denkbar, dass jemand mit besonderer Nähe zu Washington die EU-Initiative abgeschossen hat. Auch die Briten kommen als Informanten in Frage, ebenso die Hardliner aus Polen oder dem Baltikum.
Frankreichs Staatspräsident François Hollande hatte sich überraschend klar für einen Stopp der Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Die Maßnahmen hätten nicht funktioniert.
Doch die Aussagen nach dem Treffen in Brüssel legen den Schluss haben, dass sich die EU ohne größeren Widerstand auf Linie hat bringen lassen: Bezugnehmend auf die neu entflammten Kämpfe im Donbass sagte Mogherini am Montag, dass es kein „Zurück zum business as usual“ gebe. Ins selbe Horn stießen Tschechien, der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sogar die US-kritischen Ungarn. Budapest hatte die EU-Sanktionen in den vergangenen Monaten immer wieder kritisiert. Doch Steinmeier stimmt nun Mogherini zu: „Angesichts der aktuellen Situation in der Ostukraine äußert niemand den Wunsch, die Sanktionen zu lockern.“ Ungarns Peter Szijjarto fügte hinzu, dass Russland nichts getan habe, um das im vergangenen Jahr vereinbarte Minsker Friedensabkommen einzuhalten, berichtet der EUobserver.
Einige Länder wollten sich noch nicht ganz geschlagen geben, wie etwa Österreich, Luxemburg oder Spanien. Die EU solle sich Gedanken machen, wie „man die Beziehungen zu Russland langfristig wieder auf eine solide Basis bringen kann“, so der österreichische Außenminister Kurz. Luxemburg regte an, dass die EU Moskau erklären sollte, dass die Sanktionen das Land nicht „destabilisieren“ sollen. Spanien regte an, die EU solle die Sanktionen aufteilen: Jene für die Annexion der Krim sollen bestehen bleiben, jene für den Osten der Ukraine könnte je nach Entwicklung angepasst werden. Damit war Spanien das einzige Land, das den Kurs des Mogherini-Papiers gehalten hat. Insgesamt aber waren die widerspenstigen Staaten klar in der Minderheit.
Ein besonders hartes Vorgehen gegen Russland fordert Polen, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Irland, Litauen, Niederlande, Schweden und Großbritannien. Bulgarien wiedersprach Spanien, die Krim kann nicht aus den Sanktionen ausgegliedert werden. Irland meinte, dass die Sanktionen „im Auge behalten und gegebenenfalls erweitert und intensiviert“ werden müssen.
Obama hat vergangene Woche offenbar nicht nur Merkel in die Mangel genommen, sondern auch dem britischen Premier David Cameron in Washington ins Gewissen geredet. Nach der Treffen teilte das Weiße Haus mit: „Wir sind uns einig über die Notwendigkeit, starke Sanktionen gegen Russland beizubehalten, bis die Aggression in der Ukraine beendet ist. Einigkeit besteht auch über die Notwendigkeit wichtiger wirtschaftlicher und demokratischer Reformen in der Ukraine“, zitiert ihn Reuters.
Die beiden Staatsmänner legte einen gemeinsamen Gastkommentar in der Londoner Times nach und betonten ihre Entschlossenheit, den diplomatischen Druck auf die Moskauer Regierung aufrechtzuerhalten. „Unsere gemeinsame starke Reaktion hat unmissverständlich vermittelt, dass die internationale Gemeinschaft nicht zusieht, wie Russland die Ukraine zu destabilisieren versucht“, schrieben Cameron und Obama.
Zu militärischen Handlungen dürfte die neue Linie noch nicht führen. Statt dessen will sich die EU in dem in einem neuen US-Gesetz beschlossenen Propaganda-Krieg mit Steuergeldern engagieren. Mogherini sagte, sie wolle nun in den nächsten Wochen konkrete Schritte vorlegen, um der russischen Propaganda entgegenzuwirken. Sie könne sich vorstellen, dass dies in Form von EU-finanzierten russischsprachigen Sendungen oder einer in Brüssel ansässigen Task-Force geschehe, die unabhängige russische Medien unterstützen soll.
Laut Polen befürworten dies „mehr als ein Dutzend Länder“. Der niederländische Außenminister Bert Koenders beschreibt die Berichterstattung der russischen Medien in der Ukraine-Krise als schrecklich. „Es ist sehr wichtig, dass wir eine unabhängige russische Presse und unabhängige russische Stimmen unterstützen“, sagte er.
Die Entscheidung, ob die Russland-Sanktionen für ein weiteres Jahr verlängern werden, entscheiden die Staats- und Regierungschefs auf einen Gipfel im März.