Politik

Griechenland-Insider: „Troika hat uns gedemütigt und erpresst“

Ein Insider der griechischen Regierung berichtet von den Hintergründen der Schuldengespräche. Demnach habe die Troika Griechenland damit erpresst, die „griechischen Banken zum Kollaps zu bringen“, wenn sie die harten Sparmaßnahmen nicht widerstandslos akzeptiere. Die EU bezeichnet er als „undemokratisches, kafkaeskes Gebilde“.
14.07.2015 02:03
Lesezeit: 3 min

Ein Mitglied der griechischen Delegation äußerte sich anonym in einem Interview über die Hintergründe der Schuldengespräche. Darin wirft er der Troika vor, die Regierung aus Athen gezielt gedemütigt und erpresst zu haben. Die EU-Verhandler hätten von Anfang an den direkten Konflikt gescheut, um einen Abbruch der Verhandlungen nicht zu riskieren. Stattdessen hätten sie ein „Labyrinth aus Pseudo-Verhandlungen“ geschaffen, ohne dabei jedoch nur ein Stück von ihren Forderungen abzuweichen. Zu keinem Zeitpunkt sei die Troika zu einer Restrukturierung der Schulden bereit gewesen. Vielmehr habe sie mit den unzähligen Treffen nur Zeit schinden wollen.

„So standen wir schließlich ohne wirtschaftliche Grundlage für eine Einigung da und hatten auch keine Glaubwürdigkeit mehr, um die Troika zu Verhandlungen zu zwingen. Als sie uns ein Ultimatum stellten, das noch härtere Sparmaßnahmen beinhaltete als unter der Vorgängerregierung [...], sagte die EZB dem Parlament: 'Nehmt es an oder ihr habt am Montag keine Banken mehr'“, zitiert die französische Plattform Mediapart den Insider, der nach eigenen Angaben über die gesamte Verhandlungsdauer beratend für die griechische Regierung tätig war.

Athen lehnte das Ultimatum jedoch ab und rief stattdessen das Referundum aus, bei dem die Mehrheit der Griechen gegen den Sparkurs der Troika stimmte. Während der gesamten Verhandlungen wurde eine „Propaganda-Kampagne“ gegen den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis lanciert, so der Insider weiter. Die Kampagne habe schließlich auch Erfolg gezeigt. Der griechische Finanzminister stand in der Öffentlichtkeit zunehmend isoliert da und trat nach dem Referendum zurück.

Der Berater räumte auch ein, dass die Regierung um Premier Tsipras zu naiv in die Verhandlungen gegangen sei und die Macht der Troika deutlich unterschätzt habe. Die EU-Institutionen würden einem kafkaesken Gebilde gleichen und verfügten über eine Macht, welche die gesamte Struktur der Gesellschaft durchdringe. Sie beeinflusse das Denken der Menschen, kontrolliere sie und schrecke auch vor Erpressung nicht zurück.

So habe die griechische Regierung auch nicht damit gerechnet, dass sich die EZB für politische Zwecke instrumentalisieren lassen würde. In dem Moment, als Tsipras ein Referendum ausgerief, stoppte die EZB auch die Notkredite für griechische Banken und eskalierte damit deren ohnehin dramatische Lage. Seit Monaten sind die Banken auf ELA-Kredite („Emergency Liquidity Assistance“) angewiesen, weil sie von der herkömmlichen Refinanzierung über die EZB abgeschnitten sind. Nachdem die Griechen sich gegen den Sparkurs der Troika ausgesprochen hatten, beließ die EZB die ELA-Notkredite auf dem aktuellen Niveau. Somit spielt die Zentralbank - entgegen ihrem Mandat - eine aktive politische Rolle im Schuldenstreit.

„Einige Quellen aus Brüssel bestätigten uns, dass uns die Troika mit ihrer Vorgehensweise die Luft abschneiden wollte, um die Regierung zum Einlenken zu zwingen. [...] Für mich war dies ein Eingeständnis, dass sie die schlimmste Art von wirtschaftlicher Erpressung, die schlimmste Form wirtschaftlicher Sanktionen gegen Griechenland einsetzen“, so der Insider weiter.

Der Insider berichtet zudem, dass es offene Erpressungsversuche von ranghohen EU-Politikern gegeben habe. So habe unter anderen der Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem den damaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis damit erpresst habe, alle griechischen Banken zu Fall zu bringen, wenn sich Griechenland dem harschen Sparkurs nicht widerstandslos unterwerfe.

„Anfang Februar sagte der niederländische Finanzminister und Eurogruppen-Chef Dijsselbloem zu Varoufakis: 'Entweder unterzeichnet ihr das Memorandum, dass andere vor euch unterschrieben haben, oder eure Wirtschaft wird kollabieren. Wie? Wir werden eure Banken zum Kollaps bringen'. Das hat er so gesagt“, zitiert Mediapart den Insider.

Finanzminister Schäuble wirft der Berater vor, die Finanzmärkte gegen die Griechen in Stellung gebracht zu haben. So hätten Schäuble und seine Berater während der Verhandlungen gezielt Gerüchte und Unwahrheiten über die mangelnde Kompromissbereitschaft und Reformunwilligkeit Griechenlands gestreut und dadurch „künstliche Krisen“ erzeugt. So wurden sowohl der Kurs des Euro als auch die Aktienmärkte beeinflusst, um so den Druck auf Griechenland zu erhöhen.

„Schäuble ist der König. Er kontrolliert die anderen, er kann seine Stimme erheben und einfach 'Nein' sagen. […] Man kann nicht mit ihm streiten. Es wäre zu gefährlich, denn dann bekommt man keine Finanzierung mehr. Deutsche Banken würden ihr Geld zurückfordern, und so weiter“, so der Insider. „Varoufakis hat Ereignisse geschildert, die wirklich zeigen wie undemokratisch die Eurozone ist: Eine beinahe neo-faschistische Diktatur. Es ist eine Institution, in der man seine Stimme nicht zu Gehör bringen kann. “

Als Varoufakis sich den Forderungen Schäubles zunehmend widersetzte, habe ihn der Bundesfinanzminister mit der Frage konfrontiert: „Wieviel Geld wollt ihr, damit ihr den Euro verlasst?“ Er drohte mehrfach, Griechenland aus dem Euro zu werfen und habe das Thema bereits 2011 erstmals als Druckmittel ins Spiel gebracht.

„Es gibt keine Garantie, dass ein 'Grexit' in einer geordneten und friedlichen Art und Weise durchgeführt werden kann, ohne dass die Menschen sofort zu den Lebensmittelgeschäften rennen. Wenn es keine Möglichkeit gibt, den Euro zu verlassen, dann kommt die bloße Androhung einer Massenvernichtungswaffe gleich. Wenn sie ein Land mit dem 'Grexit' bedrohen, bringen sie es an den Rand dessen, was sein Bankensystem an Druck aushalten kann“, so der Insider.

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