Finanzen

Alle Zeichen deuten auf eine weltweite Wirtschafts-Krise

Lesezeit: 12 min
25.01.2016 00:20
Die ersten drei Wochen des Jahres 2016 begannen mit einer eiskalten Dusche für die Finanzmarktteilnehmer. Es war der schlechteste Jahresbeginn seit Jahrzehnten, auch wenn am vergangenen Freitag eine deutliche Erholung erfolgte. Ein gutes Omen für das ganze Jahr ist dies nicht. Was steckt dahinter? Die Diagnose: Eine Rezession im Anmarsch – und eine Schwellenländerkrise.
Alle Zeichen deuten auf eine weltweite Wirtschafts-Krise
Quelle: National Statistics Office China

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Der amerikanische Aktienmarkt zeigte letztes Jahr ein gespaltenes Bild. Viele Sektoren und Titel waren bereits in einer ausgeprägten Baisse, doch die Indizes wurden von immer weniger Titeln hochgehalten. Vor allem die vier FANG-Titel Facebook, Amazon, Netflix und Google (Alphabet) verzeichneten extrem starke Kursgewinne und konnten aufgrund ihrer hohen Kapitalisierung den Markt stützen. Diese vier Titel zeigen alle Zeichen einer heftigen Überbewertung. Amazon war am Jahresende mit einem Kurs-/Gewinn-Verhältnis von über 300 bewertet, die anderen drei Titel in der Größenordnung von 60 bis 90. Amazon ist in der Vergangenheit nicht mit besonders hoher Gewinndynamik aufgefallen. Die aggregierten Unternehmensgewinne der börsennotierten Gesellschaften in den USA sind seit mehreren Quartalen rückläufig, hauptsächlich eine Folge des starken Dollars und des drastischen Gewinneinbruchs im Energie- und Minenbereich.

Der starke Dollar drückt bei der Umrechnung die Gewinne der Auslandgesellschaften der international tätigen Konzerne, und schlägt teilweise auch auf die Gewinne der Exportunternehmen. Verschiedene, vorlaufende Indikatoren deuten auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur vor allem in der Industrie auch in den USA hin. Eine zu hohe Bewertung, mit klaren Zeichen einer Blase sowie eine Abschwächung der Gewinndynamik ist der erste Grund für die Börsenschwäche.

Vor allem aber hob die US-Notenbank Mitte Dezember bei praktisch illiquiden Märkten die Fed Funds Zielrate um einen Viertel Prozentpunkt auf 0,25 Prozent an und deutete weitere vier Zinsschritte im laufenden Jahr an. Die erstmalige Zinserhöhung war erwartet, aber die in Aussicht gestellte weitere vierteljährliche Zinsanpassung doch eher überraschend explizit. Über die Feiertage hatte dies keine Auswirkungen mehr, aber verzögert eben schon. Die angekündigte, weitere geldpolitische Straffung der US-Notenbank ist der zweite wichtige Grund für die Börsenbaisse.

Zwei weitere Negativpunkte kamen hinzu. In China erweckt das Vorgehen der Behörden wenig Vertrauen, und zwar weder am Aktien- noch am Devisenmarkt. Die Börsenaufsicht führte zu Jahresbeginn einen Stabilisierungs-Mechanismus für den Aktienmarkt ein, der gleich in den ersten Tagen des Jahres selber zur Ursache eines neuerlichen Kurssturzes wurde. Der chinesische Aktienmarkt ist selbst auf dem heutigen Niveaus heillos überbewertet, mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 60. Zudem sind die Schwergewichte im Index staatliche Unternehmen mit negativer Gewinndynamik - oder korrekter - potentieller Verlustdynamik und wenig Hoffnung oder Aussicht auf Besserung in mittlerer bis langer Frist. Um den Offshore-Wechselkurs des Yuan zu stützen, hoben die chinesischen Behörden den Tagesgeldsatz in Hongkong auf bis zu 80 Prozent an, was prompt eine Krise im Interbankenmarkt und am Aktienmarkt in Hongkong auslöste. Die konfuse, schlecht durchdachte und kommunizierte Marktintervention der chinesischen Behörden löste Ängste einer möglichen harten Landung der Konjunktur in China und einer Yuan-Abwertung aus. Das ist der dritte Grund für die Börsenbaisse.

