Politik

EU und Nato wollen Regeln für eine „Weltordnung“ erstellen

Lesezeit: 6 min
08.07.2016 02:25
Die EU wird mit der Nato eine umfassende Partnerschaft beschließen. Als Schlagworte werden „Sicherheit“, „Friedenskonsolidierung“ und „Widerstandsfähigkeit im Süden und im Osten“ angeführt. Wir dokumentieren eine Zusammenfassung der Ziele, wie sie die Außenbeauftragte der EU beim jüngsten Europäischen Rat umrissen hat.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Strategie für eine EU-Sicherheitsarchitektur

Die Hohe Vertreterin Federica Mogherini beim Europäischen Rat am 28. Juni 2016

Zusammenfassung

Wir brauchen ein stärkeres Europa. Das sind wir unseren Bürgern schuldig, das wird weltweit von uns erwartet.

Wir erleben gegenwärtig eine existenzielle Krise, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Unsere Union ist bedroht. Unser europäisches Projekt, das uns in beispielloser Weise Frieden, Wohlstand und Demokratie gebracht hat, ist in Frage gestellt. Im Osten wird gegen die europäische Sicherheitsordnung verstoßen. Terrorismus und Gewalt suchen Nordafrika und den Nahen Osten und auch Europa selbst heim. Das Wirtschaftswachstum hinkt der demografischen Entwicklung in Teilen Afrikas noch immer hinterher. Die sicherheitsgefährdenden Spannungen in Asien nehmen zu, während der Klimawandel weitere Verwerfungen verursacht.

Gleichzeitig bieten sich aber gerade jetzt außergewöhnliche Chancen. Globales Wachstum, Mobilität und technologischer Fortschritt – neben unseren zunehmend vertieften Partnerschaften – ermöglichen fortschreitende Entwicklung, so dass mehr und mehr Menschen der Armut entkommen und länger und freier leben können. Wir werden diese schwierige, zunehmend vernetzte, konfliktreiche und komplexe Welt navigieren und uns dabei von unseren gemeinsamen Interessen, Grundsätzen und Zielen leiten lassen. Auf Grundlage der in den Verträgen verankerten Werte und im Vertrauen auf unsere vielen Stärken und historischen Errungenschaften werden wir vereint eine stärkere Union schaffen, die ihre Rolle geeint in der Welt wahrnimmt.

1. Unsere gemeinsamen Interessen und Grundsätze

Die Europäische Union wird den Frieden fördern und die Sicherheit ihrer Bürger und ihres Territoriums garantieren. Interne und externe Sicherheit hängen mehr denn je miteinander zusammen: Unsere Sicherheit im Inneren hängt vom Frieden jenseits unserer Grenzen ab.

Die EU wird den Wohlstand ihrer Bevölkerung mehren. Wohlstand muss geteilt werden und setzt voraus, dass die Ziele für die nachhaltige Entwicklung weltweit, darunter auch in Europa, verwirklicht werden. Für eine wohlhabende Union bedarf es auch eines offenen und fairen internationalen Wirtschaftssystems und eines dauerhaften Zugangs zu den globalen Gemeingütern.

Die EU wird die Widerstandsfähigkeit ihrer Demokratien unterstützen. Ob wir konsequent an unseren Werten festhalten, ist ausschlaggebend für unsere Glaubwürdigkeit und unseren Einfluss nach außen.

Die EU wird eine auf Regeln basierende Weltordnung vorantreiben. Wir haben ein Interesse daran, vereinbarte Regeln für die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter und für einen Beitrag zu einer friedlichen und nachhaltigen Welt voranzubringen. Die EU wird sich für eine auf Regeln basierende Weltordnung einsetzen, die in erster Linie auf dem Prinzip des Multilateralismus beruht und bei der die Vereinten Nationen im Zentrum stehen.

Wir werden uns von klaren Grundsätzen leiten lassen. Diese beruhen sowohl auf einer realistischen Einschätzung der derzeitigen strategischen Rahmenbedingungen als auch auf dem idealistischen Ziel, eine bessere Welt schaffen. Wir werden uns bei unserem auswärtigen Handeln in den kommenden Jahren von einem auf Grundsätzen beruhenden Pragmatismus leiten lassen.

