Nach monatelangen Gefechten haben die Separatisten die ostukrainische Stadt Debalzewo weitgehend eingenommen. Das meldet die Nachrichtenagentur dpa. Damit schwindet wenige Tage nach dem Minsker Gipfel so gut wie jede Hoffnung auf baldigen Frieden in der Kriegsregion. «Nur ein paar Wohnviertel sind noch übrig, dann haben wir den Ort völlig unter Kontrolle», sagte der stellvertretende Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk, Eduard Bassurin am Dienstag. Er sprach von «zahlreichen Gefangenen und vielen Toten». Beide Seiten warfen sich vor, die vereinbarte Waffenruhe nie eingehalten zu haben.
Reuters meldet unter Berufung unter Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums, dass die Ukrainische Armee Teile der Stadt verloren habe. Die Rebellen würden bei ihren Angriffen von Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen unterstützt. Mehrere Soldaten seien gefangengenommen worden. Zugleich dementierte das Ministerium Berichte, wonach es sich um eine große Zahl von Gefangenen handeln soll.
Die ukrainische Regierung bestätigte die weitgehende Einnahme der Stadt. «Straßenkämpfe dauern an», teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. «Regierungstreue Einheiten» seien im Einsatz, um den Gegner aufzuhalten. Die Regierung warf den Aufständischen den Bruch der Vereinbarungen von Minsk vor. Debalzewo mit etwa 25.000 Einwohnern ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Donbass. Dort sollen seit Tagen tausende Regierungssoldaten in nahezu aussichtsloser Lage eingekesselt sein.
Wer die «regierungstreuen Einheiten» genau sind, sagt der Sprecher nicht. Die Formulierung lässt die Vermutung zu, dass es sich um paramilitärische Truppen des Rechten Sektors handeln könnte. Die Rechtsextremen hatten bereits am Freitag verkündet, dass sie sich nicht an die Minsker Waffenruhe halten würden, weil diese der Verfassung der Ukraine widersprechen.
Am Montag hatte zunächst die Regierung in Kiew mitgeteilt, dass sie die schweren Waffen nicht aus dem Donbass abziehen werde. Daraufhin hatten die Rebellen bekanntgegeben, ihrerseits die schweren Waffen ebenfalls nicht abzuziehen. Beide Seiten sagte, sie seien nur bereit, diese Waffen Zug um Zug unter Aufsicht der OSZE abzuziehen. Laut Minsker Vereinbarung hätte der Abzug der Waffen am Dienstag um 0.00 Uhr beginnen sollen. Die BBC berichtet, dass keine der beiden Seiten mit dem Abzug begonnen hätten (erstes Video am Anfang des Artikels). Auch auf dem Gelände des Flughafens von Donezk gab es Gefechte. Dabei geriet ein BBC-Team selbst unter Beschuss (zweites Video am Anfang des Artikels)
Am Dienstag nannte die ukrainische Armee die Gefechte von seiten der Rebellen als den Grund, warum die Artillerie weiter in den Stellungen bleibe: «Es gibt vonseiten der Aufständischen keine wirkliche Waffenruhe, deshalb sind die Voraussetzungen (für einen Abzug) nicht gegeben», sagte Militärsprecher Andrej Lyssenko in Kiew. Die Armee sei weiter bereit zur Bildung einer Pufferzone. «Unsere Stellungen werden aber wiederholt unter Feuer genommen», sagte er.
Rebellen-Anführer Denis Puschilin sagte Reuters in Donezk, dass die Rebellen die Kämpfe nicht stoppen würden. Sie wollen Debalzewo einnehmen, weil er die beiden von ihnen kontrollierten Gebiete um Donezk und Luhansk verbindet. Putin hatte bei den Friedensgesprächen in Minsk dagegen nach Angaben ukrainischer und westlicher Diplomaten zugesagt, dass Debalzewo in ukrainischer Kontrolle bleiben solle.
Für Poroschenko würde der Fall von Debalzewo eine schwere Niederlage bedeuten und ihn auch innenpolitisch unter Druck setzen. Die Rebellen hatten Berichten zufolge angeboten, einen Korridor zu öffnen, damit die Regierungssoldaten abrücken können. Die ukrainische Regierung wies dies mit Hinweis auf die Minsker Vereinbarungen zurück. Der Ort werde nicht aufgegeben.
Rebellenführer Alexander Sachartschenko sagte in Debalzewo, der Vormarsch geschehe im Einklang mit den Minsker Vereinbarungen. «Dem Abkommen zufolge sollen illegale Kämpfer den Donbass verlassen. Nun, die Regierungseinheiten sind unerlaubt auf unserem Territorium, und wir entwaffnen nun diese Gruppen», meinte er am Rande der Kämpfe.
Vor der Einnahme der Stadt hatte Kanzlerin Merkel bei einem Telefonat mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine, Putin und Petro Poroschenko, «konkrete Schritte» besprochen, um eine Beobachtung der Lage in Debalzewo durch die OSZE zu ermöglichen. Das teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) soll die Einhaltung der Waffenruhe überwachen.
Militärsprecher Lyssenko beklagte aber eine massive Behinderung der OSZE im Krisengebiet. Beobachter der Organisation seien erneut nicht in die Kampfzone gelassen worden. Vize-OSZE-Missionschef Alexander Hug erklärte, die Beobachter seien nicht nach Debalzewo gelangt, weil keine Sicherheitsgarantien gegeben worden seien. «Alle Seiten versuchen offenbar, bei Kämpfen neue Tatsachen zu schaffen, aber das widerspricht dem Geist des Minsker Abkommens», sagte der Schweizer.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich besorgt. «Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass der ermutigend begonnene Prozess nicht entgleist», sagte er bei einem Besuch in Kolumbien.