Zusätzlich kam der Erdölpreis nochmals gewaltig unter Druck und fiel bis Mittwoch, dem 20. Januar, unter 30US-Dollar bis auf 26 US-Dollar pro Barrel für WTI und für Brent. Die tatsächlich bezahlten Preise sind noch tiefer. Saudi-Arabien und andere Länder offerieren ihr Erdöl mit Abschlägen bis zu 4 Dollar pro Barrel zur Referenzsorte. Ein Kampf um Marktanteile ist in Asien und in Europa entfacht. Die fundamentalen Faktoren bleiben negativ: Steigende und rekordhohe Lager und Produktion, noch verstärkt durch den Wiedereintritt des Iran nach der Aufhebung der Sanktionen sowie durch die Aufhebung des Exportverbots für amerikanisches Rohöl. Was sich geändert hat, ist die Aussicht auf einen heftigen Wintereinbruch im Nordosten der USA. Sie wird die Nachfrage nach Erdöl schlagartig steigern. Der milde Winter hatte bisher preisdrückend gewirkt.

An sich festigt eine Baisse der Erdölpreise die Konjunktur in den USA und  in Europa – durch die Wirkung der hohen Benzinabgaben und Mehrwertsteuer abgeschwächt. Doch dem stehen negative Effekte auf den Wirtschaftsverlauf gegenüber – und diesmal sind die Nettoeffekte negativ: Die Nachfrage der Erdöl produzierenden Länder wird 2016 anders als 2015 drastisch komprimiert werden. Viele Erdöl und andere Rohstoffe produzierende Schwellenländer sind stark verschuldet, haben in den Boomjahren einen sekundären kreditfinanzierten Boom der Binnenwirtschaft gehabt. Ihre Fähigkeit zum Schuldendienst wird durch den Sturz der Erdölpreise und durch die Dollaraufwertung arg in Probleme gebracht. Dieser Wirkungszusammenhang ist der vierte Grund für die Börsenbaisse.

Die Erholung am Ende der Woche geht vor allem auf Hoffnungen für weiteren geldpolitischen Stimulus zurück. EZB-Präsident Draghi versicherte der beunruhigten Globalisierungs-Elite in Davos, dass die EZB noch sehr viele Instrumente zur Verfügung hätte, um die Inflationsrate zu ihrem Zielniveau zurückzuführen – angesichts von Negativzinsen am Geldmarkt und bis weit in die längeren Laufzeiten der Obligationenrenditen hinein eine etwas gewagte Behauptung. Eine hohe Volatilität mit scharfen Korrekturen ist typisch für solche Phasen eines Börsenabsturzes.

Überblickt man die Interna der Aktienmärkte aus längerer Perspektive, fällt auf, dass die klassisch zyklischen Titelgruppen seit 2014 bzw. seit Juni 2015 im freien Fall sind. Seit Sommer 2015 sind es die Finanzwerte, zuvorderst die Banken, dann die zyklischen Konsumwerte wie Autohersteller oder die Produzenten von Luxuskonsumgütern. Seit 2014 schon hatten die Materialwerte, Minen- und Energietitel gewaltige Einbrüche erlitten. Auf einer relativen Basis halten sich defensive Titelgruppen wie Pharma, Telecom, Versorger und Stapel-Konsumgüter gut, auch wenn sie jetzt erheblich verloren haben. Betrachtet man die relative Performance der verschiedenen Titelgruppen, kommt man nicht um die Aussage herum, dass der Aktienmarkt eine markante Wachstumsverlangsamung, vielleicht sogar eine Rezession antizipiert. Nicht ins klassische Bild hinein passt bisher die Entwicklung der Technologie-Titel. Sie halten sich ungewöhnlich gut für eine solche Phase, mindestens gemessen an der Erfahrung von 2000 oder 2007/08. Diesbezüglich muss ich mich auch korrigieren. Ich hatte all dies im Detail vorausgesagt, aber die FANG-Titel wie auch SAP nicht im Blickfeld.

