Die US-Regierung setzt Europa bei den Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP deutlich stärker und weitreichender unter Druck als bisher bekannt. Das geht aus Abschriften geheimer Verhandlungsdokumente hervor, berichtet die dpa. Das Material von insgesamt 240 Seiten stellte Greenpeace zur Verfügung; es soll an diesem Montag veröffentlicht werden.
Mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen bestätigten laut dpa, dass es sich bei den Dokumenten um aktuelle Papiere handelt. Greenpeace ist nach eigenen Angaben im Besitz der Originale.
Demnach droht Washington damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt. Gleichzeitig attackiere die US-Regierung das grundlegende Vorsorgeprinzip beim EU-Verbraucherschutz, der 500 Millionen Europäer derzeit vor Gentechnik und Hormonfleisch in Nahrungsmitteln bewahre, heißt es in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung.
Die Dokumente offenbaren den Angaben zufolge zudem, dass sich die USA dem dringenden europäischen Wunsch verweigern, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Konzernklagen durch ein öffentliches Modell zu ersetzen. Sie haben stattdessen einen eigenen Vorschlag gemacht, der bisher unbekannt war.
Den TTIP-Leak kommentiert Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament:
"Die Veröffentlichung der Dokumente ist ein Dienst an der Demokratie. Die Journalisten nehmen uns Abgeordneten den Maulkorb ab, der uns in den TTIP-Leseräumen aufgesetzt wurde. Es war ein demokratieunwürdiger Zustand, dass wir Abgeordneten die TTIP-Dokumente lesen, aber nicht mit den Bürgern über die Inhalte sprechen durften. Investigativer Journalismus hat sich zum wiederholten Male als Korrektiv von intransparenter Hinterzimmerpolitik verdient gemacht.
Der Leak der TTIP-Dokumente eröffnet eine längst überfällige Debatte über Transparenzstandards in der Welthandelspolitik. Die große TTIP-Protestbewegung zeigt, dass viele Bürger die Hinterzimmerküngelei beim Aushandeln weitreichender Entscheidungen satt haben. Wir brauchen bei wichtigen internationalen Verhandlungen ein Mindestmaß an Transparenz, um Verhandlungsprozesse wie bei TTIP demokratiekonform zu machen. Der privilegierte Zugang von Lobbyisten zu Entscheidungsträgern bei gleichzeitiger Geheminiskrämerei gegenüber den Bürgern, untergräbt die Demokratie. Dass bei anderen Freihandelsabkommen nicht einmal das Verhandlungsmandat öffentlich ist, zeigt welch obrigkeitsstaatliches Verständnis von Transparenz in der Handelspolitik vorherrscht. Wir müssen Transparenz auch während des Verhandlungsprozesses zum Standard bei allen internationalen Verträgen machen, die Gesetzgebung vorbereiten oder Gesetzgebung gleichkommen. Daher ist gut, dass nun auch über den Stand der Verhandlungen Details breit bekannt werden.
Die geleakten TTIP-Dokumente zeigen unter anderem den Verhandlungsstand beim Thema "Regulatorische Kooperation" auf. Privilegierter Zugang für die Lobbyisten zur Gesetzgebung kommt einer Aushebelung der Demokratie gleich. Die regulatorische Kooperation verlagert politischen Einfluss noch weiter von den Bürger zu Lobbyisten."
Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, fordert eine Volksabstimmung über TTIP in Deutschland. In Österreich haben die Präsidentschaftskandidaten der Grünen und der FPÖ angekündigt, das Abkommen nicht unterzeichnen zu wollen.