In einer immer komplexeren Welt müssen wir zusammenstehen. Nur mit dem gesamten Gewicht einer echten Union sind wir in der Lage, unseren Bürgern Sicherheit, Wohlstand und Demokratie zu bieten und eine positive Veränderung in der Welt zu bewirken.

In einer mehr und mehr vernetzten Welt wird die EU mit anderen Partnerschaften schließen. Die Union kann angesichts externer Bedrohungen nicht einfach nach innen wenden. Zur Förderung der Sicherheit und des Wohlstands unserer Bürgerinnen und Bürger und zum Schutz unserer Demokratien werden wir die wechselseitige Abhängigkeit mit all den Chancen, Herausforderungen und Ängsten, die sie mit sich bringt, durch Zusammenarbeit mit der übrigen Welt gestalten.

In einer konfliktreicheren Welt wird sich die EU von einem starken Verantwortungsbewusstsein leiten lassen. Wir werden mit ganz Europa und den angrenzenden Regionen im Osten und im Süden verantwortungsvoll zusammenarbeiten. Wir werden global handeln, um die Ursachen von Konflikten und Armut zu bekämpfen und für die Menschenrechte einzutreten.

Die EU wird als verantwortungsvoller, globaler Akteur auftreten, aber die Verantwortung muss geteilt werden. Die Verantwortung geht mit der Umgestaltung unserer externen Partnerschaften einher. Bei der Verfolgung unserer Ziele werden wir auf Staaten, regionale Einrichtungen und internationale Organisationen zugehen. Wir werden mit unseren wichtigsten Partnern, gleichgesinnten Ländern und regionalen Gruppierungen zusammenarbeiten. Wir werden unsere Partnerschaften mit der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor vertiefen, denn sie sind wichtige Akteure in einer vernetzten Welt.

2. Die Prioritäten unseres auswärtigen Handelns

Um unsere gemeinsamen Interessen voranzubringen, wird die EU fünf vorrangige Ziele verfolgen.

Die Sicherheit unserer Union: Die Globale Strategie der EU beginnt im Innern. Unsere Union hat ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, Demokratie und Wohlstand in nie dagewesener Weise gebracht. Gleichwohl werden unsere Bevölkerung und unser Hoheitsgebiet gegenwärtig durch den Terrorismus, hybride Bedrohungen, den Klimawandel und Energieversorgungsunsicherheit gefährdet. Geeignete Zielvorgaben und strategische Autonomie sind wichtig, damit Europa fähig ist, innerhalb wie außerhalb der eigenen Grenzen den Frieden zu fördern und Sicherheit zu gewährleisten. Wir werden daher unsere Anstrengungen in Bezug auf Verteidigung, Cybersicherheit, Terrorismusbekämpfung, Energie und strategische Kommunikation verstärken. Die Mitgliedstaaten müssen ihre in den Verträgen verankerten Verpflichtungen zur gegenseitigen Unterstützung und Solidarität in konkretes Handeln umsetzen. Die EU wird ihren Beitrag zur kollektiven Sicherheit Europas aufstocken und eng mit ihren Partnern – angefangen bei der NATO – zusammenarbeiten.

Widerstandsfähigkeit von Staat und Gesellschaft in unserer östlichen und südlichen Nachbarschaft: Es liegt im Interesse unserer Bürger, in die Widerstandsfähigkeit der Staaten und Gesellschaften in unserer östlichen Nachbarschaft, die bis nach Zentralasien reicht, und in unserer südlichen Nachbarschaft, die bis nach Zentralafrika reicht, zu investieren. Im Rahmen der derzeitigen Erweiterungspolitik der EU ist ein glaubwürdiger Beitrittsprozess, der auf strikten und fairen Bedingungen beruht, von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Länder des westlichen Balkans und der Türkei. Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) möchten viele engere Beziehungen zur Union aufbauen: Unsere andauernde Anziehungskraft kann in diesen Ländern Ansporn für den Wandel sein. Aber die Widerstandsfähigkeit ist auch in anderen Ländern und über die ENP hinaus eine Priorität. Die EU wird verschiedene Wege zur Widerstandsfähigkeit gegen die akutesten Fälle von staatlicher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und klima-/energiespezifischer Fragilität unterstützen und wirksamere migrationspolitische Maßnahmen für Europa und seine Partner ausarbeiten.