Diese Wahrnehmung einer heraufziehenden markanten Wachstumsabschwächung an der Grenze zur Rezession spiegelt sich auch im Obligationenmarkt wieder. Seit Mitte 2015 ist der Hochzins-Bereich (junk bonds) in einer sich akzelerierenden Baisse. Die Renditen bei diesen Unternehmensanleihen und bei gehebelten Krediten (leveraged loans) sind stark am Steigen. Beim Energie-Segment sind sie auf dem historischen Höchststand von 2009 angelangt. Bei den anderen Marktsegmenten weiten sich die Risikoaufschläge ebenfalls zügig aus, sind aber noch weit von den damaligen Höchstständen entfernt, genauso wie die Renditen von Obligationen mit Investment-Grad. Der Anstieg der Risikoaufschläge signalisiert mit anderen Worten dasselbe wie der Aktienmarkt, eine katastrophale sektorale Verschlechterung im Energie- und Minenbereich, und eine markante Wachstumsverlangsamung für den Rest des Marktes.

Weitet man die Perspektive über die Finanzmärkte der OECD-Länder hinaus auf die Schwellenländer aus, ist das Bild noch weniger erfreulich. Dort ist ein schlimmer Crash im Anzug, der sich auf Aktien- und Devisenmärkte erstreckt. Die Währungen von wichtigen Schwellenländern sind in einen freien Fall übergegangen, zuvorderst der eben erst freigegebene Argentinische Peso, dann der Südafrikanische Rand und der Russische Rubel. Dies setzt wiederum die Währungen anderer, wirtschaftlich mit diesen Staaten verbundener Länder unter Druck, also etwa den brasilianischen Real. Wichtige Aktienmärkte wie in Brasilien oder Hongkong sind schwer unter Druck geraten. Die Terminkurse in mehreren Währungen wie dem Hongkong-Dollar oder dem Saudi-Rial signalisieren, dass der Fixkurs auf der Kippe steht. Auf der Gewinnerseite stehen bei den Währungen nicht nur der Dollar, sondern auch der Euro und vor allem der Yen. Viele Carry trades im Yen wurden aufgelöst, so dass wegen der beschleunigten Yen-Aufwertung auch der japanische Aktienmarkt einen massiven Einbruch erlitt.

Dieses Faktorenbündel, das zur Baisse geführt hat, geht nicht einfach weg. Allerdings wirken die einzelnen Faktoren auch nicht über die Zeit hinweg gleich. Einige werden wegfallen, andere sich sogar verstärken.

Die den ersten Zinsschritt begleitende Ankündigung der amerikanischen Notenbank weiterer vier Zinsschritte im Jahr 2016 muss als unglücklich bezeichnet werden. Sie sollte Unsicherheit beseitigen, hat aber in der Realität sofort und schlagartig die Erwartung einer weiteren Dollaraufwertung gestärkt. Darum auch der Druck auf den chinesischen Yuan, aber auch auf die Währungen der anderen Schwellenländer. In der Realität wird die Fed wahrscheinlich die vier Zinsschritte gar nicht machen. Die Straffung der Geldpolitik wird bei dieser Kommunikation eher über den Wechselkurs und – als Folgewirkung – über die Verschlechterung der Bedingungen an den Kreditmärkten fortgesetzt. Die US-Notenbank hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Politik-Irrtümern begangen. Sie hat viel zu lange an der Nullzinspolitik festgehalten und deren Effekte mit der Quantitativen Lockerung noch verstärkt. Nicht nur die kurzen, sondern auch die langen Renditen wurden so komprimiert. Dann ein langes Theater um die Abkehr von der Nullzinspolitik und um den ersten Zinsschritt, und am Schluss gleich die Ankündigung von fünf Zinsschritte. Das hätte man auch geschickter machen können.

