Finanzen

Euro-Dämmerung: Ein System zerbricht an seinem schwächsten Glied

Lesezeit: 5 min
05.07.2015 00:09
Egal wie das Referendum endet: Die Euro-Zone wird nicht gerettet. Ein sich abzeichnender Banken-Crash in Griechenland treibt den Preis für das Scheitern in die Höhe. Eine politische Agenda kann den wirtschaftlichen Sachverstand nicht ersetzen. Das System zerbricht an seinem schwächsten Glied.
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Wolfgang Schäuble hält einen Bankenzusammenbruch in Griechenland für denkbar. Wie viele der Euro-Retter unterschätzt Schäuble die Folgen. In einer echten Bankenkrise wie der in Griechenland ist der Bankkredit nämlich nicht nur temporär eingefroren, sondern er fällt weg und wird längere Zeit nicht wiederhergestellt werden können.

Die Liquiditätskrise wird sich mit rasender Geschwindigkeit im Unternehmenssektor und in der Gesamtwirtschaft ausbreiten. Illiquidität wird selbst solvente, gut kapitalisierte Unternehmen treffen und in einen für viele aussichtslosen Überlebenskampf führen. Eine Kaskade oder besser Wellen von Bankrotten und Zusammenbrüchen werden auch größere Unternehmen erfassen.

Die Unternehmensinvestitionen werden sofort gestoppt. Der private Konsum wird außer für die dringendsten Basisbedürfnisse wie Grundnahrungsmittel zum Stillstand kommen. Importe können nicht mehr bezahlt werden, selbst der Export wird einbrechen. Der Staat zahlt keine Rechnungen mehr, er erhält auch keine Steuern und Abgaben mehr. Alte Rechnungen im privaten Sektor werden nicht mehr beglichen. Neu geliefert wird nur mehr gegen Vorauskasse. Eine regelrechte Kernschmelze hat eingesetzt. Was die Situation umso schlimmer macht: Das Ganze findet nach mehr als sechs Jahren unvorstellbar scharfen wirtschaftlichen Einbruchs statt. Das Land ist bereits in einer ökonomischen Depression vom Ausmaß der 1930er-Jahre in den USA oder in Deutschland. Die Reserven vieler Akteure sind bereits aufgezehrt. Puffer und Polster sind vielenorts nicht mehr vorhanden.

In Griechenland stehen auch die wichtigsten Exportindustrien vor einschneidenden Veränderungen: Schwerer Einbruch im Tourismus, Exodus der großen Reeder. Der Tourismus hatte sich seit dem Tiefpunkt 2011 rasch erholt. Die Buchungen für den Sommer 2015 liefen ausgezeichnet. Sie deuteten auf neue Rekordzahlen bei der Zahl ankommender Gäste und der Übernachtungen hin. Nun zeichnet sich eine Welle von Stornierungen ab. Zudem sind die wichtigen Last-Minute-Buchungen völlig zusammengebrochen. Die Unsicherheit ist enorm. Können die Gäste überhaupt noch versorgt werden, wenn die Bankenkrise fortdauert. In der Handelsschifffahrt werden die Notfallpläne aktiviert. Verschiedene der großen Reeder bereiten den Exodus aus Griechenland vor. Ohne Bankensystem können sie den Standort Griechenland nicht halten. Zudem scheuen sie die Blockade ihrer Mittel und Sondersteuern. Ohne diese beiden dominierenden Wirtschaftszweige hat Griechenland keine Zukunft.

Die Bankenkrise hatte sich seit November 2014 über sieben Monate mit Depositenabzügen und rasch zunehmenden Kreditausfällen vorbereitet und angekündigt. Alle Signale der bevorstehenden Katastrophe wurden von den politischen Akteuren konsequent ignoriert. Das Bankensystem ist das Nervenzentrum einer modernen Volkswirtschaft. Wenn es in eine solche Krise gerät, bricht die gesamte Wirtschaftsaktivität zusammen. Wir diskutieren nacheinander Kredite, Eigenkapital und Depositen.

