Die Nato ist dazu bereit, weitere Truppen an die südliche Grenze der Türkei zu entsenden, sollte es dort zu Bedrohungen kommen, so Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Die Nato wirft Russland vor, am Wochenende den türkischen Luftraum verletzt zu haben. Kampfflugzeuge aus den USA und Russland kamen sich schon gefährlich nahe.
Stoltenberg nannte die russischen Luftangriffe einen „Grund zur Besorgnis“. Er sagte zudem: „Die Nato ist bereit und in der Lage, alle Verbündeten zu verteidigen, darunter auch die Türkei.“ Zugleich forderte er Russland auf, eine konstruktive Rolle im Kampf gegen den IS einzunehmen. Dies sei nicht der Fall, solange Russland Assad unterstütze.
„Meine Sorge ist, dass die Russen nicht vornehmlich den IS angreifen, sondern sie zielen auf andere Oppositionsgruppen und unterstützen so das Regime. Und ich rufe Russland auf, eine konstruktive und kooperative Rolle im Kampf gegen den IS zu spielen, nicht, weiterhin das Assad-Regime zu unterstützen“, so Stoltenberg in seinem Statement.
Die Türkei bat am Rande des Treffens am Donnerstag in Brüssel ihre Partner, die jeweiligen Patriot-Staffeln in der Türkei zu belassen. Sowohl Deutschland als auch die USA hatten im August den Abzug der Waffensysteme angekündigt. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte dazu: „Es ist die Frage, welche Gefahr wie gebannt werden kann, und in diesem Kontext ist diese Entscheidung (zum Abzug) richtig“.
Die Nato hatte 2013 Patriot-Staffeln aus drei Ländern in der Türkei stationiert, um syrische Raketenangriffe abzuwehren. Die Abwehrsysteme können jedoch auch Flugzeuge abschießen. Deutschland will seine Patriot-Batterien kommende Woche abschalten und den Großteil der Soldaten, die sie bedienen, vor Weihnachten nach Hause holen. Bis Ende Januar 2016 soll der Einsatz abgeschlossen sein. Außerdem hat noch Spanien Patriot-Systeme in der Türkei stationiert.
Syrische Regierungstruppen und verbündete Milizen haben hingegen nach eigenen Angaben mit Unterstützung der russischen Luftwaffe am Donnerstag weitere Rebellenstellungen im Westen Syriens unter Beschuss genommen. Die heftigen Angriffe hätten Aufständischen in der strategisch wichtigen Ghab-Ebene gegolten, teilte die oppositionelle Syrische Beobachterstelle für Menschenrechte mit.
Die syrische Armee sprach von einer Großoffensive, um Gebiete unter Kontrolle von Aufständischen zu befreien. Die Beobachterstelle berichtete von einem Sperrfeuer von Boden-Boden-Raketen begleitet von Angriffen russischer Kampfjets. Die Ghab-Ebene grenzt an eine Bergkette, die das Kernland der alawitischen Glaubensgemeinschaft an der Westküste bildet, zu der Präsident Baschar al-Assad gehört. Eine Rebellen-Allianz unter Beteilung des Al-Kaida-Ablegers Nusra-Front hatte das Gebiet Ende Juli erobert und die Regierungstruppen zum Rückzug gezwungen.
Das Eingreifen der Russen in Syrien fördert daher unfreiwillig eine für die Nato-Allianz unangenehme Wahrheit zu Tage: So behaupten die US-Militärs, Russland bombardiere nicht die vom IS finanzierten Terroristen, sondern Stellungen der von den USA finanzierten Rebellen – was einem entlarvenden Dementi gleichkommt, denn die USA haben diese Terroristen finanziell unterstützt.
Auch die US-Neocons hatten versucht, die Russen anzuschwärzen und ihnen vorgeworfen, Moskau kämpfe gar nicht gegen den IS, sondern gegen mit den USA verbündete Terror-Milizen. Russland hatte darauf kühl geantwortet, man kämpfe gegen alle Terroristen in der Region. Unterstützung erhielt Russland überraschend von Frankreich, das diesen Auftrag bestätigte. US-Präsident Barack Obama und Israel werden laufend über die russischen Aktionen informiert, wie das Pentagon bestätigt.
Als Antwort auf die russischen Luftangriffe gegen den IS haben die Golf-Staaten und die Türkei die Terror-Gruppe mit neuen Waffen versorgt. Der Iran soll ebenfalls Truppen mobilisiert haben. Beobachter sprechen von einer Eskalation. Saudi-Arabien hat mittlerweile sogar zum Heiligen Krieg gegen Russland aufgerufen.
Russland überlegt, seine Luftschläge gegen den IS auf den Irak auszudehnen. Sollte man von Bagdad um Hilfe ersucht werden, werde man eingreifen. Besonders gefährlich könnte dies für das Nato-Mitglied Türkei werden, das im Nordirak seinen Privatkrieg führt.
Wladimir Putin hat das Timing für sein Eingreifen in Syrien zudem sehr geschickt gewählt: Er hat die Chance, Russland über den Nahen Osten wieder zur Weltmacht zu machen. Dieses Match läuft über den Öl-Preis. Und Putin weiß: Wer die Hand auf dem Öl-Hahn hat, der hat auch bei allen geopolitischen Fragen das letzte Wort.