In diesem Zusammenhang muss auf das verfehlte, neu eingeführte Wechselkursregime des Yuan hingewiesen werden. Dieses Regime entspricht einer Anforderung des Internationalen Währungsfonds. China wurde der Zutritt zum erlauchten Klub der im Währungskorb der Sonderziehungsrechte vertretenen Währungen nur gewährt, wenn das Land die internationale Kapitalmobilität und einen flexiblen Wechselkurs anvisiert. Doch diese Forderung ist für China und global gesehen völlig kontraproduktiv:

  • China ist strukturell ein Überschussland in der Leistungsbilanz, und ein Land mit einem Netto-Zustrom der Direktinvestitionen. Kein anderes großes Land profitiert so vom Fall der Rohstoffpreise seit Mitte 2014 wie China, seine Austauschrelationen im Aussenhandel (engl. Terms of trade) verbessern sich dadurch massiv. China ist die Werkstatt der Welt, importiert Rohstoffe und Halbfabrikate und montiert, fertigt und exportiert sie. Die folgende Graphik zeigt die monatlichen Handelsbilanzüberschüsse von Januar 2010 bis und mit Dezember 2015. Die blaue Linie reflektieren die Originalwerte, die aussagekräftigere rote Linie die saisonbereinigten Werte. Die saisonbereinigten monatlichen Überschüsse sind von rund 15 bis 20 Mrd. USD bis Sommer 2014 auf 50 Mrd USD angeschwollen. Sie haben seit Sommer 2014 also um 150% zugelegt. Mit dem Sturz der Rohwarenpreise in der zweiten Jahreshälfte 2015 dürften sie 2016 verzögert weiter auf zwischen 60 und 70 Mrd. USD ansteigen. Doch dies ist noch nicht alles: In China gibt es spätestens seit der Abwertung des Yuan im August 2015 eine Kapitalflucht. Bei den Unternehmen ist die einfachste Form die Überfakturierung im Import und die Unterfakturierung im Export. Ein zusätzlicher Teil der Nettoexporte dürfte so einfach in Hongkong oder in Singapur bei einer Holding- oder Zwischenhandelsgesellschaft oder bei Offshore-Konten anderswo gelandet sein.

  • Die Salden der Leistungsbilanz sind in China von den Salden der Handelsbilanz dominiert. Dies bedeutet, dass auch die Leistungsbilanzüberschüsse seit Mitte 2014 wieder deutlich anschwellen. Für 2015 gibt es erst die Daten der Handelsbilanz, aber noch nicht diejenigen der Leistungsbilanz. 2016 dürften Handelsbilanz- und Leistungsbilanzüberschüsse wieder in Größenordnungen wie 2006 bis 2008 ansteigen, weil sich die Importe drastisch verbilligen und die Exporte von der Abwertung zu profitieren beginnen. Indem ausgerechnet das größte Überschussland in der Weltwirtschaft gegenüber dem Dollar, dem Euro und dem Yen abwertet und in einen Abwertungssog gerät, exportiert dieses Land seine interne Überkapazität als globale Deflation. China hat heute industrielle Erzeugerpreise, die seit einem Jahr konsistent um 6% im Vorjahresvergleich fallen. Bei einzelnen Industrieprodukten beträgt der Rückgang 20-30%. Kommen noch die Effekte fortgesetzter Abwertung hinzu, so ist der OECD-Raum mit einem massiven Deflationsschock im Außenhandel konfrontiert. Die Hoffnung auf eine industrielle Wiederbelebung in den USA, während Jahren ein Thema aufgrund der relativ gesehen niedrigeren Energiepreise, ist damit dahin. Auch in Europa und in Japan wird der Export billiger chinesischer Industrieprodukte zunächst Kernsektoren in der Industriellen Fertigungskette wie die Stahl- oder Aluminiumindustrie, Metallindustrie, Basischemie und andere dezimieren. Längerfristig werden auch Maschinen- und Anlagenbau und in nicht allzu weiter Ferne, wenn Apple und Google ihre Autos kostengünstig in China von taiwanesischen und chinesischen Auftragsfertigern herstellen lassen, die Autoindustrie in den alten Industrieländern kaputtmachen.