Die Kreditausfälle werden jetzt in einer schockartigen Liquiditätskrise durch die Decke gehen. Die Kreditnehmer können Zinsen und Rückzahlungen nicht mehr leisten. Die Quote nicht mehr bedienter Kredite lag schon vor der akuten Bankenkrise bei 50% aller ausstehenden Kredite. Jetzt geht es nochmals in ganz andere Dimensionen, wahrscheinlich gegen 80 oder 90%. Viele davon werden nicht nur kurzfristig nicht mehr bediente Kredite, sondern endgültig faule, die aufgrund von Bankrotten abzuschreiben sind. Die zu erwartenden Verluste auf diesen Krediten (engl. Loss Given Default) werden im Risiko-Management mit statistischen Modellen, Vergangenheitswerten und Simulationen geschätzt. Leider können diese Schätzmodelle die Situation systemischer Liquiditätskrisen nicht einschließen. Vor allem noch, wenn sie sich im Umfeld einer Jahrhundert-Depression abspielen.

Die Kreditsicherheiten sind zumeist Immobilien, deren Wert jetzt völlig zerstört werden wird. Die bisher unterstellten Maximalbeträge für die Kreditverluste sind deshalb unbrauchbar und können gleich im Voraus multipliziert werden. Die Verluste der Banken werden also horrend sein. Ihr Eigenkapital ist allein dieser Kreditverluste wegen weg, darüber hinaus noch viel mehr. Denn es gibt zusätzliche Effekte: In Griechenland haben die Banken auch jetzt noch einen kleinen Bestand an Staatsanleihen. Dieser Bestand ist voll abschreibungsgefährdet, um es vornehm zu umschreiben.

Das Eigenkapital der Banken besteht zusätzlich zu einem kleinen Teil aus erwarteter zukünftiger Steuerersparnis. Mit der Bankenkrise ist diese Annahme Schall und Rauch. Die Banken konnten aufgrund der horrenden Verluste aus dem Schuldenschnitt von 2011 zukünftige Steuerzahlungen vermeiden, wenn sie in der Zukunft Gewinne machen würden. Falls die Gewinne nicht eintreffen sollten, garantiert der griechische Staat mit Cash-Einschüssen ins Aktienkapital dafür. Deshalb durfte, von den europäischen Behörden genehmigt, im Herbst 2014 die zu erwartende Steuerersparnis auf zukünftige Gewinne mit einem Abschlag als Eigenkapital und sogar als Kernkapital angerechnet werden. Kommentar überflüssig. Die europäischen Behörden akzeptierten im Herbst 2014 ein derartiges Phantasiekonstrukt, damit die griechischen Banken den Stresstest bestehen könnten.

Schließlich besteht eine Sicherheit für die Kleinsparer. Depositen bis 100.000 sind voll gesichert. Wolkigen Sprüchen über Bankenunion zum Trotz, besteht diese Sicherheit in einer nationalen Garantie, das heißt letzten Endes durch den griechischen Staat. Verstanden, worum es hier geht? Diese Garantie ist wertlos. Was sich hier anbahnt, ist eine Katastrophe biblischen Ausmaßes.

Ein System zerbricht immer am schwächsten Glied. Nordwolle, Creditanstalt-Bankverein, Iwar Kreuger lassen grüssen. Entscheidend ist, was sich in Griechenland abgespielt hat. Eine hoffnungslos fehlgeleitete Geld-, Finanz- und Strukturpolitik der Troika wurden verbunden mit einer bis heute anhaltenden und sogar potenzierten Fehlregulierung des Bankensektors. Voraussichtliche Steuerersparnis als Sicherheit des Bankensystems. Dies bei einem Staat, der schon damals im Herbst 2014 als schwer angeschlagen angesehen werden musste. Das Problem ist, dass in Italien, Spanien, Portugal und anderswo ein deutlich höherer Anteil des Eigenkapitals der Banken aus solch fiktiven Werten besteht. In Italien sind es mehr als ein Drittel des Eigenkapitals der Banken. Staatsanleihen halten die Banken in ganz anderem Ausmaß als in Griechenland. Und die Depositengarantie ist eine nationale wie in Griechenland.

