Die Deutsche Börse nimmt einen neuen Anlauf für eine Fusion mit der London Stock Exchange (LSE). Es gebe Verhandlungen über einen "Zusammenschluss unter Gleichen", teilten die Konzerne am Dienstag. Zusammen wären beide Unternehmen rund 25 Milliarden Euro wert. Als mit Abstand größter Börsenbetreiber Europas könnten sie den Wettbewerbern aus den USA und Asien besser Paroli bieten. Die Frankfurter Börse soll an dem fusionierten Konzern gut 54 Prozent halten. Es gibt jedoch noch Hürden, allen voran das Votum der Wettbewerbshüter.
Es ist auch noch unklar, ob es noch andere Angebote geben wird. Bloomberg spekuliert, dass es denkbar wäre, dass auch noch die Chinesen in den Ring steigen. Der Renminbi wird seit einiger Zeit an der LSE gehandelt. Es sei denkbar, dass dies einen chinesischen Player dazu bewegen könnte, einen Bid gegen die Deutsche Börse zu lancieren.
Durch einen möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU würde der Deal nicht gefährdet, betonte eine mit dem Prozess vertraute Person. "Sie haben eine starke Industrie in Kontinentaleuropa und einen dynamischen Kapitalmarkt auf der angelsächsischen Seite. Das ist mit oder ohne 'Brexit' eine attraktive Kombination." Investoren reagierten begeistert auf die Ankündigung. Deutsche-Börse-Aktien legten in der Spitze neun Prozent zu, LSE-Papiere sogar 20 Prozent.
Der letzte Versuch, beide Konzerne zu verschmelzen, scheiterte 2005 am Widerstand des Hedgefonds TCI, der damals maßgeblich an der Deutschen Börse beteiligt war. Zudem gab es in Großbritannien große Vorbehalte, die altehrwürdige Londoner Börse an einen deutschen Konzern zu verkaufen. Dieses mal bemühen sich beide Seite, das Konfliktpotenzial zu minimieren. Nach einer Fusion sollen beide Gesellschaften und Hauptquartiere erhalten bleiben, genauso wie die Zuständigkeiten der nationalen Aufsichtsbehörden. "Kein Land muss befürchten, dass ihm wesentliche Bausteine seiner Kapitalmarktinfrastruktur verloren gehen", sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person.
Auch auf zwischenmenschlicher Ebene zeichnen sich bisher keine Konflikte ab. Deutsche-Börse-Vize-Chef Andreas Preuß lebt seit langem in London, auch der Vorstandsvorsitzende Carsten Kengeter verbringt viel Zeit in der britischen Hauptstadt. Beide kennen LSE-Chef Xavier Rolet seit Jahren. "Es gibt ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis", sagt ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters.
Nach einer Fusion wollen beide Unternehmen eine Holdinggesellschaft gründen, unter der die bestehenden Konzerne dann angesiedelt sind. Den Verwaltungsrat der Holding solle Deutsche-Börse-Chef Kengeter leiten, sagte ein Insider. Der langjährige Investmentbanker hat bei den Frankfurtern für frischen Wind gesorgt, seit er im vergangenen Sommer das Ruder übernahm. Bereits im vergangenen Jahr tätigte der Manager, der zuvor für die Schweizer Großbank UBS und die US-Bank Goldman Sachs arbeitete, drei Übernahmen für insgesamt 1,3 Milliarden Euro.
Seine Vorgänger Werner Seifert und Reto Francioni hatten seit der Jahrtausendwende mehrfach vergeblich versucht, die Deutsche Börse mit einem großen Partner zu fusionieren. Der letzte größere Deal - der Zusammenschluss mit der New York Stock Exchange - scheiterte 2012 am Veto der EU-Wettbewerbshüter. Auch für die nun geplante Fusion mit der LSE stelle das Votum der Kartellbehörden eine entscheidende Hürde dar, sagt Analyst Jonathan Goslin vom britischen Brokerhaus Numis. "Die Wettbewerbshüter werden sich das sehr genau ansehen."
Beide Unternehmen erhoffen sich durch den Zusammenschluss signifikante Kosteneinsparungen, wie eine mit dem Vorgang vertraute Person sagte. Im Derivategeschäft und anderen Bereichen ergänze man sich gut. "Viele Produkte sind komplementär." Welche Plattformen man am Ende für den Handel nutze, sei noch nicht entschieden.
Experten erwarten, dass ein fusionierter Börsenkonzern besser mit großen Konkurrenten wie den US-Börsen ICE und CME sowie der Shanghai Stock Exchange mithalten kann. Die Deutsche Börse würde bei einer Fusion vermutlich den Ton angeben, sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person. Das in Eschborn bei Frankfurt beheimatete Unternehmen war am Markt zuletzt rund 15 Milliarden Euro wert und damit gut vier Milliarden Euro mehr als die LSE.
Auf der Bilanzpressekonferenz vergangene Woche hatte Kengeter noch ausweichend auf Fragen nach möglichen Fusionen reagiert. Er gab jedoch das Ziel aus, die Deutsche Börse in allen wesentlichen Geschäftsbereichen weltweit zur Nummer eins oder zwei zu machen. Zusammen mit der LSE dürfte ihm das deutlich einfacher gelingen als alleine.