  • Eine zweite unmittelbare Wirkung ist, dass es die Währungen der anderen asiatischen Länder und indirekt diejenigen der anderen Schwellenländer in eine Abwärtsspirale stürzt. Auch diese Länder haben Industriekapazitäten, und werden ihre Produkte verbilligt auf den Weltmarkt werfen können. Die globale Deflation wird dadurch noch verstärkt.
  • Umgekehrt drosselt der Absturz all dieser Währungen die Importe dieser Länder und somit den Export aus den Vereinigten Staaten, aus Europa und aus Japan. Die Industrien dieser Länder und Wirtschaftsräume werden zusätzlich dezimiert.
  • All dies trägt dazu bei, dass die Kreditrisiken in den Schwellenländern ansteigen und in exponierten Fällen explodieren werden. Der private Sektor ist im historischen Vergleich hoch verschuldet, und dies nicht zu knapp in Fremdwährungen, fast ausschließlich in US-Dollars. Indirekt werden damit die Banken vor allem in Europa, aber auch in den USA getroffen werden. Sie werden hohe Abschreiber vornehmen müssen. Ihr dadurch reduziertes Eigenkapital wird ihre Kapazität zur Kreditvergabe im Inland einschränken.

Die Entkoppelung des Yuan vom und seine Abwertung gegenüber dem Dollar haben eine globale Abwertungsspirale ausgelöst bzw. verstärkt. Das sind machtvolle globale Deflations- und Destruktionsmechanismen. Sie werden Industrien, Arbeitsplätze, Nominaleinkommen, Bankbilanzen und ganze industrielle und wirtschaftliche Regionen in Europa, in den USA und in Japan zerstören und führen global gesehen in eine ‚beggar thy neighbour’ Politik im Stile der 1930er Jahre hinein. Das neu eingeführte Wechselkursregime Chinas ist ein Destabilisator der Weltwirtschaft par excellence. Wenn Experten und globaler Analysten China eine weitere Abwertung des Yuan um 10 bis 15% nahe legen, um seine Probleme zu lösen, widerspiegelt dies ein elementares Unverständnis der inhärenten Interdependenzen und Risiken.

Diese Punkte verdienen es, noch etwas ausgeführt zu werden. China hat seit 1998, noch massiv verstärkt seit 2009 bis zum Höhepunkt 2013 einen kreditfinanzierten Boom im Bau- und Immobiliensektor wie die Peripherieländer der Eurozone zwischen 1995 und 2007 gehabt. Diese Länder investierten viel zu viel in neue Wohnungen, wo sie nicht gebraucht werden, in Infrastrukturen, die doppelt und dreifach gebaut wurden, in Projekte, welche die lokalen, regionalen und nationalen Eliten bereicherten, aber nie einen ökonomischen Ertrag erwirtschaften können. China ist dasselbe in grün, nein in grau: Weil das Land seine giftigen Ruß ausstoßenden Industrien und Kohlekraftwerke noch in ungünstiger Lage rund um die riesigen gesichtslosen Monsterstädte herum gebaut hat. In China stehen rund 70 Millionen Wohnungen leer, nicht in Bejing oder Schanghai oder anderen Tier 1 Städten an der Küste, sondern vor allem in viel zu rasch gewachsenen Tier 2 bis Tier 4 Städten im Landesinnern. Immobilien-Entwickler, Provinzen, Regionen, Städte, die großen staatlichen Unternehmen im Infrastruktur- und im Zulieferbereich stehen unter enormem Druck und teilweise vor der Zahlungsunfähigkeit.