Die Eurozone als Kartenhaus und Ponzischema. Die EZB kauft Staatsanleihen für über eine Trillion. Die Banken halten hohe Bestände an Staatsanleihen ihrer Länder. Der Staat gibt umgekehrt den Banken Garantien auf fiktive Steuerersparnis für den Fall zukünftiger Gewinne ab. Diese Garantie wird als Eigenkapital angerechnet. Eine Einlagensicherung, die lediglich auf der Garantie durch diese Nationalstaaten besteht. Von Bankenunion kann keine Rede sein. Alles, was über die 100.000 Euro hinausgeht, wird ohnehin bei der Abwicklung der Banken voll herangezogen. Dieses System kann nur funktionieren, wenn wirtschaftspolitisch alles richtig gemacht würde, und Europa wirtschaftlich durchstartet. Sonst endet es wie in Griechenland. Nur ist die Politik leider genauso falsch wie in Griechenland. Die sogenannten Reformen bestehen vorwiegend aus Steuererhöhungen und einer sich ausbreitenden Schattenwirtschaft und Schuldendeflation. Auch wenn konjunkturell etwas Aufwind besteht, weil die EZB die Zinsen gesenkt und das TLTRO-Programm lanciert hat. Die Fehler liegen tief und sind tückisch gut versteckt.

Als die EZB am Sonntag vor einer Woche den Stecker zog, die ELA begrenzte, war die Bankenkrise sofort da. Und damit die gesamte sofort sich beschleunigende Krise. Die EZB hat mit ihrer Entscheidung ihre eigenen ausstehenden Kredite gegenüber der griechischen Zentralbank gefährdet.

Was sollte also gemacht werden? Die ELA muss sofort wieder ausgedehnt werden. Die Exponenten der Eurozone wollen ihre weitere Politik vom Ausgang der Abstimmung abhängig machen. Bei einem Nein drohen sie, den Stecker zu ziehen. Damit versenken sie sofort 360 Mrd. Euro. Sie irren sich aber in einer gravierenden Weise und drücken sich um die unangenehme Wahrheit. Die USA werden Griechenland aus geopolitischen Gründen nicht in einen totalen Zusammenbruch mit möglichem Bürgerkrieg abgleiten lassen. Damit verbunden ein Abgleiten des ganzen Balkans in die empfangsbereiten Arme von Putin. Einige Euroländer, darunter Deutschland und Frankreich, werden nochmals gewaltig Geld einschießen müssen, aufgrund ihres irregeleiteten Vorgehens in der Vergangenheit.

Es wird nicht nur einen Schuldenschnitt für die Staatschuld geben. Sie werden nochmals frische Eigenmittel in das Bankensystem einschießen müssen. Je länger sie warten und sich zieren, desto höher werden die Summen werden. Man wird die faulen Kredite auf eine Bad Bank ausgliedern müssen, ein TLTRO-ähnliches Programm für Griechenland begründen. Man wird am Schluss sogar eine Depositengarantie für die Beträge bis 100.000 Euro aussprechen müssen.

Je länger die Euroretter jetzt Härte demonstrieren, desto mehr Geld werde sie zusätzlich zur Hand nehmen müssen. Weitere und teilweise weiter reichende restriktive Maßnahmen, welche offenbar diesen Exponenten der Eurozone immer noch prioritär vorschweben, erscheinen in einer Situation des drohenden Zusammenbruchs der privaten Nachfrage unmöglich. Man wird, um den konjunkturellen Zusammenbruch verhindern zu können, sogar ein substantielles Konjunkturpaket schnüren müssen.

Vor der Bankenkrise wäre dieser Schuldenschnitt überflüssig gewesen, eine Umschuldung hätte gereicht. Mit dem Absturz der Wirtschaft durch die Bankenkrise sind alle Nachhaltigkeitsprognosen über den Haufen geworfen. Verhandlungen über ein weiteres Programm, verbunden mit sinnlosen Auflagen, welche den Kern, die flächendeckende Liquiditätskrise nicht anpacken, wären sinnlos. Für Europa ist das ein unfassliches Desaster.


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