Politik

EU-Strategie als weiterer Schritt zu Massen-Überwachung im Internet

Die neue Digital-Strategie der EU ist geeignet, die anlasslose Massenüberwachung im Internet weiter auszubauen. Die Piraten warnen vor einem bisher nicht bekannten Fallstrick in der von der EU präsentierten Strategie. Internetplattformen könnten dazu gezwungen werden, von Nutzern hochgeladene Inhalte auf ihre Legalität zu prüfen.
07.05.2015 01:26
Lesezeit: 2 min

Julia Reda, Gründungsvorsitzende der Young Pirates of Europe und Abgeordnete der Piratenpartei im Europaparlament, hat sich die neue Digital-Strategie der EU kritisch angesehen und kommt zu ganz anderen Schlüssen als jene, die der Öffentlichkeit als Grund für die neue Strategie präsentiert wurden. Reda fasst ihre Analyse in einer Mitteilung zusammen:

Statt die diskriminierende Praxis des Geoblocking abzuschaffen, entsprechen die Pläne der Kommission lediglich ›Roaming für Netflix‹. Häufig, wenn Menschen im Internet auf die Fehlermeldung stoßen, ›dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar‹, handelt es sich um Werke, die durch Werbung oder öffentliche Mittel finanziert sind. Da sich die konkreten Maßnahmen im Strategiepapier jedoch ausschließlich auf bezahlte Inhalte beziehen, wird Geoblocking weiterhin ein alltägliches Ärgernis für Europäerinnen und Europäer bleiben. Dass die Kommission es verabsäumt, auch Maßnahmen gegen Geoblocking bei öffentlich-rechtlichen Sendern zu treffen, schadet vor allem sprachlichen Minderheiten, denen der grenzübergreifende Zugang zu Werken ihrer Kultur im Netz oft verwehrt wird. Bei materiellen Gütern wäre diese Situation undenkbar. Es ist inakzeptabel, in einem gemeinsamen Binnenmarkt und einem schrankenlosen Medium künstlich Landesgrenzen aufrecht zu erhalten. Das Netz muss kompromisslos grenzenlos und diskriminierungsfrei sein!

Die Strategie bleibt weit dahinter zurück, das Urheberrecht nennenswert zu harmonisieren. Kommissar Ansip verfehlt bei weitem die Vorgabe von Präsident Juncker, ‘nationale Silos im Urheberrecht abzubauen’. Er scheut davor zurück, die eigentlichen Ursachen an der Wurzel zu packen – nämlich die Zersplitterung in 28 unterschiedliche Gesetze mit 28 unterschiedlichen Sets an unterschiedlich interpretierten Urheberrechtsschranken. Diese 28 Gesetze werden weiterhin den grenzüberschreitenden kulturellen Austausch in Europa behindern. Um alltägliche Aktivitäten von Europäerinnen und Europäern im Netz wird weiterhin Rechtsunsicherheit herrschen – angefangen vom Teilen von Fotos von Wahrzeichen (die in manchen Mitgliedsstaaten unter Urheberrechtsschutz der Architekten stehen) bis hin zu zeitgenössischen Kulturtechniken wie audiovisuellen Zitaten.

Die Kommission vernachlässigt damit die Forderungen, die von der überwiegenden Mehrheit der TeilnehmerInnen ihrer Urheberrechtskonsultation im vergangenen Jahr geäußert wurden. Sie kehrt Bibliotheken und Archiven den Rücken zu, die eine Urheberrechtsreform fordern, um ihre entscheidende gesellschaftliche Rolle auch im Informationszeitalter wahrnehmen zu können. Die Kommission weigert sich, auf europäische Startups zu hören, für die die rechtliche Fragmentierung ein Hindernis für Wachstum ist, das ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber großen amerikanischen Internetgiganten einschränkt. Sie verabsäumt, auf europäischer Ebene AutorInnen vor unfairen Verträgen zu schützen und NutzerInnen mit Behinderungen kulturellen Zugang zu garantieren.

Die Juncker-Kommission setzt ihren scharfen Kurs gegen ausländische Online-Plattformen fort, indem sie eine umfassende Prüfung ihrer Methoden verkündet. Das Ziel eines gesunden Wettbewerbs im Internet ist ein lobenswertes. Jedoch läuft die von der Kommission in Erwägung gezogene Einführung einer Sorgfaltspflicht für Online-Dienste gefahr, tatsächlich die Dominanz der Konzerne einzuzementieren. Laut internen Dokumenten, die mir vorliegen, kann diese Sorgfaltspflicht bedeuten, dass Internetplattformen dazu gezwungen werden, jegliche von NutzerInnen hochgeladenen Inhalte auf ihre Legalität zu prüfen. Das würde die anlasslose Massenüberwachung im Netz weiter ausbauen, die Rechtsdurchsetzung an private Firmen auslagern sowie ein riesiges Hindernis für den Markteintritt darstellen und somit den Wettbewerb einschränken.

Schließlich lassen die jüngsten Aussagen von Kommissar Oettinger Zweifel daran aufkommen, ob innerhalb der Kommission Konsens herrscht. Vor wenigen Tagen verteidigte er noch Geoblocking und bezeichnete gar einen dagegen auftretenden Journalisten einen ‘Taliban’. Die Struktur der Juncker-Kommission steht hier auf dem Prüfstand: Kann der Vizepräsident garantieren, dass die Kommission beim digitalen Binnenmarkt an einem Strang zieht?

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