Die Banken und Schattenbanken des Landes haben ihre Kredite auf diese Kundensegmente hin ausgerichtet. Sie werden deshalb von einer Welle nicht bedienter und fauler Kredite erfasst. Die Banken behelfen sich bisher damit, dass sie existierende Kredite verlängern, umschulden, neue Kredite geben, um die Zinsen auf die alten bezahlen zu können, ‚Pretend and Extend’ wie zunächst in den Peripherieländern. Derweil haben Unternehmen außerhalb dieser Segmente zusehends Schwierigkeiten, Kredit zu erhalten. Dabei wäre dies wichtig für die Transformation des Wachstumsmodells vom Export und von den Investitionen hin zu Dienstleistungen und zum Konsum.

Die Gründe für den Exodus des Kapitals sind vielfältig: Die Verkehrspolitik in den Großstädten ist viel zu stark auf riesige Autobahnen als Zubringer ausgerichtet, die ständig verstopft sind. Der Ruß, die Abgase vergiften die Bevölkerung. Auch deshalb der Wunsch nach physischer Luftveränderung. Die Parteispitze hat zudem einen erbitterten Kampf gegen Korruption und Bereicherung der Parteikader ausgerufen. Niemand kann sich sicher sein, dass er nicht erfasst wird. Verschiedene Milliardäre sind schon für ‚Diskussionen’ mit den Verantwortlichen gefasst worden, und einzelne nicht wieder aufgetaucht. Die Sparer mit ihren Bankkonti und die Investoren in ‚Wealth Management’-Produkten sind zu Recht beunruhigt. Ferner indiziert der Krach am Aktienmarkt, dass die Parteispitze die Kontrolle verloren hat. Das Vertrauen der Investoren ist dahin. Bei einem Kursgewinn-/ Verhältnis von über 60 und miserablen Perspektiven für die kotierten zumeist staatlichen Unternehmen ist ein weiterer sehr kräftiger Rückgang wohl unvermeidlich. Erfahrungsgemäß kommt dann der Yuan weiter unter Druck.

Kein Wunder also wollen wohlhabende Chinesen inklusive Parteikader aller Stufen ihr Geld ins Ausland schaffen. Chinesische Unternehmen und ausländische Multis ohnehin, sofern sie können. Um den wankenden Bankensektor zu stabilisieren und einen Kollaps zu vermeiden, wird die chinesische Zentralbank die Zinsen aggressiv senken müssen, was den Druck auf den Yuan noch erhöhen wird. Mit dem Übergang vom festen Wechselkurs zu einem flexiblen Wechselkurs haben der IWF und China die Büchse der Pandora geöffnet. Ein fester Wechselkurs ist viel einfacher zu verteidigen als ein flexibler, vor allem wenn ein Land wie China Devisenreserven von 3500 Mrd. US-Dollar zur Verfügung hatte. Durch die erstmalige administrierte Abwertung sind Abwertungserwartungen und der Wunsch nach globaler Diversifikation der Anlagen bei inländischen Unternehmen und wohlhabenden Chinesen geweckt worden.

Seit August hat die Währung um rund 6% gegenüber dem Dollar abgewertet. Kein Wunder gibt es in diesem Umfeld eine Kapitalflucht ins Ausland, oder schlicht der Wunsch nach Währungsdiversifikation. Der Druck auf den Yuan geht nicht von der Handels- und Leistungsbilanz, sondern von der Finanzierungsbilanz aus. In diesem Umfeld eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs und andere marktwirtschaftliche Reformen durchzusetzen, und den Wechselkurs noch zu flexibilisieren ist ein Rezept für einen perfekten Sturm. Das wird die Kapitalflucht noch beschleunigen. Die alten Industrieländer würden ihn mit einem Tsunami bezahlen müssen, der viele ihrer Industrien und Wertschöpfungsketten zertrümmert.

