Die Washington Post übt scharfe Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkels Haltung im Fall Böhmermann. „Der ganze Fall sollte nichts als schallendes Gelächter über den Größenwahn Erdogans (des türkischen Präsidenten) auslösen. Es ist alarmierend, dass Merkel zumindest vorgibt, das Ganze ernst zu nehmen“, schrieben die Herausgeber am Donnerstag in einem Editorial. Der Text ist von einer gewissen Relevanz, weil er nicht von der Redaktion, sondern von Herausgebern kommt. Der Text ist nicht namentlich unterzeichnet, sondern wird als vom Editorial Board verfasst gekennzeichnet. Die US-Neocons gelten als sehr einflussreich bei der Post.
Die Post macht ihre Kritik daher ausdrücklich an dem Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei fest: Indem die EU keine Flüchtlinge mehr aufnehme und die Verantwortung der Türkei zugewiesen habe, werde das „autokratische“ Regime in Ankara gestärkt. Tatsächlich hat der EU-Deal allerdings dazu geführt, dass die Türkei plötzlich selbst innenpolitische Probleme mit der Aufnahme von Flüchtlingen bekommen hat. Es gab Proteste in der Türkei gegen die Ansiedelung von Flüchtlingen. Als Reaktion darauf hatte die Türkei unter Vermittlung von Algerien Gespräche mit Syrien aufgenommen, die die Hoffnung nährten, die Kriegslust der Türkei könnte deutlich abnehmen.
Die US-Neocons dagegen bestehen weiter auf einem militärischen Sieg gegen den syrischen Präsidenten Assad. Sie glauben nicht an einen Frieden. Die CIA hat Pläne ausgearbeitet, die zu al-Kaida gehörende al-Nusra-Front mit Boden-Luft-Raketen auszurüsten – eine ernste Bedrohung für die syrische und die russische Luftwaffe.
Das deutsche Gesetz, das ausländischen Staatsführern erlaube, Kritiker in Deutschland zu verklagen, sei anachronistisch und müsse abgeschafft werden, kritisierte die Zeitung. Es habe in einer westlichen Demokratie keinen Platz. Merkel hatte das Schmähgedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als „bewusst verletzend“ bezeichnet.
Der wahre Grund für Merkels Äußerungen sei Erdogans wichtige Rolle in der europäischen Flüchtlingsfrage, hieß es weiter. Merkel habe vermutlich eine diplomatische Krise verhindern wollen. Das sei aber womöglich verhängnisvoll, stehe doch die Redefreiheit in Deutschland auf dem Spiel.
„Merkels Geschwafel ist dazu angetan, Erdogan und andere Regime – China kommt uns in den Sinn – zu ermutigen, welche kritische Äußerungen sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Grenzen unterdrücken wollen“, schreibt die Zeitung. Merkels einzige Antwort auf Erdogan solle darin bestehen, was ihr Sprecher bereits am Montag gesagt habe: „Als Eckstein der Verfassung ist die freie Meinungsäußerung unverhandelbar.“
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