Ein integrierter Ansatz zur Bewältigung von Konflikten: Wenn gewaltsame Konflikte zum Ausbruch kommen, sind unsere gemeinsamen lebenswichtigen Interessen bedroht. Die EU wird in einer praktischen und auf Grundsätzen beruhenden Weise bei der Friedenskonsolidierung zusammenarbeiten und die Sicherheit der Menschen durch einen integrierten Ansatz unterstützen. Die Umsetzung eines "umfassenden Ansatzes der EU für Konflikte und Krisen" durch eine kohärente Nutzung aller der EU zur Verfügung stehenden Strategien ist von wesentlicher Bedeutung. Aber die Bedeutung und der Anwendungsbereich dieses "umfassenden Ansatzes" werden noch weiter ausgedehnt werden. Die EU wird auf allen Ebenen des Konfliktverlaufs handeln und prompt handeln, wenn es um die Prävention, die verantwortungsvolle und entschlossene Krisenreaktion, Investitionen in die Stabilisierung und die Vermeidung eines voreiligen Rückzuges beim Ausbruch einer neuen Krise geht. Die EU wird auf verschiedenen Governance-Ebenen tätig werden: Konflikte wie diejenigen in Syrien und Libyen haben lokale, nationale, regionale und globale Dimensionen, auf die eingegangen werden muss. Schließlich kann keiner dieser Konflikte von uns allein gelöst werden. Ein dauerhafter Frieden kann nur durch umfassende Vereinbarungen erzielt werden, die auf breiten, tiefen und dauerhaften regionalen und internationalen Partnerschaften gründen, die von der EU vorangebracht und unterstützt werden.

Auf Zusammenarbeit beruhende regionale Ordnungen: In einer Welt, die gefangen ist zwischen globalem Druck und lokalen Gegenkräften, tritt die jeweilige regionale Dynamik in den Vordergrund. Freiwillige Formen der regionalen Verwaltung bieten Staaten und Menschen die Gelegenheit, Sicherheitsanliegen besser gerecht zu werden, die wirtschaftlichen Vorteile der Globalisierung zu nutzen, die Kulturen und Identitäten umfassender zum Ausdruck zu bringen und Einfluss in der Weltpolitik geltend zu machen. Dies ist ein wesentliches Grundprinzip des Friedens und der Entwicklung der EU im 21. Jahrhundert und deswegen werden wir auf Zusammenarbeit beruhende regionale Ordnungen weltweit unterstützen. In verschiedenen Regionen – in Europa; im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und in Afrika; jenseits des Atlantik, im Norden wie im Süden; in Asien; und in der Arktis – wird die EU sich von konkreten Zielen leiten lassen.

Globale Ordnungspolitik für das 21. Jahrhundert: Die EU bekennt sich zu einer globalen Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts, welche die Menschenrechte, eine nachhaltige Entwicklung und dauerhaften Zugang zu den globalen Gemeingütern gewährleistet. Aus diesem Bekenntnis ergibt sich das Ziel, das bestehende System zu ändern, anstatt es lediglich aufrechtzuerhalten. Die EU wird sich für eine starke Stellung der Vereinten Nationen als Fundament der auf Regeln beruhenden multilateralen Ordnung einsetzen und gemeinsam mit internationalen und regionalen Organisationen, Staaten und nichtstaatlichen Akteuren weltweit koordinierte Maßnahmen entwickeln.

3. Von der Vision zur Aktion

Wir werden unsere vorrangigen Ziele verfolgen, indem wir unsere einzigartigen Netzwerke, unser wirtschaftliches Gewicht und alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente in kohärenter Weise mobilisieren. Damit wir unsere Ziele verwirklichen können, müssen wir jedoch gemeinsam in eine Union investieren, die glaubwürdig, reaktionsfähig und koordiniert ist.

Eine glaubwürdige Union: Glaubwürdigkeit ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit der ganzen Welt. Die Glaubwürdigkeit der EU beruht auf unserer Geschlossenheit, unseren zahlreichen Erfolgen, unserer dauerhaften Anziehungskraft, der Wirksamkeit und Kohärenz unseres politischen Handelns sowie darauf, dass wir an unseren Werten festhalten. Eine stärkere Union erfordert auch Investitionen in alle Dimensionen der Außenpolitik. Insbesondere sind Investitionen in Sicherheit und Verteidigung dringlich. Das gesamte Spektrum der Verteidigungsfähigkeiten ist erforderlich, um auf externe Krisen zu reagieren, die Kapazitäten unserer Partner aufzubauen und die Sicherheit Europas zu gewährleisten.