In diesem Zusammenhang stellen sich doch einige Fragen über das Führungspersonal beim IWF. Der IWF hat China in dieser Angelegenheit beraten und in diese Lösung gedrängt oder sogar hineingezwungen. Die geschäftsführende Direktorin Christine Lagarde ist vom Marketing ihrer Selbst und der von ihr geleiteten Institution her gesehen eine begnadete Darstellerin. Das hat sie in Davos wieder elegant bewiesen. Von der Substanz her ist die vom IWF auferlegte Lösung eine Katastrophe für die Weltwirtschaft, inklusive für das Industrieland Deutschland. Von daher mutet es seltsam an, dass Frau Lagarde nach Presseberichten offenbar von den Regierungen der Industrieländer Deutschland, Frankreich, Großbritannien für eine zweite Amtszeit als IWF-Chefin portiert wird. Ein altes Sprichwort sagt: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“ Frau Lagarde und der frühere Chefökonom Blanchard erscheinen nicht nur im Falle Chinas in keinem allzu guten Licht. Unter beider Leitung hat der IWF bereits mit einer falsch erhobenen Zahlungsbilanz-Statistik und mit einer kreuzfalschen Analyse von Leistungsbilanzen und der daraus folgenden Politik der indirekten Abwertung für die Peripherieländer einen Teil Europas in eine Abwärtsspirale ohne Ende geschickt. Der Masochismus bei der politischen Führung Europas kennt offenbar keine Grenzen. Jetzt soll das Ganze nochmals auf globaler Ebene wiederholt werden. Merke: Hier geht es um die Kerninteressen der deutschen Wirtschaft. Und es geht um Sein oder Nicht-Sein vieler exportorientierter Mittelständler und selbst etablierter Großunternehmen.

Die folgende Graphik verdeutlicht, vor was für einer Herkules-Aufgabe die Führungsriege in China und Instititutionen wie der IWF stehen werden. Sie zeigt den Pro-Kopf Konsum von Beton verschiedener Länder über lange Zeiträume. Der Pro-Kopf Konsum von Beton ist ein guter Proxy-Indikator für die Neubautätigkeit und indirekt die Bauinvestitionsquote. Die Peripherieländer der Eurozone verzeichneten einen gewaltigen Anstieg zwischen 1995 und 2007. Nur ganz wenige Länder haben in der Geschichte je mehr als eine Tonne Zement pro Kopf der Bevölkerung verbaut. Saudi-Arabien und Dubai gehören zu diesem exklusiven Klub. In noch ganz andere Dimensionen ist demgegenüber die Bautätigkeit in China angestiegen. Die Graphik zeigt auch, wo die Peripherieländer der Eurozone nach dem Höhepunkt gelandet sind. Auch dabei hat der Internationale Währungsfonds eine Schlüsselrolle gespielt. Ist der ‚Erfolg’ dieser Politik eine Referenz für eine zweite Amtszeit, in der die Handhabung der Krise in China und seiner potentiell erdbebenartigen Schockwellen für die Weltwirtschaft im Mittelpunkt stehen wird?

Der Umstieg von einem überschießenden Investitionsboom ist extrem schwierig und historisch noch fast nirgendwo gelungen. Wenn aber derart einfache Fehler wie beim Wechselkursregime Chinas gemacht werden, dann ist es unmöglich. Das Land mit dem größten Außenhandel der Welt und explosionsartig ansteigenden Überschüssen in der Handels- und Leistungsbilanz verfolgt eine Abwertungsstrategie, um die inländische Überkapazität und Deflation dem Rest der Welt aufzuladen. Ohne vorgreifen zu wollen, aber die Welt könnte dieses Experiment mit einer zweiten Amtszeit Frau Lagardes mit einem ‚Globalen Griechenland’ bezahlen müssen. Dabei ist nichts gegen Frau Lagarde als Person, aber sehr wohl gegen die von ihr zu verantwortende Politik gesagt.

Die Welt ist nicht dazu verdammt, den gravierenden Fehlleistungen der chinesischen Führung und des IWF tatenlos zuzuschauen. Ohne eine Vollbremsung aber dürfte die eiskalte Dusche zu Jahresbeginn ohne längere Unterbrechung in einen Eishagel an den Finanzmärkten übergehen.


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