Die Mitgliedstaaten bleiben in ihren Verteidigungsbeschlüssen souverän, doch zum Erwerb und zur Aufrechterhaltung vieler dieser Fähigkeiten muss die Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung zur Norm werden. Die EU wird die Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung systematisch unterstützen und bestrebt sein, eine solide europäische Verteidigungsindustrie zu schaffen, welche für die Handlungs- oder Entscheidungsfreiheit Europas von entscheidender Bedeutung ist.

Eine reaktionsfähige Union: Unser diplomatisches Handeln muss vollständig im Vertrag von Lissabon verankert sein. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss reaktionsfähiger werden. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sollte sondiert werden und könnte zu einer stärker strukturierten Zusammenarbeit unter voller Ausschöpfung der Möglichkeiten des Vertrags von Lissabon führen. Die Entwicklungspolitik muss auch flexibler und stärker mit unseren strategischen Prioritäten abgestimmt werden.

Eine koordinierte Union: Wir müssen eine bessere Koordinierung in all unseren externen Politikbereichen zwischen den Mitgliedstaaten und den Institutionen der EU sowie zwischen den internen und externen Dimensionen unserer Politikbereiche vornehmen. Dies ist für die Umsetzung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung, der Migrations- und der Sicherheitspolitik, insbesondere der Terrorismusbekämpfung, besonders wichtig. Wir müssen zudem die Menschenrechts- und Gleichstellungsfragen in allen Politikbereichen und Institutionen systematisch berücksichtigen.

Diese Strategie wird geleitet von der Vision und dem ehrgeizigen Ziel einer stärkeren Union, die willens und in der Lage ist, eine positive Veränderung für ihre Bürger und die ganze Welt herbeizuführen. Unsere Bürger verdienen eine echte Union, die unsere gemeinsamen Interessen unterstützt, indem sie sich verantwortungsvoll und in Partnerschaft mit anderen einsetzt. Nun ist es an uns, dies in die Tat umzusetzen.


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bosch kürzt 5.550 Stellen - 3.800 davon in Deutschland
22.11.2024

Bosch steht vor massiven Einschnitten: Bis zu 5.550 Stellen sollen wegfallen, davon allein 3.800 in Deutschland. Die Krise in der...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis-Prognose 2025: Nach Kurskorrektur steigt der Goldpreis aktuell - wohin geht die Reise?
22.11.2024

Der Goldpreis steht derzeit im Fokus von Anlegern und Edelmetallexperten. Gerade in unsicheren Zeiten wollen viele Investoren Gold kaufen,...

DWN
Politik
Politik Iranisches Atomprogramm: Teheran will mehr Uran anreichern
22.11.2024

Droht der Iran dem Westen mit neuen Atomwaffen? Die IAEA warnt, Teheran wehrt sich – und eskaliert die Urananreicherung. Jetzt könnten...

DWN
Politik
Politik Dauerbaustelle Autobahn: Sie stehen hier im Stau, weil sich Verkehrsminister Volker Wissing verrechnet hat
22.11.2024

Wenn man im Sommer entspannt durch Frankreich oder Italien über die Autobahnen gleitet, fragt man sich jedesmal aufs Neue: Warum müssen...

DWN
Politik
Politik Krankenhausreform kommt: Lauterbachs Reform passiert den Bundesrat
22.11.2024

Karl Lauterbach freut sich: Der Bundesrat hat das sogenannte "Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz" gebilligt, das Herzensprojekt des...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rezession droht im Winter, Euro ist im Sinkflug: Was sind die Gründe?
22.11.2024

Stagnation der deutschen Wirtschaft, ein schwächelnder Euro, miese Stimmung in den Unternehmen: Ökonomen befürchten eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoins-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch nahe 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
22.11.2024

Ein Bitcoin-Rekordhoch nach dem anderen - am Freitagmorgen kletterte der Bitcoin-Kurs erstmals über 99.000 US-Dollar. Seit dem Sieg von...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Memoiren „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Erinnerungen schönschreibt
22.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...